Peso Pluma und Becky G
AP/John Locher
Netter Gangsta

Shootingstar aus Mexiko erobert Musikwelt

Lateinamerikanische Musik ist aus der globalen Popkultur schon lange nicht mehr wegzudenken, doch nun tritt eine neue Variante ihren Siegeszug an: Corridos, mexikanische Alltags- und Heldenballaden mit traditioneller Instrumentalisierung, werden mit diversen Rap- und Hip-Hop-Spielarten vermischt. Shootingstar ist der Mexikaner Peso Pluma, der derzeit acht Singles in den US-Charts hat und die globalen Spotify-Charts anführt. Doch die Musikrichtung hat auch ihre Schattenseiten.

Der Aufstieg des als Hassan Emilio Kabande Laija geborenen 23-Jährigen ist kometenhaft. 2021 veröffentlichte er seine erste Platte, in Mexiko bekannt wurde er dann erst im Vorjahr. Fast alle seine Songs sind Kollaborationen mit anderen Künstlern und Künstlerinnen – und damit landet er Hit um Hit. Mit der mexikanischen Band Eslabon Armado nahm er den Song „Ella Baila Sola“ auf und erreichte damit als erster mexikanischer Künstler mit traditionellen Klängen die Top Ten der US-Billboard-Charts.

Nicht weniger als sieben weitere Songs, bei denen er seine Stimme beisteuert, sind derzeit in den Top 100 vertreten. „Ella Baila Sola“ führt derzeit auch die globalen Spotify-Charts an, mit einem Remix von „La Bebe“ des Mexikaners Yng Lvcas belegt er dort auch Platz drei. Bis vor wenigen Tagen gab es nicht einmal einen englischsprachigen Wikipedia-Eintrag zu Pluma.

Die nette und die böse Version des Genres

Corridos Tumbados nennt sich das Genre, das nun so erfolgreich ist. Als Gründer gilt der mexikanische Sänger Natanael Cano, der 2019 als 19-Jähriger ein gleichnamiges Album veröffentlichte. Basis sind Corridos, traditionelle mexikanische Stücke mit Gitarrenbegleitung und Bläsern, die große und kleine Heldentaten erzählen und in früheren Zeiten auch oft politische Bedeutung hatten.

Cano und nun Pluma ergänzen nun aber moderne Elemente und Versatzstücke aus Genres wie Trap und Reggaeton – beides Musikstile, die vor allem in Lateinamerika und in großen Latino-Community in den USA beheimatet sind. Drehen sich die Texte bei Corridos Tumbados vor allem um Liebe und Party, hat der Stil aber quasi einen bösen Zwilling. In Corridos Belicos wird Gewalt und Drogenkriminalität verteidigt und teils glorifiziert.

Einschlägige Klischees

Überraschend ist das nicht: Schon Trap hat meist Drogen und Straßenkriminalität zum Thema. Und auch Reggaeton hat, wenn es nicht gerade um Party, Liebe und Sex geht, eine entsprechende Schlagseite. Selbst bei Corridos gibt es die Unterart der Narcocorridos, in denen die Verbrechen der Drogenkartelle beschönigend besungen werden.

Dass sich Gewalt und Delinquenz, ob echt oder nur stilisiert, vor allem bei Jugendlichen gut verkaufen, weiß man in der Populärmusik nicht erst seit dem Aufstieg von Gangsterrap und den darauf folgenden etlichen Subgenres. Auch Vorlieben für PS-starke Autos und ein Frauenbild, das möglichst wenig anhat, sind in den US-Szenen genauso dominant wie bei den mexikanischen Musikern.

Pluma nahm etwa mit dem Trap-Sänger Junior H den Song „El Azul“ auf, in dem er in den USA einsitzende Drogenkartellchef „El Chapo“, bürgerlich Joaquin Guzman, verehrt wird. Auch das Video zu „Las Morras“ („Die Schlampen“), einem Song mit dem kolumbianischen Rapper Blessd, lässt wenig Zweifel offen, dass man den Drogenhändler-Lifestyle ziemlich gut findet, wenn man spärlich bekleidete Frauen mit Geldscheinen überhäufen kann.

Enormer Output

Pluma hat seinen musikalischen Aufstieg wenig überraschend auch TikTok zu verdanken, wo sich seine Songs millionenfach verbreiten – und sich jugendliche Fans gerne in Gangster-Manier inszenieren. Ein Teil seines Erfolgs ist aber auch ein enormer Output. Allein heuer veröffentlichte er selbst vier Singles, bei sechs weiteren Songs wirkt er als Gastsänger bei anderen Künstlerinnen und Künstlern mit. In einem Interview mit dem US-Magazin „Variety“ erklärte er, am Interviewtag drei Songs aufgenommen zu haben, am folgenden seien zwei weitere geplant. Sein neues Album soll im Spätsommer veröffentlicht werden – auf einem dieser Tage gegründeten eigenen Plattenlabel.

Der mexikanische Musiker Peso Pluma
AP/John Locher
Pluma bei den Latin Music Awards im April. Sein Aufstieg war zu schnell, als dass er heuer bereits einen Preis hätte bekommen können.

Mit netten Liedern zum großen Erfolg

Der Türöffner in die oberste Liga sind aber Plumas mit rauchiger Stimme vorgetragene sanftere Songs, bei denen er nicht den „Gangsta“, sondern den netten jungen Mann von nebenan gibt – eben wie „Ella Baila Sola“ und „Chanel“, ein Duett mit der mexikanischstämmigen US-Sängerin Becky G. Diese lud ihn auch zu einem Gastauftritt am Coachella-Festival ein, bei dem sich traditionell die angesagtesten Künstlerinnen und Künstler präsentieren dürfen.

Einer der Headliner war diesmal auch ein lateinamerikanischer Sänger, der Reggaeton-Superstar Bad Bunny aus Puerto Rico. In seiner bisherigen knapp siebenjährigen Musikkarriere brachte er es auf 66 Billboard-Chartplatzierungen und fast 150 Singles in den spanischen Charts – viele davon ebenfalls über Kooperationen. Dennoch entspricht das einem musikalischen Output von durchschnittlich einer neuen Single alle zwei Wochen.

Siegeszug der mexikanischen Musik

Eine der jüngsten ist „un x100to“, die sich derzeit ebenfalls in den Top Fünf der globalen Spotify-Charts befindet. Bad Bunny steuert dabei die Rapzeilen bei. Hauptverantwortlich ist die Band Grupo Frontera – eine traditionelle mexikanische Band mit deutlichem US-Countryeinschlag, stammen doch alle Mitglieder aus Texas.

Der US-Sender NPR nimmt Pluma und die Tatsache, dass Superstar Bad Bunny plötzlich auch traditionelle mexikanische Musik entdeckt hat, zum Anlass, von einem wohl größeren Trend zu berichten. Und mit den Bands Grupo Firme, Calibre 50 sowie den Corrido-Sängern Carin Leon und El Fantasma gibt es auch bereits weitere Anwärter, die mit unterschiedlichen traditionellen musikalischen Stilen von Banda bis Norteno von Mexiko aus den Sprung in die US-Charts schaffen könnten.

Laut dem US-Musikindustrieverband RIAA hatte „Latin Music“ in den vergangenen Jahren zweistellige Umsatzzuwachsraten, seit 2021 liegen diese gar jeweils nur knapp unter 25 Prozent. Mit den Erfolgen von Pluma und anderen könnte dieser Trend noch einmal beflügelt werden.