Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seinem Besuch in Rom
Reuters/Remo Casilli
Von Rom nach Berlin

Selenskyj besucht Deutschland

Schon am Samstag hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein umfangreiches Besuchsprogramm in Italien gehabt – von Italiens Spitzenpolitik bis zu Papst Franziskus. Am Sonntag wird er erstmals seit Beginn der russischen Invasion in Deutschland erwartet, wie am Samstag aus deutschen Regierungskreisen bekanntwurde. Selenskyj und das ukrainische Volk sollen mit dem Aachener Karlspreis ausgezeichnet werden.

Selenskyj ist Sonntagfrüh von Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen worden. Er traf im Schloss Bellevue in Berlin ein, wo er sich nach einem Gespräch mit Steinmeier in das Gästebuch eintrug. Später ist ein Treffen mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz vorgesehen.

„In der schwierigsten Zeit in der modernen Geschichte der Ukraine hat sich Deutschland als unser wahrer Freund und verlässlicher Verbündeter erwiesen, der im Kampf für die Verteidigung von Freiheit und demokratischen Werten entschieden an der Seite des ukrainischen Volkes steht“, schrieb Selenskyj auf Englisch. „Gemeinsam werden wir gewinnen und den Frieden nach Europa zurückbringen.“ Ausdrücklich bedankte sich Selenskyj bei Steinmeier persönlich für dessen Unterstützung.

Erster Besuch seit Kriegsbeginn

Es ist Selenskyjs erster Besuch in Deutschland seit Kriegsausbruch in der Ukraine. „Ich bin schon in Berlin“, twitterte Selenskyj gegen 00.30 Uhr. Details zum Programm nannte er nicht. Vielmehr lobte er die deutsche Unterstützung im Krieg. „Waffen. Starkes Paket. Luftverteidigung. Wiederaufbau. EU. NATO. Sicherheit“, schrieb er im Telegrammstil.

Unklar ist, ob der ukrainische Präsident für die Preisverleihung am Nachmittag nach Aachen weiterreisen wird. „Wir planen weiter zweigleisig – mit ukrainischer Präsenz vor Ort oder im Videocall“, sagte der Vorsitzende des Karlspreis-Direktoriums, Jürgen Linden, gegenüber dem „Tagesspiegel“. Der Karlspreis für europäische Verdienste wurde Selenskyj und den Ukrainern und Ukrainerinnen bereits im Dezember vergangenen Jahres zugesprochen.

Sicherheitsvorkehrungen verstärkt

Selenskyj kam in einem deutschen Regierungsflugzeug nach Berlin. Wie die deutsche Luftwaffe am Sonntag in der Früh mitteilte, wurde er am Samstagabend von einem Airbus A319 der Flugbereitschaft abgeholt. Zwei Eurofighter seien vom Fliegerhorst Lechfeld südlich von Augsburg gestartet und hätten Selenskyj „sicher nach Berlin“ eskortiert.

Die Polizei setzte für Teile des Zentrums der Hauptstadt deutlich verstärkte Sicherheitsvorkehrungen um. Durch eine Allgemeinverfügung gelten bis 18.00 Uhr umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen und Verkehrssperrungen. Besonders betroffen sind die Bereiche rund um das Regierungsviertel in Berlin-Mitte. Auch das Befahren der Spree war damit unter anderem auf Höhe des Bundeskanzleramtes nicht mehr möglich.

Mattarella und Meloni sichern Unterstützung zu

In Rom traf Selenskyj bereits am Samstag Staatspräsident Sergio Mattarella und Italiens Premierministerin Giorgia Meloni und warb um Unterstützung und für eine Aufnahme seines Landes in die EU. „Die Zukunft der Ukraine ist eine Zukunft des Friedens und der Freiheit in Europa“, sagte Meloni, die der Ukraine volle Unterstützung mit Waffenlieferungen und humanitärer Hilfe garantierte.

Selenskyj in Rom

Unter höchster Geheimhaltung hat der Präsident Ukraine, Selenskyj, am Samstag in Italien seine EU-Visite mit einem Besuch bei der italienischen Staatsführung und einer Audienz beim Papst begonnen.

Die Ukraine sei ein „Sicherheitsvorposten des gesamten europäischen Kontinents“. Sie appellierte an Moskau, die Aggression zu beenden und seine Truppen abzuziehen. Mattarella betonte nach dem Gespräch, es müsse ein „echter Frieden sein und keine Kapitulation“. Selenskyj sprach eine Gegeneinladung in die Ukraine aus, damit sich seine Gesprächspartner selbst ein Bild davon machen könnten, was Russland durch seinen Angriffskrieg angerichtet habe.

Audienz bei Papst Franziskus

Am Samstagnachmittag stand auch noch eine Audienz bei Papst Franziskus auf dem Programm. Das 40-minütige Gespräch wurde von einem Dolmetscher begleitet. „Ich danke Ihnen für diesen Besuch“, sagte der Papst, als er Selenskyj begrüßte. „Es ist eine große Ehre", antwortete der Präsident. Er habe den Papst in einem persönlichen Gespräch aufgefordert, Russlands Verbrechen im Angriffskrieg gegen die Ukraine zu verurteilen, teilte Selensykj danach in Twitter mit." Opfer und Aggressor können nicht gleichgesetzt werden.“

Das Treffen war mit Spannung erwartet worden, denn der Papst betont immer wieder, jede Gelegenheit ergreifen zu wollen, um für Frieden in der Ukraine zu werben. Den Angreifer Russland nennt er bei solchen Gelegenheiten zumeist allerdings nicht. Er hatte sich mehrmals zu einer Reise nach Kiew bereit erklärt – allerdings nur unter der Bedingung, dann auch nach Moskau reisen zu können. Nur so könne man neutraler Vermittler für den Frieden sein, argumentierte der Papst.

Papst Franziskus empfängt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Vatikan
Reuters/Vatican Media
Selenskyj bezeichnete den Empfang beim Papst als „große Ehre“

Der Papst persönlich war es, der von einer möglichen vatikanischen Friedensmission zwischen Russland und der Ukraine sprach. Da sei etwas im Gange, teilte er am 30. April im Luftraum zwischen Budapest und Rom der Öffentlichkeit überraschend mit. Mehr wollte er damals jedoch nicht sagen.

Differenzen zwischen Papst und Selenskyj

In einem Fernsehinterview nach der Audienz beim Papst machte Selenskyj deutlich, dass die Ukraine keine Vermittler brauche. Mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin könne man nicht verhandeln: „Der Krieg ist in der Ukraine, und der Friedensplan muss ukrainisch sein.“

Unterdessen verbreitete das vatikanische Portal Vatican News Aufnahmen von der Begegnung des ukrainischen Präsidenten mit dem Papst, die zeigen, wie Selenskyj sich vor seinem Gastgeber hinsetzte und sich zur Begrüßung einer weiteren Person nicht vom Platz erhob, während der Papst weiterhin stand. Bilder vom langen Gespräch mit dem Papst, bei dem vor Selenskyj ausführliche Sprechzettel auf dem Tisch lagen, zeigten Papst Franziskus und seinen Gast in angespannter Haltung.

Waffen um 2,7 Mrd. Euro aus Deutschland

Bereits Samstagvormittag hieß es aus Berlin, dass Deutschland der Ukraine weitere Waffen zur Verfügung stellen werde – insgesamt in einem Wert von rund 2,7 Mrd. Euro. Der Beschluss der Bundesregierung zeige, dass es Deutschland „mit seiner Unterstützung ernst ist“. Geliefert werden sollen Artillerie, Kampfpanzer und Luftabwehrsysteme. Deutschland verdoppelt damit seine bisherige Unterstützung für die Ukraine.

Lange hat sich Berlin vorwerfen lassen müssen, nur Versprechungen zu machen, nun hat die Bundesregierung in Berlin grünes Licht für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine gegeben, wie das deutsche Verteidigungsministerium Samstagvormittag bestätigte.

IRIS-T SLM Launcher
IMAGO/Political-Moments
Das Luftabwehrsystem IRIS-T ist gegen Flugzeuge, Lenkwaffen und Drohnen einsetzbar

Verteidigungsministerium bestätigt Bericht

Laut übereinstimmenden Angaben sollen aus Deutschland Artillerie, Kampf-, Schützen- und Luftabwehrpanzer sowie weitere Flugabwehrsysteme in die Ukraine geliefert werden – konkret: 30 Kampfpanzer vom Typ Leopard 1, 20 Schützenpanzer Marder und vier radargestützte Luftabwehrsysteme vom Typ IRIS-T SLM, wie das Verteidigungsministerium in Berlin einen Bericht des „Spiegel“ bestätigte.

Bereits Ende März hatte die Ukraine 18 hochmoderne Kampfpanzer Leopard 2A6 aus deutscher Produktion samt Munition erhalten. Die deutsche Bundesregierung hatte am 25. Jänner nach längerem innenpolitischen Ringen das Ziel ausgegeben, „rasch zwei Panzerbataillone mit Leopard-2-Panzern für die Ukraine zusammenzustellen“. Diese sind in der Ukraine üblicherweise mit jeweils 31 Stück ausgestattet. Beteiligt an der Initiative sind vor allem Polen sowie Norwegen, Kanada und Spanien.

Pfeifer zu Selenskyjs EU-Visite

Andreas Pfeifer analysiert, was von Selenskys Besuch am Sonntag in Berlin zu erwarten ist.

Lob aus Kiew

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba mahnte mit Blick auf das neue deutsche Paket Tempo ein. Die Ukraine benötige alles immer so schnell wie möglich, sagte er am Samstag am Rande eines Treffens mit Kollegen aus EU-Staaten in Schweden. Man schätze es, wenn alles dafür getan werde, um Lieferungen zu beschleunigen. Über Zeitpläne könne man diskutieren.

Es gab aus Kiew aber auch viel Lob für die Zusagen. „Olaf Scholz demonstriert mit diesem historischen Paket, dass die militärische Unterstützung fortgesetzt wird, solange es notwendig ist“, sagte der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko gegenüber der „Welt am Sonntag“. „Wenn ich daran denke, dass vor Beginn des Krieges noch über 5.000 Helme diskutiert wurde, hat die deutsche Regierung eine beeindruckende Entwicklung gemacht und ist zu einem der wichtigsten Freunde der Ukraine geworden.“