Konstruktion von Gebäude in Nanchang
IMAGO/Ursa Lexander Flueler
Leere Städte

China sucht Wege aus Immobilienkrise

Einst ein Symbol für Chinas Wachstum, nun ein Zeichen für die Wohnungskrise der Volksrepublik: Die Wolkenkratzer von Nanchang stehen für städtischen Wandel, aber die Stadt hat schneller Wohnungen gebaut, als die Bevölkerung wachsen konnte. Das Ergebnis: Leerstand so weit das Auge reicht. Ein zumindest kurzzeitiger Ausweg ist allerdings nicht ausgeschlossen, wie Chinas berühmteste „Geisterstadt“ Kangbashi zeigt.

Auf die Strategie war lange Verlass: Bei Konjunkturabschwüngen einfach in Bauwirtschaft und Infrastruktur investieren, um die Wirtschaft anzukurbeln. Immobilieninvestitionen wirken sich positiv auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus und kurbeln die Nachfrage in verwandten Branchen wie Stahl- und Zementproduktion an.

In den letzten zwei Jahrzehnten wurden etwa in Nanchang, Hauptstadt der Provinz Jiangxi, weitläufige Wohnkomplexe und Dutzende Bürotürme errichtet. Man wollte Industrien und somit Menschen in die Stadt locken und mit der regen Bautätigkeit die erwartete hohe Nachfrage an Wohnungen und Arbeitsplätzen decken. Doch die Rechnung ging nicht ganz auf: Die anhaltende Immobilienkrise des Landes hat in Städten wie Nanchang, wo jahrelang ununterbrochen gebaut wurde, zu einem Überangebot geführt.

Rückgrat der chinesischen Wirtschaft

So stehen in Nanchang einer Schätzung der „New York Times“ („NYT“) zufolge, die sich auf eine Studie des chinesischen Forschungsinstituts Beike vom August stützt, fast 20 Prozent der Wohnungen leer – die höchste Quote unter den 28 großen und mittelgroßen Städten in China. Viele der neuesten Wohnungen können nicht genutzt werden, weil den mittlerweile hoch verschuldeten Bauträgern das Geld ausgegangen ist, um Gebäude überhaupt fertigzustellen. Die Wohnungen darin seien aber teilweise schon verkauft, so die „NYT“.

Wohnhäuser in Nanchang
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Viele Wohnungen in Nanchang stehen leer

Einige Eigentümerinnen und Eigentümer sollen sich mittlerweile sogar weigern, ihre Hypotheken zu zahlen, bis ihre Wohnungen fertig gebaut sind – eine Form des Widerstands, die im kommunistischen China doch selten ist.

Chinas Wohnungsbauboom begann in den späten 1990er Jahren in den größten Städten, bevor er sich in den 2000er Jahren auf mittlere Städte wie Nanchang ausbreitete. Im Jahr 2000 baute China rund zwei Millionen Wohnungen. Bis Mitte der 2010er Jahre wurden mehr als sieben Millionen Wohnungen pro Jahr gebaut. Der Immobiliensektor wurde schnell zum Rückgrat der chinesischen Wirtschaft und machte etwa ein Viertel der gesamten Wirtschaftstätigkeit aus.

„Häuser sind zum Wohnen da“

Der Sektor schuf Arbeitsplätze, stützte die Finanzen der lokalen Regierungen und bot eine der wenigen zuverlässigen Investitionsmöglichkeiten für Chinesinnen und Chinesen der Mittelschicht, die Vermögen anhäufen wollten. Die kommunistische Regierung förderte diese Tradition durchaus, doch als die Wirtschaft immer stärker von Immobilien abhängig wurde, ging Chinas Staatschef Xi Jinping hart gegen verschuldete Bauträger vor und erklärte: „Häuser sind zum Wohnen da, nicht zur Spekulation.“ Doch da war es schon zu spät.

Kangbashi Bezirk in Ordos
Reuters/David Gray
Das Bevölkerungswachstum reicht vielerorts nicht aus, um das Überangebot an Wohnraum zu bewohnen

Laut „NYT“ verdoppelte sich 2011 bis 2021 die jährlich gebauten Wohnungen von Nanchang, während die Bevölkerung bloß um ein Viertel zunahm. Nanchang hat rund sechs Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Es gab dort 2022 genauso viele Hochhäuser wie in Peking. Pekings Bevölkerung ist jedoch mehr als dreimal so groß. Außerdem ist Peking die zweitgrößte Stadt gemessen an der Wirtschaftsleistung (auf Platz eins liegt Schanghai). Im Jahr 2021 lag die Leerstandsrate von Bürogebäuden in Nanchang nach Angaben des Immobilienunternehmens JLL bei 40 Prozent.

In den restlichen größeren und mittleren Städten Chinas sieht es ähnlich aus. Der „Business Insider“ und der „Economist“ berichteten, dass es in China im Jahr 2020 etwa 65 Millionen leerstehende Wohnungen gab. Das Angebot übersteige auch in anderen Städten die Nachfrage bei Weitem. Gleichzeitig kauften in ärmeren ländlichen Gebieten nur wenige Menschen Immobilien, was ebenfalls eine Flut von leeren Wohnungen auslöse.

Schulen als Rettung?

Doch einige chinesische Städte bzw. Stadtgebiete, die vor zehn Jahren noch als „Geisterstädte“ bezeichnet wurden, entwickelten sich nach 2018 durchaus noch zu wirtschaftlich dynamischen Gebieten, etwa die berühmte „Geisterstadt“ Kangbashi – ein Bezirk der Stadt Ordos in der Inneren Mongolei. Bekannt wurde Kangbashi für Unmengen an Wohnhäusern und hoch technisierten öffentlichen Bauprojekten.

Kangbashi Bezirk in Ordos
Reuters/David Gray
In Kangbashi zog durch die Umsiedelung von Schulen langsam wieder Leben ein

Es fehlten aber die Menschen, was zu unzähligen Leerständen führte. Im Jahr 2014 wurden diese auf 70 Prozent geschätzt. Im Falle von Kangbashi fand man allerdings eine Nische, um den Stadtteil wiederzubeleben – mit Schulen, wie die japanische Tageszeitung „Nikkei“ berichtete.

„Tigereltern“ trieben Preise in die Höhe

Nachdem zuerst die Stadtverwaltung von Ordos einige der besten Schulen der Stadt nach Kangbashi verlegt hatte, etwa die international bekannte Ordos No.1 High School, folgten die „Tigereltern“. „Tigereltern“ erziehen ihre Kinder per definitionem besonders autoritär und wollen sie mit rigoroser Disziplin zum Erfolg treiben. In westlichen Ländern wurde der Erziehungsstil durch die Autorin Amy Chua („Die Mutter des Erfolgs“) bekannt.

Die „Tigerfamilien“ bewohnten nicht nur die vielen leerstehenden Häuser, sie trieben auch die Preise nach oben und sorgten für weitere Investitionen. Strenge Vorschriften verlangen von Familien, dass sie in einem bestimmten Bezirk eine Wohnung besitzen müssen, damit sie ihr Kind auf eine begehrte Schule in demselben Bezirk schicken können. Nachdem Kangbashi den „Geisterstadt“-Status scheinbar abgeschüttelt hatte, genehmigte die lokale Regierung 2020 zum ersten Mal seit acht Jahren wieder den Bau von Eigentumswohnungen.

Bevölkerungswachstum zum Stillstand gekommen

Neu ist die Taktik allerdings nicht: In der Hafenstadt Tianjin etwa wurde nach einer Explosionskatastrophe im Jahr 2015 eine neue Schule gebaut, um den Verkauf von Wohnraum voranzutreiben. Doch auch dort dürfte der Plan langfristig nicht aufgehen, wie „Nikkei“ vermutet, da die Wirtschaftsankurbelungsmaßnahmen nach der Pandemie ebenfalls für einen Bauboom sorgten.

Hinzu kommt, dass das Bevölkerungswachstum in China zum Stillstand gekommen ist. Die Zahl der Menschen in ihren 20ern und 30ern – dem Haupterwerbsalter für Wohneigentum – ist bereits rückläufig. Schulverlagerungen können also offenbar kurzfristig den Wohnungsleerstand eindämmen, womöglich aber nicht für mehrere Generationen – vor allem dann nicht, wenn immer weiter gebaut wird. Es bleibt also abzuwarten, welches Schicksal auf dem Immobilienmarkt weitere Städte – wie Nanchang – ereilen wird.