Der ehemalige pakistanische Premierminister Imran Khan
AP/W.K. Yousafzai
Pakistan

Überraschende Wende im Machtkampf

Nach der Inhaftierung des pakistanischen Ex-Premiers Imran Khan am Dienstag und darauffolgenden Protesten im Land hat der Oberste Gerichtshof am Donnerstag überraschend die Freilassung Khans angeordnet. Bei den teils gewaltsamen Protesten von Khans Anhängerinnen und Anhängern musste auch das Militär eingreifen, mit dem sich Khan zuletzt einen erbitterten Machtkampf geliefert hatte.

Das oberste Gericht in Pakistan hatte am Donnerstag nach Angaben von Khans Anwälten seine Verhaftung für illegal erklärt. Eine offizielle Mitteilung gab es wie in solchen Fällen üblich nicht. Am Freitag soll Khan noch vor dem oberen Gericht in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad erscheinen. Bis dahin soll er in Polizeigewahrsam bleiben.

Der populäre Oppositionsführer wurde am Dienstag unter großem Aufsehen in Islamabad festgenommen. Am Mittwoch wurde er wegen des mutmaßlichen Diebstahls von Staatsgeschenken angeklagt.

Unterstützer des ehemaligen pakistanischen Premierministers Imran Khan vor dem Polizeihauptquartier in Islamabad, wo Kahn in Gewahrsam gehalten wird
APA/AFP/Farooq Naeem
Unterstützer von Imran Khan vor dem Polizeihauptquartier in Islamabad, wo Khan in Gewahrsam gehalten wird

Militär zur Unterstützung herangezogen

Seine Verhaftung führte zu Ausschreitungen in mehreren Städten des Landes. Nachdem Demonstrierende teils gewaltsam für die Freilassung von Khan protestierten und unter anderem auch Brände in Staatseinrichtungen gelegt und Militärgebäude gestürmt hatten, trafen Armee-Einheiten zur Unterstützung der Polizei in der Hauptstadt Islamabad ein. Von mindestens fünf Toten und mehr als 2.000 Festnahmen war zuletzt die Rede.

Ministerpräsident Shehbaz Sharif sprach im Fernsehen von Geiselnahmen und Angriffen auch auf Rettungsfahrzeuge. „Solche Szenen hat man in 75 Jahren nicht erlebt.“ Die Szenen der gewaltsamen Proteste schienen eine Grenze zu überschreiten, schrieb die „New York Times“ („NYT“) – eine Grenze, die in der turbulenten Geschichte Pakistans nur selten überschritten wurde, wenn es darum ging, sich dem Militär zu widersetzen.

Tote bei gewaltsamen Protesten in Pakistan

Nach der Inhaftierung des früheren pakistanischen Ministerpräsidenten Imran Khan haben Massenproteste im gesamten Land begonnen, die auch Tage danach noch andauern. Derweil wurden weitere Spitzenpolitiker seiner Partei festgenommen.

Politik fest im Griff des Militärs

Seit der Gründung des Landes vor 75 Jahren hat das Militär die Politik und Außenpolitik des Landes fest im Griff, hat drei erfolgreiche Staatsstreiche durchgeführt und das Land mehrere Jahrzehnte lang direkt regiert.

Selbst unter zivilen Regierungen behielten die Militärs die Macht, indem sie die von ihnen bevorzugten Politiker einsetzten und diejenigen, die aus der Reihe tanzten, aus dem Amt drängten. Wer das Militär kritisierte, tat das immer nur in verschlüsselter Form. Oft wurde von „dem Establishment“ oder „der heiligen Kuh“ gesprochen, anstatt das Militär oder den mächtigen Geheimdienst des Landes ausdrücklich zu beschimpfen.

Machtergreifung Khans 2018

Mit dem Versprechen, Korruption und Vetternwirtschaft zu bekämpfen und eine Alternative zu den eingefahrenen politischen Dynastien des Landes zu bieten, kam Imran Khan 2018 an die Macht und fuhr einen populistischen Kurs. Damals wurde das Militär beschuldigt, Khan den Weg zur Macht zu ebnen, indem es seine Gegner unter Druck setzte, sich zurückzuziehen oder die Seiten zu wechseln, und die Nachrichtenmedien einschüchterte.

In seiner Regierungszeit verschlechterte sich seine Beziehung zum mächtigen Militär, das seinen Aufstieg zur Macht gestützt hatte, jedoch zunehmend. Im April 2022 wurde er durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt, Nachfolger wurde der konservative Politiker Shehbaz Sharif. Khan wetterte vehement gegen die Generäle und beschuldigte sie, sich gegen ihn und seine politische Bewegung verschworen zu haben.

Ranghoher General beschuldigt

Monatelang hatte Khan einen ranghohen General des pakistanischen Militärgeheimdiensts beim Namen genannt und ihn beschuldigt, hinter einer Schießerei zu stecken, bei der er im November verletzt wurde. Und er hatte Gerichtstermine in einer Reihe von Korruptionsfällen, die gegen ihn angestrengt worden waren, geschwänzt und damit die Behörden geradezu herausgefordert, ihn zu verhaften. Seine Anhänger taten es ihm gleich und nutzten die sozialen Netzwerke, um das Militär zu verunglimpfen und es der Untergrabung der Demokratie zu beschuldigen.

Am Dienstag dürften die Behörden genug gehabt haben und verhafteten Khan in einem, wie die „NYT“ schrieb, eindeutigen Versuch, die Kontrolle wiederzuerlangen, wegen Betrugsvorwürfen. Als er abgeführt wurde, brachen seine Anhängerinnen und Anhänger im ganzen Land in Protesten aus, die sich gegen Militäreinrichtungen richteten. Dabei kanalisierten sie sowohl die Wut, die sich seit der Absetzung Khans aufgestaut hatte, als auch die Frustration über die schwere Wirtschaftskrise gepaart mit einer Rekordinflation.

Angst vor Stillstand im Land

Am Mittwoch gingen die Proteste in den großen Städten weiter, was die Unruhen verschärfte und die Armee veranlasste, in Khans Heimatprovinz Punjab und in Khyber Pakhtunkhwa – beides Hochburgen von Khan – Einheiten einzusetzen. Viele Regierungsbeamte befürchteten, dass ausgedehnte Proteste das Land zum Stillstand bringen könnten und dass die Regierung von Sharif Schwierigkeiten haben könnte, die Proteste einzudämmen. Die Angriffe der Demonstranten auf militärische Einrichtungen beschädigten auch den Ruf des Militärs, was nicht so leicht rückgängig gemacht werden könne.

Von Unterstützern des ehemaligen pakistanischen Premierministers Imran Khan in Brand gestecktes Gebäude von Radio Pakistan in Peshawar
Reuters/Fayaz Aziz
Unterstützer von Imran Khan haben in der Stadt Peshawar ein Gebäude von Radio Pakistan in Brand gesteckt

„Dies hat sich zu einer Verkettung unglücklicher Umstände mit sehr unvorhersehbaren Folgen entwickelt“, sagte Maleeha Lodhi, eine ehemalige pakistanische Botschafterin in den USA und Großbritannien, gegenüber der „NYT“. „In der Vergangenheit fungierte das Militär als Schlichter bei politischen Streitigkeiten. Heute hat das Land keine Institution mehr, die diese Rolle spielen kann.“

Sinkende Unterstützung des Militärs

Ein hartes Vorgehen gegen die Demonstranten berge zudem die Gefahr, dass die Unterstützung des Militärs in der Bevölkerung, die seit Jahrzehnten anhält, weiter schwindet. Viele Pakistanis sehen das Militär zwar immer noch als mäßigende Kraft, die dabei hilft, korrupte politische Dynastien in Schach zu halten. Doch spätestens seit Khans Entmachtung durch das Parlament und der Kritik Khans an den Militärs ist dessen Popularität stark gesunken.

Eine Deeskalation der aktuellen Situation in Pakistan sei schwer vorstellbar, sagte Madiha Afzal, eine Mitarbeiterin der Brookings Institution in Washington, gegenüber der „NYT“. „Pakistan stehen unbeständige, gefährliche Zeiten bevor.“ Unklar ist zudem, was die angeordnete Freilassung von Khan für den weiteren Machtkampf mit dem Militär und für den kommenden November heißt – für dann sind nämlich in Pakistan Wahlen geplant.