Öltanker am Meer
IMAGO/Sergii Kolesnyk
Große Flotte

Russlands stiller Erdöltransporteur

Erdölexporte aus Russland unterliegen wegen des Krieges gegen die Ukraine Sanktionen. Sie finden trotzdem ihre Wege, vor allem in Asien. Mehrfach wurde über Schattenflotten, vor allem aus alten Tankschiffen, berichtet, die unter unterschiedlichsten Flaggen im Auftrag Moskaus auf den Meeren unterwegs seien. Eine völlig unbekannte indische Reederei soll dabei groß im Geschäft sein.

Das Unternehmen namens Gatik Ship Management sei innerhalb nur eines Jahres gemessen an der Zahl seiner Tanker zu einem der weltweit größten in der Branche geworden, berichtete die „Financial Times“ diese Woche: Es verschiffe Dutzende „Millionen von Barrel“ Rohöl für den russischen Ölkonzern Rosneft in Richtung Indien.

Die Reederei mit Sitz im indischen Mumbai soll unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 45 und knapp 60 Tankschiffe betreiben, heißt es. Das Transportvolumen betrage mindestens 30 Millionen Barrel (zu je etwa 159 Liter) pro Jahr, groß im Geschäft soll die Firma seit Juni des Vorjahres sein.

„Offenbar aus dem Nichts“

Gatik mit Unternehmenssitz in der Neptune Magnet Mall, einem Geschäftsviertel in der Finanzmetropole und größten Stadt Indiens an der Westküste des Landes, sei vor 18 Monaten „offenbar aus dem Nichts“ aufgetaucht, berichtete die britische Wirtschaftszeitung am Donnerstag.

Seit Russland die Ukraine im Februar des Vorjahres angegriffen hatte, habe das Unternehmen „mehr Tanker als irgendjemand anderer“ gekauft und sei damit von einer unbekannten indischen Reederei zu einem der weltgrößten Tankschiffbetreiber geworden.

Eine Ölraffinerie von Rosneft
Reuters/Sergei Karpukhin
Der indische Tankschiffbetreiber soll vor allem Öl für den russischen Staatskonzern Rosneft verschiffen

Vor zwei Jahren, 2021, habe Gatik Ship Management gerade einmal zwei Tankschiffe für Chemikalien betrieben, mit Stand April habe die Flotte 58 Tanker umfasst – geschätzter Wert: rund 1,6 Milliarden Dollar (etwa 1,45 Mrd. Euro). Ursprung und Eigentumsverhältnisse des Unternehmens blieben „ein Mysterium“, schrieb die „Financial Times“, Angaben dazu gebe es praktisch nicht. Wer nach einer Website sucht, wird enttäuscht: „Seite im Aufbau“. Noch ungewöhnlicher: Gatik sei am 31. März dieses Jahres in Indien als Exportunternehmen angemeldet worden, scheine aber offiziell in keinem Register auf.

Rechnung geht nicht auf

Gatik teile sich eine Adresse in dem Geschäftsviertel in Mumbai mit der ebenfalls weitgehend unbekannten Reederei Buena Vista Shipping mit einem laut der britischen Zeitung geschätzten Unternehmenswert von 100.000 Dollar (rund 90.500 Euro) vor zwei Jahren.

Ein Tankschiff kostet in der Regel das Hundertfache davon. Die Rechnung mit der Flotte geht also nicht auf. Schiffsbroker und Rohstoffhändler vermuteten, so die „Financial Times“, eine enge Verbindung zum besten Kunden: Rosneft, der mehrheitlich staatlichen russischen Aktiengesellschaft mit einem Jahresumsatz deutlich über 100 Mrd. Euro.

Andere Exportwege

Jedenfalls seien die neuen Tanker von Gatik Ship Management „größtenteils“ eingesetzt worden, um Erdöl von Russland in indische Häfen zu transportieren, wie Trackingdaten zeigten. Die rätselhafte Reederei habe bisher „zumindest“ 83 Millionen Barrel Erdöl und Erdölprodukte russischer Herkunft verschifft, so die britische Zeitung unter Berufung auf Daten des auf den Rohstoffhandel spezialisierten internationalen Analyseunternehmens Kpler mit Hauptsitz in New York. Mehr als die Hälfte davon sei von Rosneft gekommen. Vorstandsvorsitzender des Ölkonzerns ist Igor Setschin, der als enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin gilt.

Es sei „unvermeidlich“ gewesen, dass sich Moskau nach den westlichen Sanktionen um Flotten umsehen würde, um sein Erdöl zu exportieren, zitierte die „Financial Times“ Viktor Katona, Analyst bei Kpler. Gatik sei dafür „das beste Beispiel“. Ein Unternehmen in einem Land, das als potenziell russlandfreundlich gelte, tauche aus dem Nichts auf, kaufe eine unglaubliche Flotte von Tankschiffen in weniger als einem Jahr und organisiere „fast ausschließlich“ die russischen Ölexportwege.

Indien und China als neue Großkunden

Der Westen hatte als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine Sanktionen gegen russische Exporte verhängt, darunter generell Rohstoffe und Erdöl, dazu einen Preisdeckel beschlossen, der die Einnahmen aus dem Geschäft für Moskau drosseln soll – als wirtschaftliches Druckmittel. Diese Maßnahmen treffen insbesondere Rosneft als größten russischen Produzenten.

Indien dagegen hatte seine Importmenge an Öl und Ölprodukten aus Russland erhöht. Moskau exportierte zuletzt etwa auch mehr Erdgas nach Asien, etwa nach China. Indien habe vor dem Ukraine-Krieg nur etwa ein Prozent seines Ölbedarfs aus Russland gedeckt, inzwischen seien es 30 Prozent.

Angeblich 56 Tanker binnen Monaten gekauft

In diesem Kontext sei auch der rapide Aufstieg von Gatik zu sehen, so die „Financial Times“. Das indische Unternehmen habe seit März 2022 „zumindest“ 56 Tanker zugekauft, davon allein 13 im letzten Dezember mit den EU-Sanktionen gegen die russische Erdölindustrie, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Daten von VesselsValue, einem Beratungsunternehmen, das sich mit der Kostenstruktur des Schiffstransports befasst.

Damit sei das weitgehend unbeschriebene Blatt in der Hochseereederei zu einem der größten Betreiber von Tankschiffen weltweit geworden, so Rebecca Galanopoulos von VesselsValue gegenüber der Zeitung. „Um die Perspektive zurechtzurücken“: Rund 1.360 Reedereien weltweit betrieben weniger als zehn Schiffe, nur 20 davon – Gatik inklusive – besäßen 50 und mehr. Bemerkenswert auch: Die Schiffe seien in der Regel alt, keines davon sei bei westlichen Gesellschaften versichert. In welchem Verhältnis Gatik und Rosneft zueinander stehen, sei unklar, ebenso die Rolle von Buena Vista.

Geisterflotten im Dienste Russlands?

Immer wieder wurde nach dem Inkrafttreten der Sanktionen gegen die russische Erdölwirtschaft über Geister- bzw. Schattenflotten berichtet, mit denen Moskau sein Erdöl weiter in alle möglichen Weltgegenden verschiffe. Eine wesentliche Rolle dabei soll auch der Iran spielen, berichteten internationale Medien mehrfach.

Ein Iranischer Tanker
APA/AFP/Indonesia Coast Guard
Auch iranische Tanker sollen den Transport für Moskau unter dem Embargo übernehmen

Die Islamische Republik habe ihrerseits nach den US-Sanktionen wegen ihres Atomprogramms solche Flotten – unterwegs unter unterschiedlichen Flaggen, um die tatsächliche Herkunft zu verschleiern – aufgebaut, um damit weiter Öl zu exportieren. Noch größer im Geschäft mit Russland als Gatik soll eine Reederei mit Unternehmenssitz in Dubai sein, deren Schiffe – zeigt eine kurze Recherche – hauptsächlich unter der Flagge des afrikanischen Liberia und Zyperns unterwegs sind.