„Kollektive Depression“ in türkischen Bebengebieten

Genau drei Monate nach den verheerenden Erdbeben in der Südtürkei hat sich der Alltag der Menschen in den betroffenen Gebieten nur wenig normalisiert. Über 50.000 Menschen kamen allein in der Türkei ums Leben, im benachbarten Nordsyrien dürfte es mindestens 7.000 bis 8.000 weitere Opfer gegeben haben.

Im Zentrum Malatyas seien 90 Prozent der Gebäude eingestürzt oder durch die Schäden unbewohnbar geworden, berichtete Marcus Bachmann, Nothilfekoordinator bei Ärzte ohne Grenzen, der sich derzeit in der Stadt aufhält. Die NGO unterstützt lokale Hilfsorganisationen an Ort und Stelle.

Psychologische Betreuung im Fokus

2,4 Mio. Menschen leben in den Erdbebengebieten nach wie vor in Zelten. Die 600.000 bis 700.000 Zelte sollen langsam Containern weichen. 50.000 bis 60.000 solcher Wohneinheiten stehen bereits in den elf türkischen Provinzen, die nach dem Beben vom 6. Februar zum Katastrophengebiet erklärt worden waren.

Containerhäuser in der Türkei
IMAGO/ZUMA Wire/Muhammad Ata

Ende April ging der islamische Fastenmonat Ramadan mit dem Zuckerfest Bayram zu Ende. Die Stimmung sei bedrückend gewesen, sagte Bachmann zu ORF.at. „Über all den Städten, die vom Erdbeben betroffen waren, liegt so etwas wie eine kollektive Depression.“

Die psychologische Betreuung der Überlebenden, aber auch der Helferinnen und Helfer stehe aktuell im Fokus der lokalen Partner von Ärzte ohne Grenzen, so Bachmann. Trauer und Schuldgefühle plagen viele der Menschen. Zu den seelischen Wunden kommen oftmals die Folgen körperlicher Verletzungen. Viele Menschen haben alles verloren.

Sichere Rückzugsräume

Eine Zusatzbelastung stellt die Wohnsituation dar: In den Zelten leben vier- bis fünfköpfige Familien auf zwölf Quadratmetern, in den Containern ist nur unwesentlich mehr Platz. Mit mobilen Teams gehen die Helferinnen und Helfer in die oft abgelegenen Bergdörfer der Region.

In den Containersiedlungen seien „Nefes“-Hubs eingerichtet worden, berichtete Bachmann. Nefes ist das türkische Wort für Durchschnaufen. Dabei handle es sich „um sichere, saubere Rückzugsorte“, in denen psychologische Betreuung in Einzel- und Gruppensitzungen angeboten werde.

Für Kinder gibt es Spielmöglichkeiten, für Frauen und Mädchen unter Aufsicht stehende Duschen und Toiletten. Für Mütter wurden Stillplätze geschaffen. Über WLAN können die Menschen mit Verwandten in anderen Landesteilen oder im Ausland kommunizieren.