Neues Parlament in Neu-Delhi
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Indien

Opposition boykottiert Parlamentseröffnung

In Indien hat Premierminister Narendra Modi ein neues Parlamentsgebäude eingeweiht. Bemerkenswert war allerdings die Haltung der wichtigsten Oppositionsparteien – in einem äußerst seltenen Akt der Einigkeit gegen Modi und dessen seit neun Jahren regierende hindunationalistische Partei boykottierten sie die Zeremonie. Der zentrale Vorwurf: Modi habe Präsidentin Draupadi Murmu übergangen.

Die Oppositionsparteien argumentierten bereits im Vorfeld, dass nicht Modi, sondern Murmu die Einweihung hätte übernehmen sollen – nur ihr stünden solcherart zeremonielle Befugnisse zu. Damit habe Modi parlamentarische Regeln verletzt. Das indische Staatsoberhaupt erfüllt – ähnlich wie der österreichische Bundespräsident – vor allem repräsentative Aufgaben, die Macht liegt beim Premier.

Modis Mittel der Stunde war Selbstinszenierung: So betrat ein sichtlich strahlender Premier das Parlament, unter tosendem Applaus der Abgeordneten seiner Partei, die „Modi, Modi“ skandierten. Er hielt eine fast 40-minütige Rede, in der er Indiens Demokratie lobte und sagte, das Land habe seine koloniale Vergangenheit hinter sich gelassen – hierbei bezog er sich auf das alte Parlament, das noch während der britischen Herrschaft errichtet worden war.

Indiens Premier Narendra Modi
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Modi setzte bei der Eröffnung des Parlaments auf Selbstinszenierung – die Opposition zürnte

„Fremdherrschaft hat uns Stolz geraubt“

„Indien ist die Mutter der Demokratie“, sagte Modi, während die Abgeordneten seiner Partei auf ihre Schreibtische klopften und ihm damit ihre Zustimmung signalisierten. „Mehrere Jahre der Fremdherrschaft haben uns unseren Stolz geraubt. Heute hat Indien diese koloniale Mentalität hinter sich gelassen“, so Modi. Er war mit einem goldenen Zepter in der Hand aufgetreten, auch das sorgte für Kritik: Dieses gehöre in eine Monarchie, nicht in eine Demokratie.

Modi schrieb auf Twitter von einer „Reflexion der Bestrebungen des neuen Indiens“. Es sei „ein wahrer Leuchtturm der Demokratie“ und spiegle das reiche Erbe der Nation und die lebhaften Bestrebungen für die Zukunft wider. Hintergrund: Das neue Parlamentsgebäude ist Teil eines Projekts der Regierung, Gebäude aus der britischen Kolonialzeit durch Neubauten zu ersetzen. Es ist deutlich größer als der alte Bau, der gleich daneben steht und nun zu einem Museum wird.

„Schwere Beleidigung“ für Demokratie

Die Opposition zürnte bereits im Vorfeld: Modis Entscheidung, das Gebäude einzuweihen, sei eine „schwere Beleidigung“ für die indische Demokratie, da die Regierung oppositionelle Gesetzgeber „disqualifiziert, suspendiert und mundtot gemacht“ habe, während sie „umstrittene Gesetze“ mit wenig Diskurs verabschiedet habe. „Wenn die Seele der Demokratie aus dem Parlament herausgesaugt wurde, ist ein neues Gebäude für uns wertlos“, so die Parteien.

Der Vorsitzende der oppositionellen Kongresspartei, Rahul Gandhi, twitterte: „Das Parlament ist die Stimme des Volkes. Der Premier betrachtet die Einweihung des Parlaments als Krönung.“ Mindestens 19 Oppositionsparteien blieben der Veranstaltung fern. Indiens mächtiger Innenminister Amit Shah sagte, die Opposition habe die Veranstaltung politisiert. Andere führende Vertreter von Modis Partei bezeichneten den Boykott wiederum als Beleidigung für den Premierminister.

Teil eines gigantischen Umbauprojekts

Das neue dreieckige Gebäude, dessen Baukosten auf 120 Mio. Dollar geschätzt werden, ist Teil eines 2,8 Mrd. Dollar teuren Umbaus der aus der britischen Ära stammenden Büros und Residenzen im Zentrum Neu-Delhis, zu dem auch Gebäudekomplexe für Ministerien und Abteilungen der Regierung sowie Modis neue Privatresidenz gehören werden. Das gesamte Projekt mit der Bezeichnung „Central Vista“ erstreckt sich über eine Länge von 3,2 Kilometern.

Der Plan war von Opposition, Architekten und Denkmalschützern heftig kritisiert. Viele von ihnen bezeichneten den Umbau als ökologisch unverantwortlich, als Bedrohung des kulturellen Erbes und als zu teuer. Die Empörung wuchs 2021, als mindestens zwölf Oppositionsparteien den Zeitpunkt des Projekts infrage stellten und sagten, es sei just begonnen worden, als das Land mit einem verheerenden Anstieg der Coronavirus-Fälle konfrontiert war.

„Eitelkeitsprojekt“

Sie brandmarkten die Modernisierung als Modis „Eitelkeitsprojekt“ und sagten, der Bau habe Vorrang vor dem Verlust von Menschenleben und Existenzen während der Pandemie gehabt. Ein Jahr zuvor hatte eine Gruppe von 60 ehemaligen Beamten einen offenen Brief an Modi geschrieben, in dem sie auf den architektonischen Wert des alten Parlamentsgebäudes hinwiesen und sagten, der neue Plan würde das kulturelle Erbe der Region „unwiderruflich“ zerstören.

Modis Regierung erklärte, die Renovierung sei notwendig, weil das ältere Gebäude „Anzeichen von Not und Überbeanspruchung“ aufweise und das neue Design „das Erbe und die Traditionen des Landes“ vereine.