Eine junge Frau sitzt an einem Bürotisch
Getty Images/Ezra Bailey
AK gegen Wirtschaftsvertretung

Neue Debatte über kürzere Arbeitszeit

Jede dritte beschäftigte Person kann sich laut Arbeiterkammer (AK) nicht vorstellen, ihren aktuellen Job bis zur Pension ausüben zu können. Die Arbeiterkammer erneuert auf Basis einer Onlineumfrage darum am Freitag in einer Pressekonferenz ihre Forderung nach einer Arbeitszeitreduktion bei voller Bezahlung. ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher sowie Wirtschaftsvertretungen reagierten prompt und kritisieren das Modell als pauschal nicht umsetzbar.

„Es wird immer intensiver gearbeitet, der Arbeitsdruck steigt“, sagte AK-Präsidentin Renate Anderl vor Medien. „Eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung ist der nächste logische Schritt.“ Eine „gesunde Vollzeitarbeit“ liege nach Ansicht der AK bei 30 bis 35 Stunden. Der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten ziehe sich durch alle Branchen.

Anderl stützt sich dabei auf eine nicht repräsentative Onlineumfrage, die im Auftrag der AK durchgeführt wurde. Rund 4.700 Personen nahmen daran teil. Acht von zehn Befragten gaben an, weniger arbeiten zu wollen. Jede zweite Teilzeitkraft gab an, sie würde mehr arbeiten, wenn Vollzeit anders definiert würde. „Besonders Frauen mit Kindern haben eine Mehrfachbelastung durch Erwerbsarbeit, Familie und Hausarbeit“, sagte Anderl. „Daher würde eine neue, gesunde Vollzeit ein wesentlicher Beitrag zur Gleichstellung von Frauen und Männern sein.“

Arbeiterkammer will Vollzeit neu definieren

Die AK erneuerte ihre Forderung nach einer schrittweisen Arbeitszeitreduktion bei voller Bezahlung. Eine Reduktion der Vollzeit-Arbeit auf 30 bis 35 Stunden wird gefordert. Die Produktivität von Beschäftigten habe sich in den letzten 50 Jahren etwa verdoppelt, ohne dass die Arbeitszeiten daran angeglichen wurden.

Kein „Niedergang der Wirtschaft“

In Österreich werde länger Vollzeit gearbeitet als im EU-Durchschnitt, und dazu würden viele unbezahlte Überstunden geleistet. Anderl erinnerte zudem daran, dass die letzte gesetzliche Arbeitszeitreduktion in den 1970er Jahren beschlossen wurde. Seitdem sei die Produktivität aber enorm gestiegen, und damals wie heute sei vor dem „Niedergang der Wirtschaft“ gewarnt worden. „Es gab aber keinen Niedergang, unserer Wirtschaft, sie ist noch da“, so Anderl.

AK-Präsidentin Renate Anderl
APA/Eva Manhart
Anderl sieht die heimische Wirtschaft durch Arbeitszeitverkürzung nicht untergehen

Mit Blick auf den Fachkräftemangel wies Anderl darauf hin, dass es ein nicht ausgeschöpftes Arbeitskräftepotenzial gebe. So seien derzeit 438.000 Personen aufgrund von Betreuungspflichten teilzeitbeschäftigt, würden aber gerne mehr arbeiten. Auch durch eine bessere Wiedereingliederung von Müttern in den Arbeitsmarkt und der Forcierung des „zweiten Bildungsweges“ ließe sich der Fachkräftemangel lindern. Unternehmen, die bereits jetzt mit kürzeren Arbeitszeiten experimentierten, hätten zudem weniger Probleme, geeignete Fachkräfte zu finden.

Konkret fordert die AK-Präsidentin von Arbeits- und Wirtschaftsminister Kocher, ein neues Arbeitszeitgesetz auf den Weg zu bringen und dabei alle Sozialpartner einzubinden. Im Zentrum solle dabei eine „neue, gesunde Vollzeitarbeit“ bei vollem Lohn- und Personalausgleich stehen. Zudem fordert die AK ein Verbot von All-in-Verträgen, die Rücknahme des 2018 beschlossenen Zwölfstundentags und Sanktionen für Unternehmen, die sich nicht an diese Regeln halten. Eine Arbeitszeitverkürzung hielt in den vergangenen Tagen auch der Anwärter auf den SPÖ-Chefsessel Andreas Babler medial hoch.

Kocher sieht Ball bei Sozialpartnern

Kocher sieht hingegen die Sozialpartner in der Pflicht, die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Arbeitszeitverkürzung zu nutzen. „Die Sozialpartner haben aktuell viele Möglichkeiten im Rahmen ihrer Kollektivvertragsautonomie eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem oder teilweisem Lohnausgleich oder eine Viertagewoche umzusetzen“, sagte Kocher in einem Statement an die APA. „Um branchenspezifische Erfordernisse und Unterschiede berücksichtigen zu können, sollten allfällige Arbeitszeitverkürzungen weiterhin im bewährten Rahmen von Kollektivvertragsverhandlungen erfolgen.“

Wirtschaftsminister Martin Kocher
ORF/Roland Winkler
Kocher meint, wenn Firmen wollten, stehe es ihnen mit Hilfe der Sozialpartner frei, eine Arbeitszeitverkürzung einzuführen

Auf Unverständnis stößt die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei Wirtschaftskammer und ÖVP-Wirtschaftsbund: So würde eine generelle Arbeitszeitverkürzung den Arbeitskräftemangel weiter verschärfen. Die Arbeitszeitverkürzung würde ihnen weiters zudem den Faktor Arbeit verteuern und zur Abwanderung von Betrieben ins Ausland führen. Zudem erhöhe eine Arbeitszeitverkürzung den Druck auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit zu leisten, warnen die Wirtschaftsvertreter.

Von „skurril“ bis Umweltschutz

Die Forderung der AK sei „skurril“, so der Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, Kurt Egger: „Anscheinend hat die Arbeiterkammer ihren letzten Endgegner gefunden: Die Arbeit als solches“, sagte Egger in einer Aussendung. Die Industriellenvereinigung (IV) nennt den Vorschlag der AK „gerade jetzt“ einen „fatalen Schritt“ und plädiert für Steuerentlastungen und eine „Attraktivierung von Überstunden“. Menschen, die bereit seien, mehr zu leisten, sollten, so die IV, auch belohnt werden.

Die Organisation Scientists for Future Österreich begrüßte unterdessen den Vorstoß zur Arbeitszeitverkürzung. Kürzere Arbeitszeiten seien eine Möglichkeit, um überschüssige Produktionskapazitäten abzubauen und damit die Umwelt zu schonen, die tatsächlich benötigte Arbeit gleichmäßiger zu verteilen und den Wohlstand der Bevölkerung durch mehr frei verfügbare Lebenszeit zu erhöhen.

Großbritannien beendete Studie erfolgreich

De facto gibt es diverse Studien in europäischen Ländern und Firmen, die von einem positiven Effekt der Viertagewoche berichten. Großbritannien etwa beendete erst im Februar eine erfolgreiche Testphase, die von Forscherinnen und Forschern aus Boston sowie Cambridge überwacht wurde. Fazit: 56 von 61 Arbeitgebern wollen das Konzept Viertagewoche bzw. Arbeitszeitverkürzung beibehalten.

Durchschnittlich stieg der Umsatz der beteiligten Unternehmen der Analyse zufolge während der Testphase in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres um 1,4 Prozent. Die Krankheitstage gingen demnach während des Testzeitraums um 65 Prozent zurück, und die Zahl der Angestellten, die in dieser Zeit das Unternehmen verließen, fiel um mehr als die Hälfte (57 Prozent). Rund vier von zehn Beschäftigten gaben an, sich weniger gestresst zu fühlen als vor Beginn des Projekts.

An der britischen Testphase nahmen sowohl Unternehmen aus dem Finanzsektor, der IT- und Baubranche sowie der Gastronomie und dem Gesundheitswesen teil. Insgesamt beschäftigten die beteiligten Firmen rund 2.900 Angestellte. Einige Betriebe führten flächendeckend ein dreitägiges Wochenende ein, während andere den freien Tag der Angestellten über die Woche verteilten oder an Ziele koppelten. Auch in anderen Ländern wird mit der Viertagewoche experimentiert, darunter Irland, Island, Belgien oder Australien.

Spanien bietet Firmen Geld für Test der Viertagewoche

Wie am Donnerstag bekanntwurde, plant Spanien, Firmen Geld zu bezahlen, wenn sie sich bereiterklärten, die Viertagewoche zu testen. Spanische Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten können sich für ein Pilotprogramm der linken Regierung zur Verkürzung der Arbeitswoche auf vier Tage bei voller Bezahlung bewerben.

Das mit 9,6 Millionen Euro dotierte Programm werde sich auf kleine und mittlere Industrieunternehmen konzentrieren, erklärte die spanische Regierung. Etwa 25 bis 30 Prozent der Beschäftigten müssen mindestens zehn Prozent weniger Stunden bei vollem Gehalt arbeiten.

Die Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberinnen erhalten dann eine Teilentschädigung von bis zu 200.000 Euro pro Bewerberin bzw. Bewerber und die Beratungskosten für die Entwicklung neuer Arbeitsmodelle. Nach zwei Jahren sollen Ergebnisse vorliegen. Bei einem ähnlichen Projekt in der spanischen Stadt Valencia wurde überdies nicht nur nach Produktivität und Zufriedenheit geforscht, sondern auch nach den Auswirkungen auf die Emissionen in der Stadt.

Viertagewoche in heimischen Unternehmen

In Österreich testen mehrere Unternehmen die Viertagewoche in unterschiedlichen Ausführungen, was die Stunden pro Woche anlangt, oder gehen bald in die Testphase. Einige Beispiele sind das Recruiting-Unternehmen ePunkt, die PR-Agentur Grayling, das 25-Hours-Hotel, die Supermarktkette Lidl, das Start-up Whatchado und die Wiener Linien.