Eigentlich ging das zuständige Statistische Bundesamt in Deutschland von einer Stagnation aus, doch am Donnerstag revidierte die Behörde ihre Schätzung: Bereits das zweite Quartal in Folge schrumpfte damit die Wirtschaft, diesmal um 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Schon zum Jahresende ging Deutschlands Wirtschaft um 0,5 Prozent zurück. Und der Negativtrend könnte damit noch nicht beendet sein, wird befürchtet.
Im Ö1-Mittagsjournal verwies Klaus Neusser vom Institut für Höhere Studien (IHS) darauf, dass es sich bei der jetzt beobachteten Rezession um einen „technischen Begriff“ handle. Ökonomisch befinde man sich in einer „Anpassungsphase“ und immer noch „auf dem Wachstumspfad“, er verwies etwa auf gute Zahlen auf dem Arbeitsmarkt.
Privathaushalte kaufen deutlich weniger
Vor allem die hohe Inflation belastete jedoch die deutsche Wirtschaft, das zeigt sich in erster Linie an den Ausgaben der Privathaushalte: Sowohl für Nahrungsmittel und Getränke wie auch für Gewand, Schuhe und Möbel gaben die Deutschen weniger Geld aus. Auch weniger Autos wurden verkauft. „Wenn alles teurer wird, fangen die Menschen an zu sparen“, sagte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der Liechtensteiner VP Bank, gegenüber der dpa.

Trotz einer Abschwächung lag die jährliche Inflationsrate im April mit 7,2 Prozent weiter auf vergleichsweise hohem Niveau. Der Privatkonsum dürfte Ökonominnen und Ökonomen zufolge das Sorgenkind bleiben. Nach Daten des Konsumforschungsunternehmens GfK erholt sich die Verbraucherstimmung nur schleppend.
Zinsanhebungen als Herausforderung
Auch die Zinsanhebungen der Europäischen Zentralbank (EZB) machen sich in der größten Volkswirtschaft Europas bemerkbar. Seit letztem Sommer erhöhte die EZB ihren Leitzins gleich mehrfach, weitere Zinserhöhungen werden erwartet. „Solchen Zinserhöhungen folgten in der Vergangenheit in Deutschland stets Rezessionen“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer gegenüber Reuters. Durchschnittlich drei bis sechs Quartale dauere es von der ersten Zinsanhebung bis zum Beginn einer Rezession, heißt es.
Positive Impulse kamen im ersten Quartal von den Exporten und den Investitionen. Ausfuhren „made in Germany“ profitierten von besser funktionierenden Lieferketten. Die Unternehmen konnten dadurch mehr Waren in den Versand bringen. Die Bauinvestitionen stiegen angesichts des milden Wetters.
Und auch wenn für das gesamte Jahr 2023 momentan mit einem leichten Plus für Deutschlands Wirtschaft gerechnet wird, ist die Stimmung insgesamt eher eingetrübt. Exporte nahmen zwar zu, doch die Perspektiven sind trotzdem eher düster, weil die Nachfrage international nachgelassen habe.
Auch Auswirkungen auf Österreich möglich
Doch gerade das könnte sich auch auf Österreich auswirken. Christian Glocker vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) sagte gegenüber ORF.at, dass der rückläufige Konsum für Österreich „keine unmittelbaren Effekte“ habe. Doch Österreich sei bei den Exporten stark auf Deutschland angewiesen, und damit sei die Situation dort „wesentlich“ für die heimische Wirtschaft. Sowohl Außen- als auch Binnenwirtschaft hätten zur nunmehrigen Rezession in Deutschland beigetragen.
Deutsche Wirtschaft in Rezession gerutscht
Die deutsche Wirtschaft ist wegen sinkender Konsumausgaben in eine Rezession abgerutscht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte von Jänner bis März um 0,3 Prozent zum Vorquartal und damit das zweite Vierteljahr in Folge, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
Und auch die Situation in der Industrie sei genau zu beobachten, Glocker verwies hier besonders auf die Automobilbranche – weil diese „sehr stark vernetzt mit anderen Bereichen“ sei: „Geht’s denen schlecht, geht’s anderen Bereichen auch schlecht“, so Glocker. Er verwies auch auf den enormen Rückgang bei den Auftragseingängen. Das alles habe „auch für Österreich negative Auswirkungen“. Vor allem die heimische Industrie könnte das „belasten, zumal ein wesentlicher Teil der österreichischen Exporte nach Deutschland über die deutsche Exportwirtschaft globalen Absatz findet“, so Glocker.
Lindner sieht Auftrag an die Politik
Deutschlands Kanzler Olaf Scholz warb für Zuversicht: „Die Aussichten der deutschen Wirtschaft sind sehr gut“, sagte Scholz in Berlin. Die Bundesregierung sei gerade dabei, etwa mit dem Ausbau des Ökostroms „die Kräfte der Wirtschaft zu entfesseln“. Deutschlands Finanzminister Christian Lindner sah wegen der schwachen Wirtschaftsdynamik nun Handlungsbedarf. „Das ist ein Auftrag an die Politik“, sagte der FDP-Vorsitzende in Berlin.Deutschland drohe auf Abstiegsplätze abzurutschen. Deswegen brauche es jetzt auch eine wirtschaftspolitische Zeitenwende, nachdem es diese bereits in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gegeben habe nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, so Lindner.

Lindner sagte, man werde Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen und mehr Fachkräfte anlocken. Außerdem werde es noch dieses Jahr weitere Maßnahmen geben, um Investitionsbedingungen zu verbessern. Konkret nannte er eine stärkere Förderung von Forschung. Steuererhöhungen werde es dagegen nicht geben, eher würden weitere Entlastungen folgen.
Angesichts der Rahmenbedingungen werden die kommenden Monate Volkswirten zufolge nicht einfach. „Das Wachstum wird auch im zweiten Quartal ein Ritt auf der Rasierklinge zwischen leichtem Wachstum und fortschreitender Rezession bleiben“, erwartet Ökonom Gitzel. Damit könnte der größten Volkswirtschaft Europas gar eine Rezession im Sommerhalbjahr drohen.