Die frühere Familienministerin Sophie Karmasin und ihre Anwälte Norbert Wess und Co-Anwalt Philipp Wolm
APA/Georg Hochmuth
Prozess gegen Karmasin

Harte Bandagen zum Auftakt

Der Betrugsprozess gegen Ex-ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin ist der erste seiner Art gegen eine Vertraute bzw. einen Vertrauten des ehemaligen Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP). Karmasin und einem mitangeklagten Abteilungsleiter im Sportministerium werden wettbewerbsbeschränkende Absprachen vorgeworfen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung schenkten einander zum Auftakt am Dienstag nichts.

„Sie wollte immer mehr, hatte nie genug, und zahlen sollten es die anderen“, so Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic im Wiener Straflandesgericht. „Es geht hier um Sozialleistungsbetrug der für Sozialleistungen zuständigen Ministerin.“ Die Anklage war vertreten durch Adamovic und Christina Jilek im Namen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), beide bekannt durch verschiedene Ermittlungsverfahren im Zuge des „Ibiza-Videos“.

Karmasins Verteidiger sind Norbert Wess und Philipp Wolm – sie wollten sich im Vorfeld der Prozesseröffnung nicht öffentlich zu Wort melden. Umso hitziger waren am Dienstag die Stellungnahmen beider Seiten.

Zwei Anklagekomplexe

Karmasin soll sich nach ihrem Ausscheiden aus der Politik Ende 2017 widerrechtlich Bezugsfortzahlungen erschlichen haben, indem sie Bediensteten des Bundeskanzleramts verschwieg, dass sie ihre selbstständige Tätigkeit nach ihrer Amtszeit als Familienministerin nahtlos fortgesetzt hatte. Inkriminiert sind 78.589,95 Euro, die Karmasin vom 19. Dezember 2017 bis zum 22. Mai 2018 zu Unrecht bezogen haben soll.

Sophie Karmasin vor Beginn eines Prozess wegen Betrugs am Wiener Landesgericht
APA/Georg Hochmuth
Karmasin mit ihren Verteidigern Holm und Wess (M.), Jilek und Adamovic vertreten die Anklage

Der zweite Anklagekomplex betrifft drei Studien für das Sportministerium, für die Karmasin nach ihrem Ausscheiden aus der Politik den Zuschlag erhielt, indem sie laut Anklage zwei Mitbewerberinnen – darunter ihre frühere Mitarbeiterin Sabine Beinschab – dazu brachte, „von ihr inhaltlich vorgegebene und mit ihr vorab inhaltlich abgesprochene Angebote an die Auftraggeber zu übermitteln, um sicherzustellen, dass die ihr zuzurechnende Karmasin Research & Identity GmbH die Aufträge bekommen würde“, so die Anklageschrift.

Karmasin: „Nicht schuldig“

Grundsätzlich steht jedem ehemaligen Mitglied der Bundesregierung eine Bezugsfortzahlung zu, da man während der Amtszeit einem Berufsverbot unterliegt. Für die Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. Kommt es zu einem Schuldurteil, drohen Karmasin bis zu drei Jahre Haft. Ihre Zeit in Untersuchungshaft – 26 Tage – würden ihr angerechnet.

Karmasin bekannte sich vor Gericht am Dienst nicht schuldig. In Bezug auf die inkriminierten Bezügefortzahlungen nach ihrem Ausscheiden als Ministerin habe sie zwar einen Fehler begangen, sich nach ihrem Dafürhalten aber nicht strafbar gemacht. Auch bezüglich der von der Anklage umfassten Studien für das Sportministerium habe sie keine Gesetze gebrochen.

Suppe von „cremig“ bis „dick“

Laut Adamovic fingen Karmasins „Delikte des Betrugs“ unmittelbar nach ihrer Zeit in der Politik an. Er forderte eine hohe Strafe, handle es sich doch um eine „Bewährungsprobe für den Rechtsstaat“, wenn eine Ex-Ministerin vor Gericht stehe. Adamovic warf Karmasin vor, die Studien für das Sportministerium in einem „Scheinvergabeverfahren“ ergattert zu haben. Zudem wäre ihre Praxis der unrechtmäßigen Absprachen „bis heute so weitergegangen“, wenn die Ankläger dem nicht ein Ende gesetzt hätten, so Adamovic unter Anspielung auf 21 gleichzeitig durchgeführte Hausdurchsuchungen, die am 6. Oktober 2021 im Rahmen der ÖVP-Umfragenaffäre stattfanden, darunter auch bei Karmasin.

Analyse: Karmasin vor Gericht

ORF-Reporterin Gaby Konrad meldet sich vom Straflandesgericht Wien. Sie erläutert die Position der Anklage gegen Ex-Familienministerin Karmasin.

Wiederholt war der WKStA vorgeworfen worden, zu wenig Substanz für eine Anklage gegen Karmasin zu haben. Adamovic wies das zurück, schon zu Beginn der Ermittlungen sei die Suppe „nicht dünn, sondern ziemlich cremig“ gewesen. Jetzt sei „die Suppe so dick, wenn man den Löffel auslässt, bleibt er stehen“. Dessen ungeachtet stelle sich Karmasin als Opfer dar.

„Ich wünsche Ihnen, dass Sie den Mut finden, Ihre Opferrolle aufzugeben und für Ihre Straftaten einzustehen.“ Denn Karmasin habe die „Sozialleistung“ – die Bezugsfortzahlung – nicht nötig gehabt. „Während der Zeit ihrer Bezugsfortzahlung hat sie sich eine Luxusvilla gebaut. Ist jemand mit so einem Vermögen bedürftig? Nein. Braucht so jemand Überbrückungshilfe? Nein. Hatte sie Anspruch darauf?“ Das könne man ganz einfach mit „sicher nicht“ beantworten.

„Handelte mit der Absicht, sich zu bereichern“

Karmasin habe letztlich rund 62.000 Euro der etwa 78.000 zurückgezahlt. Eine „tätige Reue“, die ihr Straffreiheit sicherstelle, liege dadurch nicht vor. „Karmasin hat auch erst zurückgezahlt, nachdem die Zeit im Bild darüber berichtet hatte“, obwohl sie seit 2018 vier Jahre Zeit gehabt hätte. „Sie handelte mit vollem Wissen und der Absicht, sich zu bereichern“, war sich der Oberstaatsanwalt sicher.

Als Belege dafür brachte er E-Mails von zahlreichen Nachfragen Karmasins bei einem zuständigen Beamten ein, ob sie etwas verdienen dürfe oder nicht. Dieser habe ihr mehrmals klar gesagt, dass sie in der Zeit der Bezugsfortzahlung nichts verdienen dürfe. Auch eine Nachricht von Karmasin an Beinschab, in der Karmasin klarstellte: „Ich darf nichts verdienen“, weswegen sie eine Rechnung erst zu späterem Zeitpunkt abrechnen wolle, sei ein Beleg dafür.

„WKStA ist falsch abgebogen“

Nicht weniger hart argumentierten die Verteidiger. „Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat den Sachverhalt großteils richtig ermittelt. Rechtlich ist die WKStA aber großteils falsch abgebogen“, sagte Karmasins Erstverteidiger Norbert Wess.

Hinsichtlich der Studien für das Sportministerium seien die Aufträge an Karmasin längst offiziell vergeben gewesen, seine Mandantin habe sich vom Ministerium aber dazu überreden lassen, nachträglich eine Dokumentation anzulegen und „Vergleichsangebote von zwei vertrauenswürdigen Personen“ – darunter ihre ehemalige Mitarbeiterin Beinschab – vorgelegt. „Vergleichsangebote sind zu einem absurden Formalismus mutiert“, sagte Wess. Da sei Karmasin „naiv“ gewesen und habe „im Nachhinein definitiv einen Fehler gemacht“, so Wess. Aber strafbar habe sie sich damit nicht gemacht. „Preisangemessenheit“ sei bei den Studien gegeben, vergaberechtlich alles in Ordnung gewesen. Auch bezüglich der Entgeltfortzahlung sei die WKStA „rechtlich falsch abgebogen“.

Der Vorwurf, dass Karmasin den Auftraggeber getäuscht habe, „geht sich hinten und vorne nicht aus“, sagte Wess. Von vornherein sei festgestanden, dass Karmasin den Auftrag bekomme. „Wo kein Wettbewerb geführt wird, kann auch kein Wettbewerb beschränkt werden.“ Der Verteidiger verlangte für seine Mandantin einen Freispruch. „Ich werde meine Mandantin nicht in einen Schuldspruch jagen, wenn ich überzeugt bin, dass in beiden Anklagepunkten der Tatbestand nicht erfüllt ist.“

Mit Karmasin steht eine erste Person aus dem politischen Umfeld von Kurz vor Gericht, Ermittlungen gegen weitere Ex-ÖVP-Funktionäre von Kurz abwärts sind anhängig. Der jetzige Prozess ist auf drei Tage anberaumt und hat noch nichts mit der Rolle Karmasins in der ÖVP-Umfragenaffäre zu tun, in die sie wesentlich eingebunden gewesen sein soll. Diesbezüglich sind die Erhebungen noch nicht abgeschlossen.