Minenwarnschild in offenem Gelände
APA/AFP/Aris Messinis
Riesige Flächen vermint

Ukrainische Offensive als Minenfeld

In den nächsten Wochen wird der Start einer ukrainischen Gegenoffensive erwartet, um von Russland besetztes Gebiet zurückzuerobern. Um einen raschen Vormarsch wie im letzten Herbst zu verhindern, hat die russische Armee riesige Gebiete vermint. Beim Vorrücken müssen die Minen zuerst von Spezialtrupps gefunden und entschärft werden. Die Sprengsätze sind auch in bereits befreiten Gebieten ein großes Problem – und das noch auf Jahre.

Laut dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal sind Gebiete von insgesamt 250.000 Quadratkilometern – in etwa die dreifache Fläche Österreichs – vermint. Für die Entfernung aller Sprengsätze veranschlagt die Weltbank Kosten von mehr als 34 Milliarden Euro, berichtete zuletzt die Website Kyiv Independent.

Damit sollen jene Gebiete, die die ukrainische Armee bisher zurückerobern konnte, von Minen und anderen Sprengfallen gesäubert und die Rückkehr der Zivilbevölkerung ermöglicht werden. Auch für die Wiederaufnahme der Landwirtschaft ist die Entminung eine Voraussetzung.

Vor allem aber wird das Entminen eine entscheidende Rolle in der geplanten ukrainischen Offensive einnehmen. Denn damit Truppen mit schwerem Gerät vorrücken und so eventuell zurückeroberte Gebiete absichern können, müssen die Straßen und Routen zuerst nicht nur witterungstecnisch befahrbar, sondern vor allem auch sicher sein – das heißt: entmint werden.

Ukrainischer Entminungsdienst
Reuters/Viacheslav Ratynskyi
Entminer in der Region Charkiw bei der Arbeit

Hunderte Minentote pro Monat

Die russische Armee hat vor allem in möglichen Angriffsschneisen im Winter ein teils dichtes Netzwerk an Gräben, Panzerfallen und Minenfeldern errichtet, um einen ukrainischen Vormarsch möglichst zu erschweren. Russland gehört – wie die USA – zu den wenigen Ländern, die den Minenverbotsvertrag nicht ratifiziert haben.

Bereits jetzt werden jeden Monat Hunderte Zivilistinnen und Zivilisten von zurückgelassenen Minen getötet oder verstümmelt – oft auch von Sprengfallen mit Handgranaten, an denen ein kaum sichtbarer Draht oder eine Angelschnur angebracht ist und die so von den Opfern selbst ausgelöst werden. Allein im März wurden 226 Menschen getötet und 724 weitere verletzt, berichtete zuletzt die „New York Times“ („NYT“).

Tierkadaver als Hinweis

Für die Entminungseinheiten sind die Fallen oft schwer erkennbar unter Gestrüpp oder unter der Erde etwa entlang von Straßen versteckt. Allerdings haben die Entminungssoldaten laut „NYT“ gelernt, auf andere Zeichen zu achten – Tierkadaver etwa sind oft ein Anzeichen für in der Nähe befindliche Sprengfallen.

Anders als jene Einheiten, die zurückerobertes Gebiet entminen, um es für die Rückkehr der Zivilbevölkerung vorzubereiten, arbeiten die militärischen Entminungseinheiten unmittelbar vor vorrückenden Einheiten. Dabei, so einer der Soldaten gegenüber der „NYT“, brauche es vor allem Ruhe und Gelassenheit – gerade dann, wenn Kommandanten der Infanterie auf Tempo drängten.

Abschuss einer M58 Mine Clearing Line Charge
IMAGO/piemags
US-System zur Minendetonation – hier in Polen – in Aktion

Schneisen mit Sprengschnüren

Zum Einsatz kommt als mechanisches System auch ein russischer Entminungspanzer. Das „Drache“ genannte System UR-77 ist laut Bundesheer-Website ein pyrotechnisches System, wie es erstmals vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelt wurde. Dabei wird eine Sprengschnur mit einer Rakete in das Minenfeld geschossen.

Die anschließende Detonation des an der Sprengschnur angebrachten Sprengstoffs löst die Minen in dem von der Sprengschnur abgedeckten Bereich aus oder macht sie unbrauchbar. Damit wird pro Ladung etwa ein Bereich von 90 mal sechs Metern geräumt. Von den USA erhielt Kiew ein ähnlich funktionierendes System.

Vorwürfe auch an Ukraine

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft unterdessen auch der ukrainischen Seite den Einsatz von verbotenen Minen, konkret Schmetterlingsminen, vor. Diese kleinen, plastikumhüllten Minen werden in großer Zahl in einem Kriegsgebiet verstreut. Vorwürfe, dass Russland diese verbotenen Minen einsetzt, wurden bereits kurz nach der Invasion laut, wie ein damaliger Bericht der Deutschen Welle zeigt. HRW wirft nun auch der Ukraine den Einsatz vor – konkret in der und um die Stadt Isjum.

HRW dokumentierte nach eigenen Angaben mehrere Fälle, in denen per Raketen Tausende dieser Schmetterlingsminen auf russisch gehaltene Zonen abgefeuert wurden. Die Ukraine ist – anders als Russland – Mitglied des Minenverbotsabkommens. Kiew kündigte Ende Jänner an, die Vorwürfe zu untersuchen, bisher sind keine Ergebnisse bekannt.