NGO: Russische Häftlinge unter „starkem Druck“ rekrutiert

Die Rekrutierungen von Gefängnisinsassen für russische Söldner-Verbände in der Ukraine erfolgt unter schwerem Druck der Behörden. Diese „begründete Sorge“ äußert die russische NGO Gulagu.net. Sie ist nach eigenen Angaben kürzlich in den Besitz von Dokumenten gelangt, welche erstmals Einblicke in die diesbezüglichen rechtlichen Grundlagen zulassen. Es sei davon auszugehen, dass viele Häftlinge schlecht informiert seien, worauf sie sich einlassen würden.

Wie der Sprecher von Gulagu.net, Wladimir Osetschkin, in einem Livestream auf YouTube berichtete, bestehe nach Auswertung dieser Dokumente der Verdacht, dass viele Häftlinge nur bedingt oder gar nicht
verstünden, was in den ihnen zur Unterschrift vorgelegten Papieren stehe, und welche rechtlichen und praktischen Konsequenzen ihnen daraus erwachsen können.

Häftlinge müssen „Stillschweigen“ bewahren

So enthielt etwa eines der von Osetschkin präsentierten Papiere die Anweisung an die Behörden, über die Kriegsdienstverpflichtung der Häftlinge sowie ihren weiteren Verbleib nach ihrem Ausscheiden aus dem öffentlichen Strafvollzugssystem Stillschweigen zu bewahren – auch gegenüber ihren Familien.

Ein Problem, das schon heute viele Angehörige umtreibt: In den russischen Social-Media-Kanälen mehren sich Berichte verzweifelter Ehefrauen und Eltern, deren Kontakt zu ihren inhaftierten Männern bzw. Söhnen aus unerklärlichen Gründen abgerissen ist. Von der zuständigen Gefängnis- oder Straflagerverwaltung bekommen sie keinerlei Auskunft.

„Für Rückzieher zu spät“

In einem weiteren Papier, das die Häftlinge laut Osetschkin unter Druck unterschreiben müssen, erklären sie explizit ihr Einverständnis zur freiwilligen Teilnahme an der „militärischen Spezialoperation“ – Moskaus euphemistische Bezeichnung für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wenn sich die Häftlinge später der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst werden, ist es für einen Rückzieher bereits zu spät, so Osetschkin.

Weiters müssen sich die angeworbenen Häftlinge zur Verschwiegenheit verpflichten und auf sämtliche Rechte verzichten, die ihnen im Rahmen des gewöhnlichen Strafvollzugs zustünden. Danach sieht der weitere Ablauf vor, dass der zukünftige Söldner ein Begnadigungsgesuch an Präsident Wladimir Putin richtet, das eine formale Voraussetzung für seine Entlassung aus der Haftanstalt darstellt.

Voraussetzungen für Begnadigung meist nicht erfüllt

Das wiederum sorgt bei manchen Beamten der Strafvollzugsbehörde FSIN für Unmut: Damit der Präsident einen Häftling begnadigen kann, muss diesem gute Führung attestiert und eine Empfehlung zu seiner Begnadigung ausgesprochen werden. Allerdings erfüllen die meisten Antragsteller diese Voraussetzungen eigentlich gar nicht. Die Beamten müssten also, so Osetschkin, bewusst Dokumente manipulieren, damit im Rückblick der Anschein gewahrt bleibe, Putin habe ohnehin nur geläuterte Häftlinge begnadigt.