Menschen auf einer Demonstration in Los Angeles
Reuters/Lucy Nicholson
Abtreibungen, Gender, Bücher

USA im Bann ideologischer Grabenkämpfe

Die politischen Debatten über Abtreibungen, Genderfragen, Bücher für junge Menschen und „Wokeness“ entzweien die USA zunehmend. Und die Kluft zwischen Konservativen und Liberalen dürfte noch weiter auseinandergehen: Im kommenden Präsidentschaftswahlkampf wollen konservative Gruppen unter anderem die mittlerweile zahlreichen Abtreibungsverbote thematisieren. Mit Gegenwind ist zu rechnen.

In großen Teil des Süden der USA sind Abtreibungen mittlerweile verboten oder stark eingeschränkt. Verboten sind sie unter anderem in Alabama, Arkansas, Kentucky, Mississippi und Oklahoma, starke Einschränkungen gibt es etwa in Texas and West Virginia. In North und South Carolina sollen demnächst ebenfalls Verschärfungen in Kraft treten – damit wäre Virginia der letzte der südöstlichen Bundesstaaten, der derzeit Abtreibungen nach der zwölften Woche ermöglicht.

Bereits jetzt sind die sozialen Netzwerke voll mit Personen, die sich für oder gegen die Abtreibungsverbote aussprechen und positionieren – und es werden wohl mehr werden. Denn das Thema soll auch im kommenden Präsidentschaftswahlkampf eine große Rolle spielen, wenn es nach den Befürwortern des Verbots geht.

Die Abtreibungsgegner von Pro-Life America wollen unter anderen mit der früheren Beraterin von Ex-Präsident Donald Trump, Kellyanne Conway, zusammenarbeiten, um das Thema und die politischen Befürworter und Befürworterinnen im kommenden Wahlkampf entsprechend zu positionieren. Unterdessen laufen zahlreiche Klagen gegen die Verbote, auch mit Unterstützung der Organisation Planned Parenthood, die das Recht auf Abtreibung unterstützt.

Florida als konservative Speerspitze

Der „Sunshine State“ Florida unter dem republikanischen Gouverneur Ron DeSantis, seit Kurzem Bewerber als Kandidat der Republikaner für die Präsidentenwahl 2024, sticht in der Debatte nicht nur über Abtreibungen immer wieder besonders hervor. DeSantis fährt einen scharf rechten Kurs in gesellschaftspolitischen Fragen, mitunter schärfer als der frühere Präsident Trump. Während der CoV-Pandemie verteufelte DeSantis die Maskentragepflicht und griff den obersten CoV-Berater von Trump, Anthony Fauci, gezielt und untergriffig an.

DeSantis wettert auch laufend gegen „Wokeness“. „Woke“ steht ursprünglich für politisch engagiert und „wach“ gegen Diskriminierung und wird in bestimmten konservativen Kreisen als Schimpfwort für linke Politik benutzt. So bezeichnete DeSantis etwa den Disney-Konzern als „woke“ – nicht zuletzt weil der Konzern sich gegen das von DeSanstis initiierte, als schwulenfeindlich bezeichnete Gesetz „Parental Rights in Education Bill“ stellt, von Kritikerinnen und Kritiker auch „Don’t Say Gay“-Gesetz genannt. Disney blies daraufhin nach erbittertem Streit die lange geplante Expansion in Florida wieder ab.

Mit dem 2022 beschlossenen Gesetz soll die Diskussion von Fragen zu Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung in öffentlichen Schulen eingeschränkt und eben der „Woke“-Diskussion Einhalt geboten werden. Im April des heurigen Jahres setzte DeSantis dann ein Verbot von Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche in Kraft. Auch South Carolina will Abtreibungen nach der sechsten Woche – ein Zeitpunkt, an dem viele Frauen noch gar nicht wissen, dass sie überhaupt schwanger sind – verbieten.

Mehr und mehr Bücher unerwünscht

Für viel Aufregung sorgen auch die zahlreichen Verbote bestimmter Buchtitel in Schulbibliotheken, nicht nur in Florida. Oftmals reiche für ein Verbot die Beschwerde einer einzelnen Person, schreibt der US-Büchereienverband American Library Association (ALA) – wie bei der US-Autorin Amanda Gorman, deren Gedicht zur Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden an einer Grundschule in Florida nach der Beschwerde einer Mutter nicht mehr gelesen werden darf.

Das „Florida Freedom to Read Project“ führt eine eigene Liste über unerwünschte Bücher, in den sozialen Netzwerken wie TikTok gibt es mittlerweile zahlreiche Videos von leeren Bibliothekskästen und großen Kisten mit aussortierten Büchern – einige Videos, die für Furore sorgten, mussten auch wieder runtergenommen werden.

Deutliche Steigerung gegenüber 2022

Laut ALA gab es 2022 gegenüber dem Vorjahr 40 Prozent mehr Beschwerden über bzw. gegen Bücher. Gorman schrieb dazu auf Instagram, die meisten der inkriminierten Autoren bzw. Autorinnen seien queer oder hätten keine weiße Hautfarbe. Laut einer Studie im Auftrag der ALA sind gerade Bücher mit LGBTQ-Themen am stärksten von Verboten bzw. versuchten Verboten betroffen, aber auch Bücher über ethnische Minderheiten.

Jüngster Fall ist der US-Bundesstaat Lousiana, dort sollen per Gesetz Bücher mit „explizit sexuellen“ Inhalten an Jugendliche nicht mehr ausgegeben werden, Eltern sollen zudem Bücher, deren Inhalte sie nicht angemessen finden, bei einer lokalen Kontrollstelle einreichen können. Der Republikaner Jeff Landry, Generalstaatsanwalt und Bewerber um den Gouverneurssitz in Lousiana, verglich das mit der Alterskennzeichnung bei Filmen.

2022 startete Landry eine Hotline für Beschwerden gegen Lehrpersonal und Bibliothekare und gab im Anschluss eine Liste von neun Büchern heraus, die sein Büro als „sexuell explizit“ bezeichnete – sieben davon betreffen LGBTQ-Themen.

Auch Handel von Polarisierung betroffen

Die Stimmung erreicht mittlerweile viele andere Bereiche in den USA, darunter den Einzelhandel. Die US-Handelskette Target etwa kündigte am Dienstag an, einige Stücke aus seiner LGBTQ-Pride-Kollektion zu entfernen bzw. die Anordnung in den Geschäften selbst zu ändern. Grund sei, dass es in manchen Geschäften Aggression und Drohungen gegen Angestellte gegeben habe.

Dabei geht es etwa um Gegenstände mit den Farben der Regenbogenfahne und Sprüchen wie „Love is Love“, also „Liebe ist Liebe“ auf T-Shirts und Häferln. Seit der Vorstellung der Kollektion habe es vermehrt Drohungen gegen die Angestellten gegeben, so der US-Händler, es seien auch bewusst und vermehrt Gegenstände mit Pride-Symbolen auf den Boden geworfen worden.

Reisewarnung für Latinos und Schwarze

Florida hat unterdessen noch ein ganz anderes Problem, das ebenfalls unter anderem auf TikTok Verbreitung findet: Ein neues Gesetz, von DeSantis unterzeichnet, verlangt unter anderem, dass Arbeitgeber mit mehr als 25 Mitarbeitern ab 1. Juli deren Einwanderungsstatus prüfen müssen. Zudem können Führerscheine bei Nichterbringung eines Staatsbürgerschaftsnachweises ungültig werden und auch die Möglichkeit, als Anwalt tätig zu werden, wird wieder eingeschränkt.

Daraufhin warnte eine der bekanntesten Gruppen für die Rechte von Lateinamerikanern, die League of United Latin American Citizens (LULAC), vor der Einreise in die USA. Nun machen zahlreiche Videos von verwaisten Baustellen in Florida in sozialen Netzwerken die Runde. Aus dem Büro von DeSantis hieß es auf Anfrage der US-Nachrichtenwebsite Axios, es handle sich bei der Reisewarnung um einen „politischen Stunt“. Alleine in Florida sollen an die 800.000 Menschen ohne Papiere leben.

Eine Reisewarnung gab es auch von der Bürgerrechtsbewegung National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), für Afroamerikaner und Angehörige anderer Minderheiten. Die Reisewarnung sei eine direkte Reaktion auf die „aggressiven Versuche von Floridas republikanischem Gouverneur Ron DeSantis, schwarze Geschichte zu löschen und Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion an Floridas Schulen einzuschränken“, so NAACP.