Überwachungskameras in Moskau
Reuters/Maxim Shemetov
„Digitaler Gulag“

Moskau rüstet bei Überwachung stark auf

Moskau hat seit dem Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine die Überwachung der Bürgerinnen und Bürger im eigenen Land kräftig ausgeweitet, in erster Linie digital. Kameras in U-Bahn-Stationen, genaues Monitoring in sozialen Netzwerken und nicht zuletzt Zensur sind auch im Alltag bemerkbar, heißt es von NGOs. Selbst die Einberufung zum Militärdienst wurde zuletzt digitalisiert, Aktivisten kritisieren das scharf. Beobachterinnen sprechen gar von einem „digitalen Gulag“, der nun langsam Form annehme.

Schon vor dem Krieg in der Ukraine hat Russlands Präsident Wladimir Putin die digitale Überwachung ordentlich ausgeweitet: Seit Protesten nach der Wahl im Jahr 2011, die großteils online organisiert wurden, habe sich der Kreml auf mehr Kontrolle im Netz fokussiert, schreibt die US-Nachrichtenagentur AP.

Für Aufsehen sorgte etwa die Idee Moskaus, ein eigenständiges, vom Rest der Welt unabhängiges Netz, das RuNet, aufzubauen. Gesetze dazu wurden schon 2019 auf den Weg gebracht. Doch seit Beginn des Angriffskrieges weitete Russland seine Ambitionen, digital mehr Kontrolle auszuüben, deutlich aus. So wurden etwa soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter komplett blockiert, seit 2022 wurden Tausende Websites gesperrt.

Mit Gesetzen, die praktisch jede Kritik an der „Spezialoperation“ Russlands, wie Moskau seinen Angriffskrieg nennt, unterbindet, wird es für Kritikerinnen und Kritiker an Russlands Kurs zunehmend schwieriger, den russischen Behörden zu entkommen. Oppositionelle Blogger und Aktivistinnen werden überwacht und durchaus hart bestraft – erst letzte Woche wurde etwa Michail Kriger zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er auf Facebook schrieb, er wolle Putin „hängen“. Die Foodbloggerin Nika Belozerkowskaja bekam in Abwesenheit neun Jahre Haft für angebliche „Falschinformationen“ über die russische Armee.

KI soll Moskau unterstützen

Das könnte jetzt noch größere Ausmaße annehmen, so die Befürchtung. Der Netzaktivist Damir Gainutdinow sagte gegenüber der AP, „Nutzerinnen und Nutzer sämtlicher sozialer Netzwerke sollten sich nicht sicher fühlen.“ Die Netzbehörde Roskomnadsor kündigte dieses Jahr etwa ein System an, das mit Hilfe künstlicher Intelligenz verbotene Inhalte online erkennen soll – deutlich schneller als das Menschen können.

Überwachungskamera in Moskau
AP
Bürgerinnen und Bürger in Russland wurden in den letzten Jahren stärker überwacht

Unbestätigte Berichte von belarussischen Aktivisten gibt es auch über Bots, die künftig für Moskau automatisiert Informationen aus sozialen Netzwerken und Messengern wie etwa Telegram abgreifen sollen. Auch in geschlossenen Gruppen könnten diese dann zum Zweck der Überwachung und umgekehrt auch Propaganda genutzt werden.

Im Hintergrund arbeitet das russische Digitalministerium offenbar an weiteren Plänen, um zumindest theoretisch Überwachung und Zensur im Netz noch weiter vorantreiben zu können. Wie das oppositionelle Nachrichtenportal Medusa diese Woche berichtete, wolle man im Namen der Cybersicherheit künftig stärker auf Technologien wie Deep Packet Inspection setzen, mit dem der Datenverkehr genau analysiert werden kann.

Überwachung auch unterirdisch

Überwacht werden die Russinnen und Russen aber nicht nur online: Schon seit 2017 finden sich auf Moskaus Straßen Überwachungskameras. Auch in der U-Bahn kommen sie zum Einsatz – sie alle setzen auf Gesichtserkennung und können damit sehr gezielt Menschen verfolgen. AP berichtet von einer Journalistin, die auf diese Weise allein im letzten Jahr mehrfach festgenommen worden sein soll.

Menschen in einer U-Bahn Station in Moskau
Reuters/Maxim Shemetov
Auch in U-Bahn-Stationen wird genau überwacht

Weil sie bereits zuvor im Rahmen von Demos festgenommen wurde, dürfte sie in eine entsprechende Datenbank aufgenommen worden sein – und wird nun regelmäßig aufgehalten. Die Behörden wollten sich dazu nicht äußern und berufen sich auf Staatsgeheimnisse. Ein entsprechendes Verfahren vor Gericht verlor die Journalistin.

Selbst bei der Einberufung ins Militär setzt der Kreml künftig verstärkt auf Digitalisierung. Erst im April wurde ein Gesetz verabschiedet, das einige Neuerungen vorsieht, etwa ein Register, in dem praktisch alle Daten der Einberufungskandidaten festgehalten werden: „Von medizinischen Aufzeichnungen“, über „Gerichtsdokumente bis hin zu Steuerrückzahlungen“, so Tatiana Stanovaya vom US-Thinktank Carnegie Endowment for International Peace (CEIP).

Digitale Einberufung und Strafandrohung

Die Bescheide zur Einberufung sollen unterdessen mittels E-Government-Portal zugestellt werden, mit dem heute etwa Pässe und Urkunden beantragt werden. Unabhängig davon, ob der Einberufene einen Account auf der Plattform Gosuslugi besitzt oder nicht – oder überhaupt keinen Zugriff auf das Internet hat – gilt ein solcher Bescheid als zugestellt. Das ist mit Ausreisebeschränkungen und sogar möglichen Strafen verbunden, sollte der Einberufene seiner Ladung nicht nachkommen, so Stanovaya in einem Blogbeitrag.

Das alles würde das Verhältnis zwischen Staat und den Menschen im Land „auf dramatische Weise“ verändern. Nichts könne verhindern, dass dieser Ansatz auf andere Bereiche ausgeweitet werde, so die Russland-Expertin. „Der digitale Gulag, über den seit der Pandemie viel diskutiert wird, nimmt nun Gestalt an.“

Das Institute for the Study of War (ISW) mit Sitz in Washington berichtete zuletzt auch, dass die Befugnisse des russischen Geheimdienstes FSB ausgebaut werden sollen. In Gesetzesentwürfen ist offenbar die Rede von Hausdurchsuchungen ohne vorherigen gerichtlichen Beschluss. Zudem wurden die Position des FSB-Chefs gestärkt und der Wirkungsbereich der Behörde per Dekret vergrößert. Diese Maßnahmen könnten „die Selbstzensur fördern und die Russinnen und Russen auf einen längeren Krieg vorbereiten“, heißt es in dem ISW-Bericht.