Menschen auf einem öffentlichen Platz in Athen
IMAGO/Nikolas Kokovlis
13 Jahre

Griechenlands schwerer Weg aus der Krise

Staatsschulden- und Euro-Krise, Rufe nach einem „Grexit“, Hunderte Milliarden Euro Schulden, Buhmann der Währungsunion: 2010 ist Griechenland vor dem Abgrund gestanden. Mehrere Regierungen und 13 Jahre später hat sich das Land halbwegs erholt, die Wirtschaft wächst schneller als viele andere in der Euro-Zone. Der Weg aus der Krise war für die Griechinnen und Griechen hart und ist auch noch nicht zu Ende.

Heute spukt das Gespenst des „Grexit“, eines hypothetischen Ausscheidens Athens aus der Euro-Zone, nicht mehr, dort, wo in der Krise Immobilien in der griechischen Hauptstadt verwaist waren, beklagten sich die Bewohner heute über steigende Mietpreise, hieß es kürzlich im „Wall Street Journal“ – ein Indiz unter anderem für den deutlichen wirtschaftlichen Wiederaufschwung.

Und dennoch: Die Wirtschaftsleistung liege deutlich unter dem Niveau von 2008, gemessen an der Kaufkraft gehöre Griechenland nach Daten der Weltbank zu den ärmsten Ländern Europas. Allerdings wuchs die griechische Wirtschaft im Vorjahr um fast sechs Prozent, 2021 waren es über acht Prozent gewesen, Investoren seien zurückgekehrt, weniger junge Menschen verließen das Land auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Perspektiven als in den letzten Jahren. In Griechenland findet am Sonntag eine Parlamentswahl statt.

Weg „weder zu Ende noch unumkehrbar“

Es habe deutliche Fortschritte gegeben, zitierte das „Wall Street Journal“ den Vorsitzenden des größten griechischen Industrieverbandes SEV, Dimitri Papalexopoulos. Der Weg sei aber weder zu Ende gegangen noch unumkehrbar. Vor allem im öffentlichen Sektor, etwa im Steuer- und Rechtssystem, gebe es immer noch Reformbedarf. Die Staatsschuldenquote von 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sei immer noch die höchste in der Euro-Zone.

Schiffswerft von Elefsina
IMAGO/Giorgos Kontarinis
Die griechische Wirtschaft wächst nach jahrelangen Problemen aktuell deutlich

Ein großer Hoffnungsschimmer: Ende April hatte die US-Ratingagentur S&P Global Ratings, vormals Standard & Poor’s, den Ausblick für Griechenland von „stabil“ auf „positiv“ angehoben und das Rating von „BB+/B“ bestätigt. Diese Bonitätsnote ist zwar noch etwas wackelig („spekulativ“), aber der positive Ausblick spiegle wider, dass das Land erfolgreich auf Reformkurs sei, lautete die Begründung der Ratingagentur sinngemäß.

Ausgang der Parlamentswahl ein Faktor

Athen habe sein Haushaltsdefizit schneller als erwartet abgebaut, die Exportquote sei gestiegen, S&P gehe davon aus, dass sich der Wachstumstrend fortsetzen werde. Griechenland befinde sich „an der Schwelle“ zum Rating „investment grade“ („BBB“, „anlagewürdig“), schrieb kürzlich die „Financial Times“.

Frau mit Kind an einem Bankomaten
AP/Thanassis Stavrakis
Die griechische Wirtschaftspolitik stand jahrelang unter Aufsicht

In einem Interview mit der Zeitung im März hatte der Chef der griechischen Zentralbank, Yannis Stournaras, die Hoffnung geäußert, Athen sei nur noch Monate davon entfernt, 2023 werde das Jahr sein, in dem zwölf Jahre „Ramschstatus" Geschichte sein werden. Das wird aber auch vom Ausgang der Parlamentswahl und davon, wie das Land seinen Reformkurs fortsetzt, abhängig sein.

„Nichts ist unmöglich“

Der Vorstandsvorsitzende der drittgrößten griechischen Bank, Eurobank, Fokion Karavias, sagte gegenüber dem „Wall Street Journal“, eine Rückkehr zum Rating „investment grade“ wäre die bisher wohl „größte Wende im europäischen Finanzsystem“. An den Einschätzungen der großen Ratingagenturen hängen die Refinanzierungskosten für den Staat – je schlechter, desto teurer wegen des Ausfallsrisikos.

Es habe viele Stimmen gegeben, die den Ausschluss Athens aus der europäischen Währungsunion gefordert hatten, so Karavias. Es sei argumentiert worden, dass die griechischen Finanzen nie stabil sein würden, dass das Land nie einen Haushaltsüberschuss erwirtschaften und seine faulen Kredite abbauen werde können. Am Ende sehe man nun: „Nichts ist unmöglich“.

Touristen in Athen
AP/Petros Giannakouris
Der Tourismussektor hat sich nach der CoV-Pandemie erholt

Eine Rückkehr Griechenlands zu stabilen Verhältnissen wäre der beste Beweis dafür, dass die Euro-Zone die Staatsschuldenkrise ab 2010 endgültig überwunden habe, schrieb das „Wall Street Journal“. Laut der Zeitung beliefen sich die ausländischen Investitionen in Griechenland im letzten Jahr auf knapp sieben Milliarden Euro. Der für die griechische Volkswirtschaft wichtige Tourismussektor hat sich nach der Coronavirus-Pandemie deutlich erholt.

Jahre unter Argusaugen der „Troika“

Jahrelang war als Folge der griechischen Staatsschulden- und der Euro-Krise die „Troika“ aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission, später erweitert um den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) auf die „Quadriga“, in Athen aus und ein gegangen, um der griechischen Regierung in puncto Wirtschaftspolitik auf die Finger zu schauen. Die strenge Austeritätspolitik und ihre Auflagen sorgten auch für viel Kritik. Griechenland erhielt mehrere hundert Milliarden Euro an Krediten mit langen Rückzahlungsfristen.

George Papandreou und Dominique Strauss-Kahn 2010
Reuters/Yiorgos Karahalis
Der frühere Premierminister Giorgos Papandreou mit dem damaligen IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn im Jahr 2010

Schuldenkrise Thema vor der Wahl

Das Thema Staatsschuldenkrise und deren Überwindung spielte naturgemäß auch eine Rolle im laufenden Wahlkampf. In einer TV-Debatte warnte der konservative Regierungschef Kyriakos Mitsotakis vor erneuter politischer und wirtschaftlicher Instabilität. „Die Bürger sind aufgefordert zu entscheiden, ob wir weiter voranschreiten oder in eine Vergangenheit zurückkehren, von der ich glaube, dass wir sie vergessen wollen“, sagte er in der Diskussion mit den Chefs der sechs größten Parteien mit Blick auf die frühere schwere Finanzkrise seines Landes.

Frau bei Reparatur von Fischernetz
AP/Petros Giannakouris
Das international verordnete Sparprogramm war für die Griechen schwer zu stemmen

Seine Partei Nea Dimokratia, die in Umfragen zuletzt deutlich voran lag, hat zum Ziel erklärt, wieder allein regieren zu wollen. Die stärkste Oppositionspartei, die linke SYRIZA, strebt ein Mitte-links-Bündnis an. Gerade jene Parteien, die in den vergangenen Jahrzehnten allein regierten, hätten das Land erst in die schwere Krise geführt, argumentierte SYRIZA-Chef Alexis Tsipras, von 2015 bis 2019 griechischer Regierungschef, in der Debatte, die von allen großen TV-Sendern übertragen wurde.

Regierungspartei schreibt sich Erfolge auf ihre Fahnen

Mitsotakis’ Nea Dimokratia dürfte trotz ihres Vorsprungs keine Parlamentsmehrheit erreichen, hieß es zuletzt, was auf einen weiteren Wahlgang im Juli hinauslaufen würde, so das „Wall Street Journal“. Sie schreibt sich die Erfolge der letzten Jahre auf ihre Fahnen. 2019 hätte die Bevölkerung beklagt, die Steuern seien zu hoch, und es gebe zu wenige Arbeitsplätze, sagte der führende Wirtschaftsberater des Regierungschefs, Alex Patelis, der Zeitung. „Vier Jahre später ist das Bild ein anderes.“

Zugsunglück als Alarmsignal für Staatsbetriebe

Mitsotakis kündigte auch eine Reform der Staatsbetriebe an, nachdem bei einem Zugsunglück im Norden des Landes Ende Februar 57 Menschen ums Leben gekommen waren. Die Regierung räumte danach staatliches Versagen ein, Verkehrsminister Kostas Karamanlis trat zurück. Verzögerungen bei der Modernisierung des griechischen Bahnnetzes seien auf „chronische“ Probleme und „jahrzehntelanges Versagen“ in der Verwaltung zurückzuführen, sagte Regierungssprecher Giannis Economou.

Es gab tagelange Proteste, die griechischen Eisenbahner traten nach dem schwersten Zugsunglück in der bisherigen Geschichte des Landes in einen Streik. Ein Bahnhofsvorsteher in der Stadt Larisa hatte den Personenzug auf die falschen Gleise geschickt. Anschließend kam es zu dem Frontalzusammenstoß mit einem Güterzug.