Scorsese für Indigenenthriller in Cannes gefeiert

Western, True Crime und toxische Liebesgeschichte: Martin Scorseses 25. Spielfilm, „Killers of the Flower Moon“, der Samstagabend in Cannes Weltpremiere feierte, ist ein aufregendes Filmchamäleon. Eine Serie von Morden, die vor hundert Jahren an Mitgliedern des Osage-Stamms im Osage County, Oklahoma, begangen wurden, steht im Mittelpunkt des Films, der zu Recht als das größte Ereignis des diesjährigen Filmfestivals von Cannes gefeiert wird.

Martin Scorsese, Leonardo DiCaprio und Robert De Niro
Reuters/Eric Gaillard

„Es fühlt sich sehr gerecht an“, so Hauptdarstellerin Lily Gladstone über den Triumph des Films, der außerhalb des Wettbewerbs läuft. Gladstone („First Cow“) spielt darin die Indigene Mollie Kyle, Mitglied des Osage-Stammes, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Erdölfunde auf dem Gebiet seines Reservats innerhalb weniger Jahre zu einem der reichsten Völker der Welt wurde.

DiCaprio, De Niro und das Herz des Films

Durch den Reichtum wurden die Osage zugleich zum Ziel grenzenloser Betrügereien durch gierige Weiße, was in einer bis heute nur teilweise aufgeklärten Mordserie gipfelte. Das Drehbuch beruht auf dem gleichnamigen Sachbuch des amerikanischen Journalisten David Grann und hält sich an die historischen Fakten um die Verbrechen, die an den Osage begangen wurden, im Namen des Fortschritts, getrieben von Macht- und Geldgier.

Leonardo DiCaprio ist als Ernest Burkhart zu sehen, der Mollie umwirbt und schließlich heiratet, Robert De Niro spielt Ernests Onkel William King Hale, einen reichen Viehzüchter, der nur vordergründig das Beste für den Stamm will. Ursprünglich hatte Scorsese den Film als Krimi aus der Sicht von J. Edgar Hoovers Bureau of Investigation geplant, erläuterte der Regisseur vor der versammelten Presse in Cannes.

Komplett umgeschrieben

DiCaprio hätte den Agenten Tom White spielen sollen, der die Mordserie aufklären soll. „Aber dann sagte Leo zu mir: Was ist eigentlich das Herz der Geschichte?“ Scorsese und DiCaprio, der auch als ausführender Produzent in den Film involviert war, trafen gemeinsam Vertreterinnen und Vertreter der Osage Nation, woraufhin sich der Fokus des Films radikal änderte.

„Killers of the Flower Moon" ist nun aus der Perspektive von Mollie erzählt, die Gladstone als Frau mit stiller Ironie und unbeugsamer Kraft spielt, und aus Sicht ihres Ehemanns Ernest, den DiCaprio als erschütternd schwachen Mann unter dem Einfluss seines niederträchtigen Onkels spielt. Erst dieser Perspektivwechsel macht aus dem Stoff einen bedeutenden Film, so der ebenfalls in Cannes anwesende Geoffrey Standing Bear, Principal Chief der Osage Nation.

„Vertrauen wiederhergestellt“

„Ich habe Marty Scorsese bei einem unserer ersten Treffen gefragt, wie er die Geschichte anlegen will“, so Standing Bear „Und er sagte: ‚Ich will von Vertrauen erzählen, zwischen Ernest und Mollie und zwischen der Außenwelt und den Osage, und ich will von Verrat erzählen.‘ Mein Volk leidet bis heute unter diesem Verrat, aber Marty und sein Team haben zumindest unser Vertrauen wiederhergestellt.“

De Niro, auf die Figur des zwielichtigen Bill Hale angesprochen, sagte: „Das Schaurige an dieser Geschichte ist, dass der Rassismus systemisch ist“, und berichtete, dass dem historischen Hale bis zuletzt viele geglaubt hatten. „Aber schauen Sie sich Trump an. Es gibt ernsthaft Leute, die immer noch glauben, dass er einen guten Job macht. Wie verrückt ist das!“

Die Premiere des von Apple-TV produzierten Films sahen in Cannes 2.500 Menschen, ein weltweiter Kinostart ist für November geplant.