Christoph Matznetter (SPÖ)
ORF/Roland Winkler
„Rede für das Haus“

Die „Ausputzer“ im Parlament

Nach der Sommerpause startet der Nationalrat am Mittwoch in seine letzte „Saison“ vor der Wahl im kommenden Herbst. Bis dahin werden die Abgeordneten aber noch eifrig debattieren. Im Plenarsaal ist wichtig, was und wie man spricht, entscheidend ist auch, wann man spricht. Zu Beginn der Debatte ist das Interesse am höchsten, doch wenn das Ende naht, beginnt erst das große Taktieren – alle wollen „ausputzen“.

Dem erfahrenen Fußballfan ist der Ausputzer durchaus geläufig. Das war jener Spieler, der hinter der Abwehrreihe steht, die Bälle abfängt und eben ausputzt, sprich den Ball aus der Gefahrenzone bugsiert. Heute gilt die defensiv angelegte Rolle im Fußball als nicht mehr zeitgemäß. Sie wurde vom Libero und später von der Viererkette abgelöst. Verschwunden ist der „letzte Spieler“ (vor dem Torhüter) aber nicht ganz. Finden lässt sich der „Ausputzer“ etwa im Parlament.

Dort putzt er je nach Erzählung aus oder zusammen. In beiden Fällen gilt aber dasselbe Prinzip: Als letzter Redner auf der Liste fasst ein Abgeordneter einen Tagesordnungspunkt pointiert zusammen, benennt die wichtigsten Botschaften der Debatte und sorgt so vor dem Votum für Stimmung im Hohen Haus. Während in normalen Reden Abgeordnete meist Pro- und Kontrapositionen austauschen, zeichnen sich „Ausputzerreden“ zusätzlich durch Emotionen, Schlagfertigkeit und die nötige Portion Witz aus.

„Höhere Kunst“

Das Rederecht im Parlament ist ein sensibler Bereich. Wie lange ein Abgeordneter reden darf, ist streng reglementiert. Die Reihenfolge der Redner und Rednerinnen ist aber Sache des Parlamentsklubs. Intern wird entschieden, wer wann reden soll.

In der Regel rücken zu Beginn einer Debatte die Klubobleute oder die zuständigen Bereichssprecher aus, dann folgen weitere Abgeordnete, die für oder gegen ein Vorhaben argumentieren. „Die Logik der Reihung ist, dass der Erstredner den inhaltlichen Kurs seines Klubs vorgibt und die Mitte diesen bestätigt oder widerspricht“, sagt ein SPÖ-Abgeordneter gegenüber ORF.at.

Gerald Loacker (NEOS)
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Einigen Abgeordneten wird das Talent zum „Ausputzen“ attestiert, darunter befindet sich auch NEOS-Mandatar Gerald Loacker

Hingegen sei die letzte Rede, sofern sie als „Ausputzerrede“ konzipiert ist, „die Rede für das Haus, für den Klub und für die Stimmung“, so der Mandatar weiter. Denn in der Debattenmitte verlassen Abgeordnete den Saal, um Termine wahrzunehmen oder Gespräche mit Kollegen zu führen. In dieser Zeit flachen die Emotionen etwas ab. Neigt sich die Rednerliste dem Ende zu, nehmen die Politiker wieder Platz, weil in wenigen Minuten die Abstimmung stattfindet. Dem letzten Redner gebührt die volle Aufmerksamkeit, er will die Stimmung lenken.

Ein FPÖ-Abgeordneter bezeichnet im ORF.at-Gespräch die letzte Rede als „höhere Kunst“. Nicht alle Mandatare und Mandatarinnen hätten das Zeug zum „Ausputzer“, sagt er. Tatsächlich fallen in Gesprächen mit Abgeordneten und Klubreferenten fast immer dieselben Namen: Philip Kucher (SPÖ), Christian Hafenecker (FPÖ), August Wöginger (ÖVP) und Gerald Loacker (NEOS) zum Beispiel. Aber auch Dagmar Belakowitsch (FPÖ) und Henrike Brandstötter (NEOS) werden genannt. Julia Herr (SPÖ) gilt als Zukunftshoffnung in Sachen „ausputzen“.

Scharfe Kritik mit Niveau

Für gewöhnlich handelt es sich bei „Ausputzern“ und „Ausputzerinnen“ um erfahrene Parlamentarier und Parlamentarierinnen. Sie kennen nicht nur das Haus, sondern auch die Konkurrenz, und wissen, worauf es bei Reden ankommt. „Man tut sich leichter, spontan auszuputzen, wenn man schon lange im Parlament ist“, sagt ein Klubreferent. Klassische „Ausputzer“ würden sich gar nicht groß auf ihre Auftritte vorbereiten. Es sei wichtig, sich die Argumente der anderen anzuhören, um als Letzter dem Plenum in kurzer Zeit eine „knackige Rede“ bieten zu können.

Christian Hafenecker (FPÖ)
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FPÖ-Abgeordneter Hafenecker haut in seinen Reden gern einmal die eine oder andere Wuchtel raus

Ein Name, der auffällig oft fällt, wenn Abgeordnete über die Reden der „Ausputzer“ sprechen, ist Josef Cap (SPÖ). Er sei einer der besten „Ausputzer“ im Parlament gewesen, sagt sogar die Konkurrenz. Cap selbst will die Technik nicht „Ausputzen“ nennen. Der Begriff habe einen „aggressiven“ Beigeschmack, sagt der frühere Abgeordnete, der 2017 nach 34 Jahren aus dem Nationalrat ausschied. „Man kann es sich ja nicht immer aussuchen, wann man redet, manchmal musste ich am Ende der Debatte noch die richtige Richtung mitgeben.“

Als Letztredner, so Cap, habe man die Aufgabe, dass man die Debatte resümiert, die eigenen Argumentationslinien verstärkt und versucht, die der anderen zu schwächen. „Natürlich fließt ein bisschen Polemik in die Rede ein, um die Stimmung im Saal zu verändern, beleidigend sollte die Rede aber nicht sein“, sagt er. Es gehe darum, dass die Mandatare und das Publikum von Inhalten angesprochen werden, die zwar wegen einer scharfen Kritik schmerzhaft sein können, aber auf einem Niveau bleiben, mit dem die Kritik auch akzeptiert wird.

Taktieren um die letzten Minuten

Das ist freilich gar nicht so einfach. Oft sind es spontane Reden, für die der „Ausputzer“ nur wenige Minuten Zeit hat. Der Grund liegt in den vorgegebenen Blockredezeiten, die jedem Klub zur Verfügung stehen. Spricht ein Abgeordneter einmal länger, als ihm der Klub zugeteilt hat, „verbraucht“ er also die Redezeit seiner Kollegin. Deshalb hat es sich eingependelt, dass sich „Ausputzer“ Restzeiten für die mögliche letzte Rede im Vorfeld aufsparen. „Die letzten Minuten sind zum Ausputzen gedacht“, sagt ein langjähriger Klubmitarbeiter zu ORF.at.

August Wöginger (ÖVP)
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ÖVP-Klubchef August Wöginger gibt als Erstredner bekanntlich den Kurs vor

Grundsätzlich geben die Klubs vor Sitzungsbeginn ihre Rednerliste bekannt. Dennoch ist es für Abgeordnete möglich, noch während der Debatte Minuten einzumelden. Zu der Gruppe, die sich oft nachträglich für Redebeiträge in Stellung bringt, zählen die „Ausputzer“.

Eingemeldet werde erst dann, wenn der Vorletzte spricht. „Sieht unser potenzieller Ausputzer, dass der nächste Klub aufspringt, wird er sich überlegen, ob die Zeit, die man noch hat, für eine Wortmeldung reicht“, erklärt der Klubreferent. Ist das der Fall, soll der Ordner, der das Zeitbudget des Klubs verwaltet, Redeminuten anmelden.

Das „Schicksal“ des Letztredners

Während der noch laufenden Debatte kann das Publikum beobachten, dass Abgeordnete auf den letzten Metern doch noch zu Wort kommen wollen. Ein parlamentarischer Mitarbeiter nennt es in Anlehnung an eine koalitionsfreie Zeit im Parlament „freies Spiel der Kräfte“. Allen voran in Sondersitzungen, bei Dringlichen Anfragen und in Aktuellen Stunden sei der Drang, sich zum Rednerpult zu schwingen, groß. Der verbale Schlagabtausch sei hier emotionaler und mitunter persönlicher als in Debatten über komplizierte Gesetzesanträge.

Christoph Matznetter (SPÖ)
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Der „Ausputzer“ fasst nicht nur die Debatte zusammen, sondern punktet auch mit Witz, wie eben Christoph Matznetter (SPÖ)

Tatsächlich kann ein hitziger Diskurs einen „Ausputzer“ in seiner Rede beflügeln. Hingegen kann ein breiter Konsens unter den Klubs ihm die Flügel stutzen. Das lässt sich unter anderem aus einer Aussage des früheren SPÖ-Abgeordneten Ewald Sacher herauslesen. 2011 verlief eine Debatte im Nationalrat derart ruhig, dass Sacher für sich selbst den Schluss zog: „Als letzter Redner meiner Fraktion zu diesem Konsensthema bleibt mir als Ausputzer eigentlich nichts über, denn es gab keine Angriffe.“

Dass es auch anders geht, zeigt eine Szene, die sich vor mehr als 45 Jahren zugetragen hat. Im Jahr 1978 debattierte der Nationalrat das Bundesfinanzgesetz 1979. Die SPÖ stellte die „Absolute“, ÖVP und FPÖ saßen in der Opposition. Als „Ausputzer“ hoffte ÖVP-Mandatar Robert Graf, dass er dem „Schicksal“ der Letztredner entkommen kann („Ich habe erlebt, in den letzten Budgets haben alle Fraktionen den Letzten gehasst, egal, was er sagte, weil sie heimfahren wollten“).

Josef Caps letzte „Ausputzerrede“

Ex-SPÖ-Mandatar Josef Cap hat seine letzte Parlamentsrede als Letztredner („Ausputzer“) gehalten. Am 13. Juli 2017 wurde die Gesetzgebungsperiode des Nationalrats vorzeitig beendet. Cap resümierte aber nicht wie üblich die vorangegangene Debatte, sondern konterte auf eine Rede von August Wöginger (ÖVP), in der dieser Ex-ÖVP-Parteichef Sebastian Kurz als „Hoffnungsträger“ anpries. „Jetzt ist Wahlkampf, und er ist der Herold des Sebastian Kurz und hat hier seine Aufgabe erfüllt“, sagte der SPÖ-Abgeordnete daraufhin.

Doch zahlreiche Zwischenrufe aus den Reihen der SPÖ und auch von Finanzminister Hannes Androsch (SPÖ) prägten seine „Ausputzerrede“. Im Gegenzug übertrumpften einander ÖVP-Abgeordnete mit zustimmenden Gesten und Worten, wie das stenografische Protokoll vermerkte. Graf beendete den Budgettag auch wenig versöhnlich: „Das Füllhorn ist leer, die Prosperität ist zu Ende und, wie ich hoffen möchte zum Schluss, auch die Glaubwürdigkeit und Ihre Zeit als Regierung.“

Die Rede soll auch andere Klubs bewegen

Ex-SPÖ-Mandatar Cap hielt seine letzte Rede übrigens als Letztredner. Im Juli 2017 wurde die Gesetzgebungsperiode des Nationalrats vorzeitig beendet. Cap resümierte aber nicht die Debatte, sondern konterte auf eine Rede von August Wöginger (ÖVP), in der dieser Ex-ÖVP-Parteichef Sebastian Kurz als Hoffnungsträger anpries. „Jetzt ist Wahlkampf und er ist der Herold des Sebastian Kurz und hat hier seine Aufgabe erfüllt“, sagte der SPÖ-Abgeordnete daraufhin.

Dagmar Belakowitsch (FPÖ)
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Wenn sich ein Tagesordnungspunkt dem Ende neigt, werden ab und zu noch Redeminuten eingemeldet

„Man kann ja ruhig amüsantere Passagen in seine Rede einbauen“, so Cap. Wenn man 34 Jahre im Parlament sitzt, könne man schon mit ein paar wenigen Tricks die Stimmung im Plenum drehen. Als Letztredner sei allerdings auch wichtig, dass man schwierige Inhalte „auf eine Art und Weise erzählen kann“, damit das Publikum das gezogene Resümee nachvollziehen kann. „Kritisieren, das kann ja jeder. Schwieriger ist es, dass die, die man in der letzten Rede kritisiert, also die anderen, ein bisschen mitgehen und dem Resümee zustimmen.“

Dass dieses Ziel nicht immer erreicht wird, zeigt die Praxis. Auch wenn die „Ausputzerrolle“ als eine der ruhmreicheren im Parlament gilt, kann die Funktion des Letztredners auch anders gesehen werden. Nachdem Werner Amon (ÖVP) im Jahr 2006 während einer Debatte für Klassen eine Schülerhöchstzahl forderte, verwies Sabine Mandak (Grüne) auf den „Ausputzer“ im Fußball: Das seien diejenigen, „die das, was die eigene Mannschaft verbockt hat, dann hintenherum noch irgendwie ausputzen und die Notbremse ziehen müssen“.