Ukrainischer Soldaten in der Nähe von Bachmut
AP/LIBKOS
Ukraine

Anzeichen für Wende in Kampf um Bachmut

Die Ukraine hat am Freitag Gebietsgewinne im Gebiet von Bachmut, seit Monaten Schauplatz schwerer Gefechte, gemeldet, Russland hat umgehend dementiert. Die tatsächliche Lage um die mittlerweile zu einem guten Teil zerstörte Stadt ist denkbar unklar. Dennoch wird über eine mögliche Wende in den Kämpfen spekuliert. Die ukrainischen Verbände wollen russische Einheiten deutlich zurückgedrängt haben. Diese und die Söldnertruppe Wagner scheinen zunehmend Probleme miteinander zu haben.

Die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Hanna Maljar sagte, die russischen Truppen hätten bei den Kämpfen um die Großstadt mit früher an die 70.000 Einwohnerinnen und Einwohnern deutliche Verluste erlitten. Die ukrainischen Verbände seien in den letzten Tagen stellenweise bis zu zwei Kilometer in Richtung Bachmut vorgerückt und hätten selbst keine einzige Position aufgeben müssen.

Meldungen wie diese und Berichte über Durchbrüche ukrainischer Truppen anderswo dementierte Moskau umgehend. „Die Gesamtlage im Gebiet des speziellen militärischen Einsatzes ist unter Kontrolle“, teilte das russische Verteidigungsministerium unter Verwendung der von der Regierung verordneten Bezeichnung für den Krieg in der Ukraine mit.

Angriffe bei der Stadt Soledar seien abgewehrt worden. „Alle Attacken des ukrainischen Militärs wurden zurückgeschlagen. Die russischen Streitkräfte haben keinen Frontdurchbruch zugelassen“, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow.

Ungewöhnlich rasches Dementi aus Moskau

Das Ministerium habe „ungewöhnlich schnell“ auf die ukrainischen Berichte reagiert, schrieb der US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) in seiner täglichen Lageeinschätzung zum Krieg in der Ukraine. Der Kommandierende der Streitkräfte in der Ostukraine, Olexandr Syrskyj, habe über einen russischen Rückzug auf einigen Kilometern berichtet. Das ISW nannte die russischen Stellungen dort „verwundbar“ durch ukrainische Angriffe.

Ukrainischer Panzer in der Nähe von Bachmut
Reuters
Ukrainischer Panzer an der Front in Donezk

Danach berichtete auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi am Freitag von Erfolgen im Kampf um Bachmut. „Wir haben den Bericht von General Syrskyj gehört, dessen Einheiten mit übermächtigen Anstrengungen den Feind aufgehalten und sogar an einigen Abschnitten zurückgeworfen haben“, teilte er nach einer Generalstabssitzung via Telegram mit. Die Lage sei auch an den übrigen Frontabschnitten unter Kontrolle.

Berichte über Durchbrüche durch russische Linien

Zu Warnungen des Chefs der Wagner-Truppe, Jewgeni Prigoschin, und anderen kritischen Stimmen aus Russland zu einer zunehmend schlechten Lage der russischen Truppen in Bachmut äußerte sich Moskau nicht. Der Wagner-Gruppe drohe in Bachmut eine Einkesselung, hatte etwa der russische Journalist Jewgeni Poddubny, der als Sprachrohr des Kreml in dem Krieg gilt, am Donnerstag auf Telegram geschrieben.

Wehrschütz (ORF) zur Gegenoffensive

ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz spricht über die erwartete Gegenoffensive der Ukraine. Sie ist von Waffenlieferungen des Westens abhängig und braucht laut Kiew noch etwas Vorbereitungszeit.

Prigoschin hatte zuvor vor einer drohenden Einkesselung aufgrund ungesicherter Flanken gewarnt. Poddubny berichtete auch von ukrainischen Durchbrüchen bei Kämpfen in der Umgebung von Soledar, das nur wenige Kilometer nordöstlich von Bachmut liegt. Am Freitag lud Prigoschin den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu zu einem Lokalaugenschein nach Bachmut ein.

Konflikte zwischen Wagner und Armee

Prigoschin, der immer als enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin galt, geht zunehmend auf Konfrontationskurs mit dem Kreml. Er beklagte in den letzten Wochen vor allem mangelnde Unterstützung für seine Truppe mit Munition und Ausrüstung. Zuletzt hatte es geheißen, dass offenbar Verbände der russischen Armee bei Bachmut nicht mehr mit den Wagner-Söldnern kooperierten.

Rauch über der Stadt Bachmut
Reuters/Adam Tactic Group
Bachmut ist seit neun Monaten Schauplatz schwerer Kämpfe und großteils unter russischer Kontrolle

CNN schrieb am Freitag über eine „Fehde“ zwischen Prigoschin und Schoigu. Der Kreml räume ein, dass die Lage in Bachmut „schwierig“ sei, aber: Trotz der Konflikte herrsche auf russischer Seite Einheit. Er könne eines sagen, wurde Kreml-Sprecher Dmitri Peskow zitiert, „ja, tatsächlich eine ziemlich emotionale Situation“. Die russische Offensive sei sehr schwierig.

Prigoschin wirft russischen Truppen Flucht vor

Aber alle Verbände, die für Russland kämpften, täten das gemeinsam und mit einem gemeinsamen Ziel, zitierte CNN die russische Nachrichtenagentur TASS. Prigoschin hatte zuletzt behauptet, ein russischer Verband sei bei den Kämpfen um Bachmut geflohen.

Die dortigen russischen Verteidigungslinien „brechen auseinander“, während der russische Generalstab die Lage „verharmlost“, sagte Prigoschin am Freitag in einem Video. Die Kämpfe um Bachmut dauern seit Monaten an, die Wagner-Söldner nahmen auf russischer Seite eine zentrale Rolle dabei ein.

Begonnen oder nicht: Indizien für Offensive vage

Wann die mehrfach angekündigte Gegenoffensive der ukrainischen Armee beginnt, ob alles bisher erst eine Vorbereitung darauf ist oder ob sie tatsächlich bereits angelaufen ist, ist nach wie vor unklar. Nahezu täglich wird von Indizien für einen (baldigen) Beginn berichtet.

Am Freitag berichtete der kremlfreundliche Militärberichterstatter Sascha Kots, Kiew habe seine Offensive bereits begonnen. Als Hinweis darauf nannte er laut BBC-Bericht, dass Kolonnen von Tiefladern mit westlichen Panzern auf der Umfahrungsstraße der Stadt Charkiw gesichtet worden seien. Laut ISW sind Aussagen wie diese Ausdruck einer zunehmenden „Panik“ in Russland zu Spekulationen über einen ukrainischen Gegenangriff.

Der ukrainische Armeesprecher Serhij Tscherewatyj berichtete Donnerstagabend von Versuchen der russischen Einheiten, das weitere Vordringen der Ukrainer mit massiven Artillerie- und Luftangriffen aufzuhalten. Die Intensität der Kämpfe habe zugenommen, sagte Tscherewatyj nach Angaben der Agentur Unian. Allein am Donnerstag seien 165 russische Soldaten getötet und weitere 216 verwundet worden, behauptete er. Seine Angaben konnten ebenso wenig überprüft werden wie die der Gegenseite.

Enerhoatom-Chef: Kampf um AKW nicht nötig

Das Atomkraftwerk Saporischschja könnte bei einer ukrainischen Gegenoffensive nach Ansicht des Betreibers von Gefechten verschont bleiben. Es reiche aus, die russischen Besatzungstruppen im Kraftwerk vom Hinterland abzuschneiden, sagte der Chef des ukrainischen Atomkonzerns Enerhoatom, Petro Kotin, gegenüber CNN. „Wir brauchen nur die Verbindung zwischen dem AKW Saporischschja und der (von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel, Anm.) Krim zu kappen“, so Kotin.

stark beschädigtes Gebäude in Mariupol
Reuters/Alexander Ermochenko
Städte wie Mariupol wurden bei den Kämpfen gegen die russischen Truppen weitgehend zerstört

Das werde erreicht, sobald die ukrainischen Truppen die Großstadt Melitopol gut 90 Kilometer südöstlich des Kraftwerks in Enerhodar erobert hätten. Danach hätten die russischen Truppen nur noch die Möglichkeit, zu fliehen oder sich zu ergeben. Das mit sechs Blöcken größte Atomkraftwerk Europas in Enerhodar war unmittelbar nach dem russischen Einmarsch im vergangenen Jahr besetzt worden.

Warten auf weitere Waffenlieferungen

Selenskyj hatte erst am Donnerstag Erwartungen gedämpft, dass die Gegenoffensive bald beginnen könnte. Dafür fehle nämlich noch Ausrüstung, sagte er in einem BBC-Interview. US-Außenminister Antony Blinken sicherte weitere Waffenlieferungen zu, „wenn es Lücken und Mängel gibt“. Die ukrainische Seite solle das mitteilen, „und wir werden alles tun, um das zu erfüllen“, sagte Blinken dem US-Fernsehsender PBS nach Angaben der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform.

Selenskyj wird am Wochenende erneut nach Westeuropa reisen. In Rom empfängt ihn Staatspräsident Sergio Mattarella am Samstag, wie der Präsidentenpalast am Freitag bestätigte. Es ist der erste Besuch Selenskyjs in Italien seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022. Möglicherweise reist er am Wochenende auch noch weiter nach Deutschland. Bestätigt ist das aber nicht.

China schickt erstmals seit Beginn des Ukraine-Kriegs einen ranghohen Diplomaten für Gespräche nach Kiew. Wie das Pekinger Außenministerium am Freitag mitteilte, wird der für Eurasien-Angelegenheiten zuständige Sonderbeauftragte Li Hui ab Montag die Ukraine, Polen, Deutschland, Frankreich und Russland besuchen, um über eine politische Lösung des Konflikts zu sprechen. Der Besuch eines chinesischen Vertreters in relevanten Ländern zeige, dass China sich für die Förderung von Frieden und Gesprächen einsetze, hieß es dazu aus Peking.

Keine Videobotschaft bei Song Contest

Eine Videobotschaft Selenskyis im Rahmen des Eurovision Song Contest (ESC) wird es nicht geben – um die Sendung nicht weiter zu politisieren, wie es am Freitag hieß. Der ukrainische Staatschef wollte sich angeblich am Samstag beim ESC-Finale in Liverpool mit einer Videobotschaft an die Zuschauerinnen und Zuschauer wenden.

Doch die Europäische Rundfunkunion (European Broadcasting Union, EBU) sprach sich dagegen aus. Selenskyj habe „lobenswerte Absichten“, aber sein Wunsch verstoße „bedauerlicherweise“ gegen die Regeln, teilte die EBU mit. In Kiew dementierte Selenskyjs Sprecher auf Facebook, dass sich das Präsidentenbüro mit einer derartigen Bitte an die EBU gewandt habe.

Eigentlich dürfte die Ukraine den diesjährigen Song Contest ausrichten, nachdem 2022 die ukrainische Band Kalush Orchestra den Wettbewerb gewonnen hatte. Die EBU verlegte die Show aber wegen des andauernden russischen Angriffskrieges gegen das Land nach Großbritannien, das 2022 mit Sam Ryder den zweiten Platz belegt hatte.