Mann blickt aus einem Auto auf einen Panzer
Reuters
Bericht

„Militärmitarbeiter“ steckt hinter US-Leak

Die Person, die hinter dem Leak jener geheimen US-Dokumente über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine steckt, die die vergangenen Tage auf diversen Onlineplattformen aufgetaucht sind, dürfte gefunden worden sein. Wie die „Washington Post“ berichtete, handelt es sich um einen Mann, der sich in Chats als Mitarbeiter einer Militärbasis ausgab. Eine Bestätigung von offizieller Seite gibt es nicht.

Seit Tagen beherrschen die geheimen Dokumente die internationalen Schlagzeilen. Sie waren auf Onlineplattformen wie Discord, Telegram und Twitter aufgetaucht. Laut „New York Times“ („NYT“) wurden sie über prorussische Kanäle verbreitet. Auch wenn die Echtheit der Dokumente zum Teil in Zweifel gezogen wird, gibt es nach Ansicht des Pentagons jedenfalls „ein sehr ernstes Sicherheitsrisiko“.

Medienberichten zufolge enthalten die Unterlagen unter anderem Informationen zu Plänen der USA und der NATO zur Unterstützung einer ukrainischen Militäroffensive im Frühjahr gegen Russland. In den Unterlagen sollen etwa Details über Waffenlieferungen, Bataillonsstärken und andere sensible Informationen stehen. Ein Dokument fasse zudem die Ausbildungspläne zwölf ukrainischer Kampfbrigaden zusammen.

„Gemeinsame Liebe zu Waffen“

Die USA kündigten umgehend an, die Veröffentlichung zu untersuchen und den Maulwurf ausfindig zu machen. Die „Washington Post“ schrieb nun, dass es sich um einen „Waffenliebhaber“ handle, der auf einer Militärbasis arbeite. Die Person habe die geheimen Informationen in eine Gruppe der Onlineplattformen Discord gepostet. Die Gruppe bestehe aus zwei Dutzend Männern, die eine „gemeinsame Liebe zu Waffen, militärischer Ausrüstung und Gott“ verbinde. Die „Washington Post“ stützte ihren Bericht auf Interviews mit zwei Mitgliedern der Discord-Chatgruppe.

Discord sagte in einer Erklärung am Mittwoch, dass es mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeite. Das Verteidigungs- und das Justizministerium reagierten nicht auf eine Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters. Das Justizministerium leitete vergangene Woche eine formelle strafrechtliche Untersuchung ein.

Dokumente abgeschrieben

Die Person habe sich in den Chats „OG“ genannt und behauptet, die Dokumente von einer Militärbasis nach Hause gebracht zu haben. Auf der Basis habe er laut eigener Darstellung auch Teile des Tages in einer abgesicherten Einrichtung verbracht, in der Mobiltelefone und andere elektronische Geräte verboten gewesen seien, mit denen Fotos oder Videos gemacht werden können.

Daher habe er die Dokumente zunächst abgeschrieben. Als sich das als zu mühsam erwiesen habe, habe er begonnen, Bilder der brisanten Papiere zu posten. Wie er das machen konnte, war nicht klar. Mitte März habe „OG“ jedoch aufgehört, Dokumente mit der Gruppe, die sich 2020 während der Coronavirus-Pandemie gegründet habe, zu teilen.

„Er ist fit. Er ist stark. Er ist bewaffnet. Er ist trainiert. So ziemlich alles, was man von einem verrückten Film erwarten kann“, sagte ein Mitglied der Chatgruppe, das unter 18 Jahre ist und unter der Bedingung der Anonymität mit der „Washington Post“ sprach – die Mutter des Mitglieds stimmte zu, das Gespräch mit einer verzerrten Stimme aufzuzeichnen. „Er brüllte eine Reihe von rassistischen und antisemitischen Beleidigungen in die Kamera und feuerte dann mehrere Schüsse auf ein Ziel ab“, zitierte ihn der Bericht.

„OG“ habe eine düstere Meinung von der US-Regierung. Er sei kein Whistleblower, der Missstände aufdecken wolle. Die von der Zeitung befragten Mitglieder sagten, sie wüssten den richtigen Namen von „OG“ und auch, wo er lebe, wollten das aber nicht verraten. Laut „Washington Post“ hätten die Mitglieder den „Militärmitarbeiter“ verehrt, weil dieser über Dinge Bescheid wusste, die erst später in Medien standen. Das habe „nur jemand mit dieser Art von Freigabe“ wissen können. An der Gruppe seien auch Russen und Ukrainer beteiligt gewesen, hieß es gegenüber der „Washington Post“.

„Wie eine Familie“

Die Gruppe fand sich vor vier Jahren über einen anderen Kanal, auf dem sie einem bekannten Youtuber folgte, der Videos über Waffen veröffentlichte. Später sei der Kanal „zu voll“ gewesen, weshalb man auf Discord auswich. Der neue Server enthielt den Namen „Thug Shaker Central“, und „OG“ kontrollierte als Administrator die Mitgliedschaften. „Wir sind alle sehr nah beieinander aufgewachsen, wie eine eng verbundene Familie“, sagte ein Mitglied. „Wir waren aufeinander angewiesen.“

„OG“ sei der unangefochtene Anführer gewesen. Das Mitglied beschrieb ihn gegenüber der „Washington Post“ als „streng“. Er setzte eine „Hackordnung“ durch und erwartete, dass die anderen die geheimen Informationen, die er weitergegeben hatte, genau lesen würden. Als ihre Aufmerksamkeit nachließ, sei er wütend geworden. „Er war verärgert und sagte bei mehreren Gelegenheiten: ‚Wenn ihr die Dokumente nicht lest, werde ich aufhören, sie zu schicken.‘“

Einige Bilder, die er postete, enthielten detaillierte Diagramme der Schlachtfeldbedingungen in der Ukraine und hochklassifizierte Satellitenbilder der Folgen russischer Raketenangriffe auf ukrainische Anlagen. Andere skizzierten die mögliche Flugbahn nordkoreanischer ballistischer Atomraketen, die die Vereinigten Staaten erreichen könnten. Ein anderes zeigte Fotos des chinesischen Ballons, der im Februar über den USA schwebte.

Unklar, ob oder welche Dokumente echt sind

Die Berichte über die Leaks hatten für Aufsehen gesorgt. Kiew hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, die Dokumente seien Fälschungen und Teil einer russischen Desinformationskampagne. Beratungen des Staatschefs mit dem Militär liefen anders ab als in veröffentlichten Geheimdienstdokumenten dargestellt, sagte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak. Die Beziehungen der Ukraine zu ihren westlichen Partnern seien durch die Veröffentlichungen nicht gefährdet. „Das sind normale Analysen“, sagte er.

Laut Pentagon-Sprecher Chris Meagher untersucht sein Ministerium, inwieweit die veröffentlichten Dokumente echt sind. Die verbreiteten Schriftstücke ähnelten im Format solchen, welche die US-Geheimdienste führenden Politikerinnen und Politikern zum Briefing über die Ukraine, Russland und andere Themen präsentierten, sagte er. Allerdings sehe es so aus, als seien manche der Dokumente vor der Veröffentlichung verfälscht worden. Der Vorgang habe „das Potenzial, Falschinformationen zu verbreiten“.