Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
Reuters/Umit Bektas
Wahlsieg für Erdogan

Was jetzt auf die Türkei zukommt

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan steht vor einer weiteren Amtszeit. Der 69-Jährige entschied am Sonntag eine Stichwahl gegen Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu für sich. Erdogan erhielt laut staatlicher Wahlkommission 52,18 Prozent der Stimmen, Kilicdaroglu 47,82 Prozent. Auf hohe Unterstützung konnte Erdogan von im Ausland lebenden Türken und Türkinnen bauen – in Österreich stimmten drei von vier Wahlberechtigen für den Amtsinhaber. Doch was bedeutet Erdogans Sieg jetzt für die Türkei?

Klar scheint jedenfalls, dass die Türkei die Spaltung im Land nur schwer wird überwinden können, auch angesichts der enormen Polarisierung im Wahlkampf – der Oppositionskandidat Kilicdaroglu beklagte einen der „unfairsten Wahlkampf der letzten Jahre“. Und Erdogan seinerseits hatte auch in der Stunde seines Sieges nicht auf Provokationen verzichtet – er warf der Opposition Verbindungen zum Terrorismus vor, gegen den er nun verschärft vorgehen wolle.

„Die ganze Nation, die ganze Türkei, hat gewonnen“, stellte Erdogan bei seiner Siegesrede angesichts weiterer fünf Jahre an der Macht fest. Es gehe nun darum, die Streitigkeiten aus dem Wahlkampf zu überwinden, gab sich Erdogan versöhnlich. Doch seinen Aufruf zur Einheit konnten Oppositionelle kaum als ernst gemeint auffassen. Auch weil er Kilicdaroglu lächerlich machte („Auf Wiedersehen, Kemal“) und einen inhaftierten Kurdenführer und die LGBTQ-Gemeinschaft aufs Korn nahm.

Anhängerinnen und Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit türkischen Flaggen
AP/Ali Unal
Anhängerinnen Erdogans am Wahlabend mit türkischen Flaggen vor dem Präsidentenpalast in Ankara

Furcht von noch mehr Repression

Am Wahlabend gestand Kilicdaroglu zwar indirekt seine Niederlage ein und zweifelte auch die Ergebnisse nicht an, doch bekräftigte er, weiter an der Spitze des Kampfes stehen zu wollen, bis „echte Demokratie“ Einzug halte. Beobachter und Beobachterinnen befürchten, dass Erdogan fortan noch autoritärer regieren wird. Noch härteres Vorgehen gegen Kritikerinnen und Kritiker, weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit und auch Rückschritte bei Frauenrechte werden erwartet.

Dabei blickt die Opposition mit Entsetzen auf Erdogans Partner: Mit der islamistisch-kurdischen Hüda Par und der islamistischen Yeniden Refah hat Erdogan zwei Parteien ins Parlament geholt, die LGBTQ- und frauenfeindliche Politik machen. Die Hüda Par etwa will den Schutz der „traditionellen“ Familie vor „abweichenden“ Ideologien durchsetzen und Mädchen und Buben getrennt unterrichten.

Seinen Wahlerfolg hat Erdogan auch der Unterstützung einer islamistisch-nationalistischen Allianz zu verdanken. Das könnte in Zukunft seine Politik weiter prägen. „Erdogan hat den Charakter des Staates geändert. Er hat es geschafft, den türkischen Staat von einem laizistisch-nationalistischen in einen islamistisch-nationalistischen zu wandeln. Und das wird er weiter vorantreiben“, sagte Asli Hürcan Aksoy vom Centrum für Türkeistudien (CATS).

Türkei vor „Brain Drain“?

Auch wahrzunehmen sind vielfach Bekundungen mehrheitlich junger, besser ausgebildeter Türkinnen und Türken, das Land angesichts der empfundenen Perspektivenlosigkeit verlassen zu wollen. Die Türkei stehe damit vor einem „Brain-Drain“, für den Erdogans neuerlicher Sieg der endgültige Ausschlag sein könnte. Das Gefühl der Ohnmacht im eigenen Land ist bei jungen Türkinnen und Türken allerdings nicht neu, das legten auch Umfragen in der Vergangenheit nahe.

Erdogan und seine politische Elite müssen sich auch in der neuen Amtszeit mit der hohen Inflation auseinandersetzen, die die Lebenshaltungskosten in die Höhe getrieben hat. Durch den Verlust der Kaufkraft büßten Erdogan und seine AKP signifikant an Beliebtheit ein. Doch wurde ihm das – wie vielfach erwartet – nicht zum politischen Verhängnis. Das galt auch für das als zu langsam kritisierte Krisenmanagement rund um das verheerende Erdbeben, bei dem mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen.

Kilicdaroglus Kehrtwende kam nicht gut an

Die Sechserallianz um Kilicdaroglu wiederum hat es nicht geschafft, einer Mehrheit zu vermitteln, dass der Oppositionsführer die bessere Alternative zu Erdogan sei. In der ersten Runde setzte sie auf einen positiven Wahlkampf und versöhnliche Rhetorik. Vor der zweiten Runde folgte dann die Kehrtwende. In einem verzweifelt anmutenden Versuch, ultranationalistische Wähler auf seine Seite zu ziehen, befeuerte Kilicdaroglu eine Antiflüchtlingsrhetorik.

Er ging einen Pakt mit einem rechtsnationalen Politiker ein. Die 180-Grad-Wende kam auch in eigenen Reihen nicht gut an, und vor allem nicht bei den kurdischen Wählerinnen und Wählern. Obwohl die prokurdische HDP noch mal zur Unterstützung Kilicdaroglus aufrief, lag die Wahlbeteiligung im kurdisch geprägten Südosten unter der von der ersten Runde. Um einen Rücktritt wird der 74-Jährige, der seit 13 Jahren an der Spitzender größten Oppositionspartei CHP steht, wohl diesmal nicht herumkommen.

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu
picturedesk.com/AFP/Bulent Kilic
Kilicdaroglu am Tag nach der Wahlniederlage: „Traurig“ über die Zukunft der Türkei

Erdogan-Lager im Ausland stark – besonders in Österreich

Auch das Wahlverhalten der Auslandstürkinnen und -türken wurde der Opposition in der Türkei zum Verhängnis: Denn Erdogan konnte auf viel Unterstützung aus dem Ausland bauen: Mit 74 Prozent schnitt Erdogan etwa bei den in Österreich lebenden türkischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern besonders stark ab. Gerade einmal 26,12 Prozent wählten Kilicdaroglu – im Vergleich zu fast 48 Prozent in der Türkei ein äußerst geringer Wert.

Schwere Kritik an Erdogan-Siegesfeier in Wien

In Wien wurde die Wiederwahl Erdogans von dessen Fans am Sonntagabend lautstark gefeiert. Auf Videos in sozialen Netzwerken war zu sehen, wie auf dem Reumannplatz in Wien-Favoriten Feiernde türkische Fahnen schwenkten – Zwischenfälle wurden keine gemeldet. Doch wurde mehrfach der in Österreich verbotene türkische Wolfsgruß gezeigt – laut Wiener Polizei gab es mehrere Anzeigen. Autokorsos verursachten Verkehrsbehinderungen. Am Montag wurde Kritik an der Siegesfeier laut, insbesondere von Wiener ÖVP und FPÖ – mehr dazu in wien.ORF.at.

Innenpolitische Debatte

Die FPÖ forderte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) zum Rücktritt und die feiernden Erdogan-Fans zur Ausreise in die Türkei auf. Karner dankte unterdessen seinen Beamten für ihr „umsichtiges Handeln“ und kündigte Ermittlungen des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit dem Wolfsgruß an: „Der demokratische Rechtsstaat und seine Gesetze sind von allen Menschen, die in unserem Land leben, zu respektieren“, so Karner in einer Mitteilung.

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) erklärte: „Importierter politischer Aktivismus und Gewalt sind auf das Schärfste zu verurteilen und mit der vollen Härte des Gesetzes zu bestrafen. Vom Ausland importierter Nationalismus ist das Gegenteil von Integration und hat bei uns keinen Platz.“

Erdogan schnitt in Österreich im internationalen Vergleich besonders gut ab. Besser als in der Heimat war das Ergebnis für den Amtsinhaber auch erneut in anderen europäischen Ländern mit großen türkischen Communitys, etwa in Deutschland, wo laut vorläufigen Ergebnissen rund 67,4 Prozent für Erdogan stimmten, Frankreich (66,6 Prozent), den Niederlanden (70,4 Prozent) und Belgien (74,9). Dagegen lag in Ländern wie Großbritannien, Schweden und der Schweiz Kilicdaroglu voran.

Wahlbeobachter: „Ungerechtfertigte Vorteile“ für Erdogan

Zu den ohnehin bereits widrigen Umständen für die Opposition kamen laut Wahlbeobachtern „ungerechtfertigte Vorteile“ für Erdogan. Die Voreingenommenheit der Medien und Einschränkungen der Meinungsfreiheit hätten zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen geführt, teilte die Beobachtermission der OSZE und des Europarats am Montag in Ankara mit. Der Präsident habe von diesen Vorteilen profitiert.

Die türkische Wahlbehörde hatte wie bereits nach dem ersten Wahlgang von einer problemlosen Abstimmung gesprochen. Während der Wahl gab es jedoch vermehrt Berichte zu Übergriffen auf Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter.

„Öffentliche Mittel für Wahlkampfzwecke genutzt“

Zudem habe Erdogan offizielle Anlässe für den Wahlkampf genutzt, so die Beobachter. „Zusammen mit der fortlaufenden Nutzung öffentlicher Mittel für Wahlkampfzwecke verschaffte das dem Amtsinhaber einen ungerechtfertigten Vorteil.“ Anhänger und Anhängerinnen einiger Oppositionsparteien seien weiterhin Einschüchterungen und Schikanen ausgesetzt. Der Wahlbehörde attestierte die Mission zudem Intransparenz.

Öffentlich-rechtliche Sender hätten den Amtsinhaber deutlich bevorzugt, eine „ähnliche Voreingenommenheit wurde aber auch bei zahlreichen privaten Medien festgestellt“, hieß es in dem Bericht. Auch die zweite Runde der Präsidentschaftswahl habe in einem Umfeld stattgefunden, „das in vielerlei Hinsicht nicht die Voraussetzungen für die Durchführung demokratischer Wahlen bietet“.