Polizisten tragen bei einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg einen Karton zu einem Fahrzeug
APA/dpa/Christoph Soeder
Deutschland

Große Razzia bei „Letzter Generation“

Mit einer großen Razzia sind Polizei und Staatsanwaltschaft in Deutschland Mittwochfrüh gegen die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten.

Der Vorwurf lautet Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Festnahmen gab es nicht. Zwei der Verdächtigen stehen den Ermittlern zufolge im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Ölpipeline Triest – Ingolstadt zu sabotieren.

Unter anderem wurde die Wohnung der Sprecherin der „Letzten Generation“, Carla Hinrichs, durchsucht. Die Tür sei von mehr als 25 Beamtinnen und Beamten aufgebrochen worden, erklärte die Gruppe später. Diese seien „mit gezogener Waffe“ in ihr Zimmer gestürmt, in dem sie noch im Bett gelegen sei.

Deutschlandweite Razzien bei „Letzter Generation“

Beamte der deutschen Polizei und Staatsanwaltschaft haben am Mittwoch in sieben Bundesländern Objekte der Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ durchsucht. Insgesamt wurden 15 Objekte durchsucht, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten.

Hintergrund der Ermittlungen und Durchsuchungen sind laut Staatsanwaltschaft zahlreiche Strafanzeigen. Die Gruppe macht regelmäßig mit Sitzblockaden und Aktionen in Museen auf die fatalen Folgen der Erderhitzung aufmerksam. Die Mitglieder kleben sich dabei häufig fest – an Straßen und in Museen. Auch in Österreich blockieren die Aktivistinnen und Aktivisten regelmäßig unter anderem den Frühverkehr, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen.

Demo in Berlin

Einige hundert Unterstützerinnen und Unterstützer demonstrierten am Mittwochabend gegen das Vorgehen der Behörden. Sie folgten einem Aufruf der Gruppe, die über Twitter zu Demonstrationen unter anderem in Berlin, Hamburg, Dresden und Hannover aufrief. Die Berliner Polizei sprach von etwa 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Demonstrierenden gingen auf der Straße verteilt langsam Richtung Brandenburger Tor.

„Letzte Generation“-Sprecherin Hinrichs sagte am Rande der Demo, persönlich habe sie jetzt Angst, dass der Staat einfach in ihr Zimmer stürmen und ihre Sachen mitnehmen könne. Dass man die Gruppe kriminalisiere, werde sie aber nicht vom Widerstand gegen eine falsche Klimaschutzpolitik abhalten. Auch die „Letzte Generation“ hatte ein Video mit einem Bericht von Hinrichs bei Twitter veröffentlicht.

Polizeifahrzeuge stehen bei einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg in einer Straße
APA/dpa/Christoph Soeder
In den frühen Morgenstunden startete die Polizei den Einsatz

Innenministerium verteidigt Razzia

Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte unterdessen die Razzia. „Die heutigen Maßnahmen zeigen, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“, sagte Faeser der Funke-Mediengruppe. „Polizei und Justiz nehmen Straftaten nicht hin, sondern handeln – so wie es ihre Pflicht ist“, fügte sie hinzu.

„Die rote Linie im Rechtsstaat ist ganz klar – legitimer Protest endet immer da, wo Straftaten begangen und andere in ihren Rechten verletzt werden“, so Faeser. „Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln.“ Mit Blick etwa auf Straßenblockaden zeigte Faeser „nicht das geringste Verständnis für diese Aktionen und die begangenen Straftaten“.

Andere Klimaschutzgruppen solidarisch

Klimaschutzaktivisten und -aktivistinnen reagierten mit scharfer Kritik. Die Gruppe „Ende Gelände“ kritisierte auf Twitter, Razzien gebe es bei denen, „die vor der Klimakrise warnen, und nicht bei denen, die dafür verantwortlich sind“. Die „Letzte Generation“ selbst fragte auf Twitter, wann Lobbystrukturen durchsucht und „fossile Gelder der Regierung“ beschlagnahmt würden. Aktivisten von „Extinction Rebellion“ solidarisierten sich ebenfalls mit den Beschuldigten. „Lobbys und Konzernen legen wir das Handwerk nur gemeinsam“, schrieben die Umweltaktivisten am Mittwoch auf Twitter und bekundeten ihre Unterstützung.

Zentraler Vorwurf im Zusammenhang mit den Durchsuchungen ist laut Polizei und Generalstaatsanwaltschaft, dass die Beschuldigten eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die „Letzte Generation“ organisiert und so mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt haben sollen. Dieses Geld sei nach bisherigen Erkenntnissen „überwiegend auch für die Begehung weiterer Straftaten“ eingesetzt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Wie viel davon beschlagnahmt wurde, sagte die Polizei nicht. Ziel der Durchsuchungen sei auch „das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur“ gewesen, hieß es.

Durchsuchungen gab es in sieben Bundesländern, konkret in Hessen im Bezirk Fulda, in Hamburg, Sachsen-Anhalt (Magdeburg), Sachsen (Dresden), Bayern (Augsburg und München), Berlin und im Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Die Einsätze verliefen ersten Informationen nach friedlich. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wurde auch die Website der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet.

Polizisten gehen bei einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg zu einem Gebäude
APA/dpa/Christoph Soeder
Die Einsätze verliefen laut Polizei friedlich und ohne Widerstand

Aggressionen und Angriffe gegen Klimaschützer

In den vergangenen Wochen war das Umfeld für die Aktivistinnen und Aktivisten extrem rau geworden. Genervte Autofahrer schlugen und traten die Protestierenden öfters und schleiften sie gewaltsam von der Straße, und das Landgericht Potsdam bestätigte erstmals den Anfangsverdacht, dass die Gruppe eine kriminelle Vereinigung sein könnte. Diese Woche äußerte sich auch Deutschlands Kanzler Olaf Scholz extrem kritisch und nannte die Anklebeaktionen der Gruppe „völlig bekloppt“.

Razzien bei „Letzter Generation“

Mit einer großen Razzia sind Polizei und Staatsanwaltschaft in Deutschland Mittwochfrüh gegen die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten.

Die „Letzte Generation“ in Deutschland forderte anfangs ein „Essen-retten-Gesetz“ gegen Lebensmittelverschwendung. Die derzeitigen Forderungen sind Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Verkehr.

Ermittler: Kein Verdacht auf „terroristische Vereinigung“

Angesiedelt sind die Ermittlungen bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München betonte aber, dass das nicht bedeute, dass man die „Letzte Generation“ als extremistisch oder terroristisch einstufe. „Wir gehen nach jetzigem Ermittlungsstand davon aus, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt – wohlgemerkt nicht um eine terroristische“, sagte der Sprecher. Das wolle man gerichtlich prüfen lassen.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft begrüßte die Durchsuchungen. „Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates“, sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt in Berlin. Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser nannte die Aktion „vollkommen unverhältnismäßig“. Es könne nicht sein, dass besorgte Menschen, die sich für mehr Klimaschutz einsetzen, kriminalisiert werden.

Der stellvertretende Vorsitzende der Linken, Lorenz Gösta Beutin, nannte die Razzien völlig überzogen. Die Menschen, die sich der „Letzten Generation“ zurechneten, setzten auf friedlichen zivilen Ungehorsam, um auf die Klimakatastrophe und das Versagen der Bundesregierung aufmerksam zu machen. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schrieb auf Twitter: „Klimaschutz ist ein richtiges und drängendes Anliegen. Klimaschutz gegen Rechtsstaat, Demokratie und die Bevölkerung dagegen nicht.“

Weiterer Polizeieinsatz gegen Klimaschutzcamp

Auch nahe dem niedersächsischen Bramsche rückte die Polizei am Mittwoch zu einem Einsatz in einem Camp von Aktivisten aus, die gegen eine geplante Rodung eines Waldes für eine Autobahn protestieren. Polizei und Staatsanwaltschaft in Osnabrück teilten mit, die Durchsuchung stehe im Zusammenhang mit Ermittlungen zu „diversen Straftaten“, für die mutmaßlich Bewohner des Camps verantwortlich seien. Unter anderem gehe es um die Beschädigung von Hochsitzen für die Jagd.

Darüber hinaus ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben wegen Brandstiftung an einem Bagger und illegaler Fällung von Bäumen, die anschließend im Camp verbaut worden sein sollen. Ziel der Durchsuchungen sei es, „Beweismittel und Diebesgut“ zu finden sowie mögliche Beschuldigte zu identifizieren. Die Räumung des Camps sei „explizit“ nicht geplant, hieß es.

Die Aktivistinnen und Aktivisten halten das Waldstück zwischen Bramsche und Wallenhorst nach eigenen Angaben bereits seit fast einem Jahr besetzt. Sie errichteten ein Camp mit Baumhäusern, um gegen den Weiterbau der Autobahn 33 zu protestieren. Diese soll in dem Bereich nördlich von Osnabrück mit der A1 verbunden werden. Laut Aktivisten soll dafür Wald gerodet werden.