Seit der Pandemie sei der Diskurs aggressiver geworden, so Parlamentschef Sobotka. Man habe die Fähigkeit verloren, Konsens herzustellen und im Kompromiss einen Wert zu finden. Polarisierung, Verschwörungstheorien und „Fake News“ würden über soziale Netzwerke verbreitet und Minderheiten dämonisiert.
Mehr als zehn Prozent der Österreicherinnen und Österreicher seien laut Umfragen manifest und über 30 Prozent latent antisemitisch – das sei ein besorgniserregendes Bild.
Digitale Kompetenzen künftig „entscheidend“
Dem entgegenwirken müsse man über Bildung, aber auch über eine Regulierung von künstlicher Intelligenz, Algorithmen und anonymen Social-Media-Plattformen. Es brauche für diese Bereiche schnellstens europäische und nationale Zulassungsverfahren: „Die digitalen Kompetenzen der kommenden Generationen werden entscheidend dafür sein, die technologischen Möglichkeiten für und nicht gegen die Demokratie einsetzen zu können.“
Sobotka über „Pandemie der Desinformation“
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat in seiner Rede bei der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus in der Wiener Hofburg eindringlich vor dem zunehmenden Antisemitismus im Land und einer „Pandemie der Desinformation“ durch „Fake News“ gewarnt.
Auch Bundesratspräsident Günter Kovacs (SPÖ) sagte, dass man wachsam sein müsse, wenn es Angriffe auf „unsere Demokratie und unsere Werte“ gebe. Man müsse die richtigen und notwendigen Lehren aus der Geschichte ziehen und konsequent gegen Antisemitismus und jede Art von Rassismus ankämpfen.
Friedman attackiert „Antidemokraten“
Im Rahmen eines moderierten Gesprächs attackierte Friedman die FPÖ, ohne sie beim Namen zu nennen. Wörtlich sprach er von „Antidemokraten“. „Wahlkämpfe, die eindeutig mit rassistischen Narrativen gespielt werden, wo die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird, Wahlkämpfe, wo Menschen gegeneinander aufgehetzt werden, sind die Realität unserer Zeit.“
Als Philosoph stelle er sich die Frage, ob Hass eine Meinung sei und was man mit Abgeordneten mache, die bestimmten Menschen keinen Respekt zubilligen würden. Das seien „Fragen, die man sich außerhalb von Machtpolitik, und das gilt für alle demokratischen Parteien in diesem Haus, stellen muss, wenn man so eine Veranstaltung macht und glaubwürdig sein will“.
Friedman warnt vor „Antidemokraten“
In Rahmen einer NS-Gedenkveranstaltung im Parlament warnte der Philosoph und ehemalige Politiker Michel Friedman vor „Antidemokraten“ und rassistischen Narrativen im Wahlkampf.
Nicht „Friede, Freude, Eierkuchen“
Wenn man Erinnerungskultur ernst nehme, dann erwarte er, dass „dieses Haus glaubwürdiger ist, als es ist“. Er wies darauf hin, dass die ÖVP in der Vergangenheit bereits zweimal mit den Freiheitlichen koalierte. Gleichzeitig hätten Millionen Menschen in der Vergangenheit gegen eine Koalition mit der FPÖ demonstriert, politische Entscheidungen würden Gedenkveranstaltung wie diese möglich machen.
„Aber Friede, Freude, Eierkuchen herrscht deshalb lange noch nicht. Auch in diesem Land nicht.“ Es sei ihm als Parlamentarier und Demokrat „die höchste Ehre, Ihnen, die sie Antidemokraten sind, das ins Gesicht zu sagen“. FPÖ-Chef Herbert Kickl bedachte die Aussagen mit Kopfschütteln.
KZ Gusen als Schwerpunktthema
Schwerpunktthema der heurigen Gedenkveranstaltung war das KZ Gusen, dem auch ein Film gewidmet wurde, der nach den Festreden vorgeführt wurde. Nachdem Österreich im Vorjahr Flächen des ehemaligen Lagers gekauft hat, wird die dortige Gedenkstätte erweitert, womit auch dieser Vernichtungsort mehr in den Blick der Öffentlichkeit gebracht wird. Rund 36.000 Menschen aus allen Teilen Europa hatte Gusen nicht überlebt.
Zur Veranstaltung in den historischen Sitzungssaal waren die Klubobleute von SPÖ, FPÖ, Grünen und NEOS sowie das Nationalratspräsidium gekommen. Anwesend waren auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP).
Bundespräsident Alexander Van der Bellen war entschuldigt. Er weilt anlässlich der Krönung von König Charles in Großbritannien. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung vom Oberkantor der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Shmuel Barzilai, sowie von Momentum Vocal Music.