Erdogan-Plakat auf Haus
Reuters/Umit Bektas
Wahlkampf in Türkei

Rätselraten um Erdogans Terminabsagen

Wenige Wochen vor der türkischen Präsidentschaftswahl scheint der Gesundheitszustand von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angeschlagen. Nach einem abgebrochenen Liveinterview musste er am Donnerstag einen wichtigen Wahlkampftermin absagen. Unterdessen beginnt die Wahl bereits für Türkinnen und Türken im Ausland, auch für jene rund 100.000 in Österreich.

Am 14. Mai wird in der Türkei gewählt, für den 69-jährigen Erdogan dürfte das Votum zur Schicksalswahl werden. Er muss den Umfragen zufolge erstmals seit 20 Jahren an der Macht ernsthaft um seinen Sieg bangen: Zu sehr kriselt die Wirtschaft, zu viel Ärger gab es nach dem verheerenden Erdbeben in der Südosttürkei über das offenbar gewordene Missmanagement. Zudem wird Erdogan erstmals von einer vereinten Oppositionsfront herausgefordert.

Umso mehr Terrain wollte Erdogan im Wahlkampf wettmachen. Doch seine Gesundheit hindert ihn zumindest vorübergehend daran. Am Donnerstag musste er krankheitsbedingt einen weiteren wichtigen Wahlkampftermin absagen. Er konnte nicht persönlich an der Einweihung des ersten Atomkraftwerks des Landes teilnehmen, wie der stellvertretende Vorsitzende der regierenden AKP, Erkan Kandemir, mitteilte.

Erdogan wohnte der Zeremonie aber online bei – gemeinsam mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Das Akkuyu-Atomkraftwerk an der türkischen Südküste wurde vom staatlichen russischen Atomunternehmen Rosatom gebaut. Laut der Umweltorganisation Global 2000 werden die vier Reaktoren auch von Rosatom finanziert und betrieben. Die „Eröffnungszeremonie“ sei „reine Show 20 Tage vor der Präsidentenwahl“, so die NGO.

Spekulationen in China

Erdogan leidet nach eigenen Angaben an einer Magenverstimmung. Schon am Mittwoch hatte er alle Termine abgesagt. Am Tag zuvor hatte er aus gesundheitlichen Gründen Liveinterview im Fernsehen abgebrochen. Das Programm hatte mit 90 Minuten Verzögerung begonnen und wurde dann nach zehn Minuten mitten in einer Frage durch Werbung unterbrochen. Erdogan kehrte etwa eine Viertelstunde später zurück und entschuldigte sich. „Gestern und heute waren harte Arbeit. Deswegen habe ich eine Magen-Darm-Grippe bekommen“, sagte er.

Analyse: Lage in der Türkei

Der Direktor des Österreichischen Instituts für internationale Politik, Politikwissenschaftler Cengiz Günay, spricht über die Lage in der Türkei. Er erläutert die Festnahmen vor der bevorstehenden Präsidentschaftswahl.

Sozial- und Familienministerin Derya Yanik sagte am Donnerstag im türkischen Fernsehen, Erdogan sei auf dem Wege der Besserung. „Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Es geht ihm gut“, versicherte sie. „Er wird sein intensives Programm morgen wieder aufnehmen, denke ich.“

Chinesische Staatsmedien spekulierten derweil über Erdogans Zustand, der demzufolge sehr viel schlechter sein könnte als offiziell berichtet. Präsidentenberater und Mediendirektor Farhettin Altun wies die „gegenstandslosen Behauptungen“ auf dem Kurznachrichtendienst Twitter „kategorisch“ zurück und schrieb von „Desinformation“.

Auslandstürken bedeutsam

Erdogan hat angesichts sinkender Umfragewerte in den vergangenen Wochen zahlreiche Wahlkampfauftritte absolviert. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Wahl am 14. Mai mit dem Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu bzw. einen Sieg des Sozialdemokraten voraus.

Grafik zu den Wahlen in der Türkei
APA/ORF; Quelle: haberturk.com/euronews

Für Erdogan sind die Auslandstürkinnen und -türken von großer Bedeutung, gelten sie doch traditionell als starke Stütze der konservativen AKP. Vor fünf Jahren votierten die Auslandstürken mit rund 60 Prozent für Erdogan, während er in der Endabrechnung auf 52,6 Prozent kam. In Österreich erhielt er sogar 72,3 Prozent der Stimmen, nur in Belgien und den Niederlanden waren es geringfügig mehr. In Deutschland, wo die Hälfte aller wahlberechtigten Auslandstürken lebt, erhielt Erdogan 64,8 Prozent der Stimmen.

Gedränge im Generalkonsulat

Am Donnerstag begann für die Auslandstürken die Möglichkeit der Stimmabgabe. Insgesamt handelt es sich um rund drei Millionen, in Österreich 106.657 registrierte Wählerinnen und Wähler. Vor dem türkischen Generalkonsulat in Wien-Hietzing bildete sich bereits am Vormittag eine lange Schlange – mehr dazu in wien.ORF.at.

Botschafter Ozan Ceyhun verwies gegenüber der APA darauf, dass es diesmal sechs statt drei Stimmlokale gibt. Während in den drei Generalkonsulaten in Wien, Salzburg und Bregenz bis 9. Mai abgestimmt werden kann, öffnen während des Feiertagswochenendes auch Wahllokale in Linz, Graz und Innsbruck. Dort kann von Samstag bis Montag abgestimmt werden.

Türkei: Wahlkampf in Österreich

In knapp drei Wochen werden in der Türkei der Präsident und das Parlament neu gewählt. Das Rennen könnte knapper nicht sein, umso wichtiger sind diesmal die Stimmen der Auslandstürken. Für sie sind die Wahlkabinen bereits geöffnet.

Ceyhun wandte sich dagegen, die politischen Präferenzen der türkischen Staatsbürger in Österreich zu problematisieren. Er verwies darauf, dass die gesamte türkische Community in Österreich aus 300.000 Personen bestehe und die Mehrheit davon österreichische Staatsbürger seien. „180.000 Menschen wählen nicht in der Türkei, und 120.000 Menschen wählen nicht in Österreich. Ich sehe da keine Vergleichsmöglichkeit“, so Ceyhun.

Früherer Erdogan-Vertrauter appelliert an Landsleute

In Deutschland sind rund 1,5 Millionen Menschen aufgerufen, zu wählen. Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) sah am Donnerstag die Möglichkeit einer Wende in der türkischen Politik. Ein Sieg des Oppositionskandidaten Kilicdaroglu „würde den Weg für eine Rückkehr zur Demokratie ebnen“, sagte der Grünen-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Der deutsch-türkische Abgeordnete der Opposition und ehemalige Erdogan-Vertraute Mustafa Yeneroglu appellierte unterdessen an türkische Wähler, in Deutschland für Rechtsstaat und Demokratie in der Türkei zu stimmen. In den vergangenen Jahren habe „die Türkei sämtliche Entwicklungen, die im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends gemacht wurden, komplett zurückgedreht“, sagte Yeneroglu der dpa. Es tue ihm weh und mache ihn „extrem traurig“, dass das nicht bei den türkischen Wählern in Deutschland ankomme.

Bei vergangenen Wahlen hatte es Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Österreich und Deutschland gegeben. Erdogan etwa war 2014 in Wien. Ein ähnlicher Konflikt wird diesmal nicht erwartet. Inzwischen sind solche Auftritte ausländischer Politiker vor den Abstimmungen in ihren Ländern nicht mehr erlaubt.