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Orientierungslos

Sinnsuchende befeuern Coaching-Markt

Vom Business- bis zum Wellnesscoach – der Coaching-Markt boomt wie nie zuvor. Allein in den vergangenen vier Jahren ist die Branche weltweit um rund 50 Prozent gewachsen. Immer mehr Menschen „suchen nach Orientierung und Struktur im Job, aber auch für ihr Leben“, sagt der Präsident des Österreichischen Dachverbandes für Coaching, Michael Tomaschek. Eine Entwicklung, die während der Pandemie stark zugenommen habe.

Geschätzte 10.000 Business- und mehr als 30.000 Lifecoaches gibt es derzeit im deutschsprachigen Raum. Jährlich wächst der Markt um zehn bis 15 Prozent – und das seit mehr als zehn Jahren. Das angebotene Potpourri an Coachings scheint dabei schier unbegrenzt zu sein: Von Humor- über Dating-, Mental-, Sex-, Yoga- und Lifestyle- bis hin zu Benimmcoachings ist mittlerweile jedes mögliche und unmögliche Angebot für alle Lebenslagen zu finden.

Der deutsche Innovationsforscher Michael Stephan von der Universität Marburg beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Coaching. Die stark gestiegene Nachfrage nach Coachings erklärt er sich vor allem mit der schnelllebigen Zeit, in der sich besonders die westliche Gesellschaft befinde.

„Die Menschen suchen im Coaching mehr und mehr nach Orientierung. Vor allem viele Businesscoachings haben damit zu tun. Dieser permanente und rasante Wandel und die ständige Veränderung in der Arbeitswelt überfordern viele. Lifecoachings machen viele, weil sie nach einem Sinn in ihrem Leben suchen, das eigene Selbst optimieren wollen“, meint Stephan.

„Uns gehen die Leitbilder ab“

Dem stimmt Tomaschek, Präsident des Österreichischen Dachverbandes für Coaching, zu und ergänzt: „In dieser globalen Umstrukturierung ist der Wandel so groß, dass wir kaum noch etwas an stabilen Werten und Normen haben. Was früher für viele etwa die Religion geleistet hat – Orientierung geben, Sinn stiften –, müssen wir uns jetzt selbst schaffen. Das braucht aber Zeit, und die hat heute bekanntlich niemand mehr. Es soll schnell und effektiv gehen, deshalb boomt auch der spirituelle Coaching-Markt. Uns gehen schlicht die Leitbilder ab.“

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Auch die Suche nach der persönlichen Work-Life-Balance wird in vielen Coachings immer mehr zum Thema

Außerdem komme hinzu, ergänzt Tomaschek, dass die vorherrschende Leistungsgesellschaft dafür sorge, dass Menschen nicht nur von außen Druck bekommen, sondern sich auch selbst großen Druck auferlegen. „Da man diese Erwartungen und Ansprüche aber selten erfüllen kann, sucht man schließlich Unterstützung bei einem Coach. Es geht also oft auch um Selbstoptimierung.“

Beratung ist nicht Coaching

Wie sinnvoll viele der angebotenen Coachings tatsächlich sind, stellt Stephan infrage. „Bei manchen Angeboten stellen sich mir wirklich die Haare auf. Ein Pflanzencoach etwa, das ist einfach schwachsinnig – was soll das sein? Wie will man Pflanzen coachen? Das geht schlichtweg nicht.“ Und das sei nur eines von vielen Beispielen, bei denen der Begriff des „Coaches“ missbräuchlich verwendet wird, so der Wissenschaftler.

„Coaching ist keine Beratung. Bei einer Beratung kommt jemand zu einem und erklärt, wie man was machen sollen, entwickelt Konzepte für einen und hat einen Plan, wie man bestimmte Probleme lösen soll. Das ist klassische Beratung. Ein Coach macht das eigentlich nicht. Er hält seinem Klienten den Spiegel vor, hilft einem, selbst Konzepte und Lösungen zu finden. Das ist ein reflexiver Prozess – also im Grunde gar nicht so weit weg von Therapie. Viele, die sich als Coach bezeichnen, machen aber in Wahrheit Beratung: ‚Ich zeige dir, wie du glücklich wirst, wie du gesund wirst, wie du kochen kannst‘ etc. Das ist aber kein Coaching“, so Stephan.

Mehr Sitzungen online als in Präsenz

Besonders niederschwellig und einfach sei der Zugang zu Coachings seit der Pandemie. Diese habe die Digitalisierung der Branche stark beschleunigt, sagt Stephan. Ob auf TikTok, Instagram oder YouTube – in den sozialen Netzwerken preisen Coaches mittlerweile ihre Fähigkeiten in allen Formaten an. Und auch die Coachings selbst haben sich in die virtuelle Welt verlagert. Wurde die Möglichkeit des Onlinecoachings vor 2020 nur eher selten in Anspruch genommen, werden mittlerweile mehr Sitzungen virtuell als analog abgehalten.

Grundgesamtheit der Coaches unbekannt

Seit 2008 führt Stephan mit seinem Team regelmäßig Studien zum deutschsprachigen Coaching-Markt und dessen Entwicklung durch – die letzte erschien 2022. Dabei beschäftigen sich die Forscher nicht nur mit dem Bereich des Lifecoachings, sondern auch mit klassischem Businesscoaching. Hier wächst der Markt allein in Österreich jedes Jahr um bis zu 15 Prozent.

Die Coaching-Studie

„Wir versuchen bei unseren Studien zwar eine breite und große Befragungsmenge zu erzielen, trotzdem können sie nicht als repräsentativ gesehen werden, weil wir die Grundgesamtheit schlichtweg nicht kennen. Es gibt keine Zulassungsvoraussetzungen fürs Coaching“, erklärt Stephan. Deshalb sei der „Wildwuchs“ in Deutschland besonders groß.

Anders sieht das in Österreich aus. Hier zählt Coaching im Sinne der psychosozialen Beratung zum Bereich des gebundenen Gewerbes der „Lebens- und Sozialberatung“. Businesscoaching ist im Bereich der Unternehmensberatung verankert und ähnlich wie bei sozialem Coaching an eine Berufsberechtigung gebunden. Der Begriff des „Coaches“ sei also nicht geschützt, die Tätigkeit jedoch sehr wohl, erklärt Tomaschek. Zusätzlich wurde die Ausbildung in Lebens- und Sozialberatung durch eine neue Verordnung ausgeweitet und ist mittlerweile ein zertifizierter Lehrgang.

Hunderte Beschwerden bei VKI

Durch die stark steigende Zahl an Coaches und vor allem Angebote in sozialen Netzwerken steige aber auch das Risiko, an mutmaßliche Betrüger zu geraten und einem vermeintlichen Coach auf den Leim zu gehen, warnt Reinhold Schranz, Leiter des Europäischen Verbraucherzentrums Österreich des Vereins für Konsumenteninformation (VKI). Dort gingen allein seit Juli 2022 mehr als 700 Beschwerden von Konsumentinnen und Konsumenten ein, die sich nach derartigen Coachings finanziell über den Tisch gezogen fühlten.

„Vor allem in den sozialen Medien stoßen die Menschen auf besagte ‚Finanzcoaches‘, die höchst professionell damit werben, wie man schnell und einfach reich werden kann. Sie präsentieren ihren Reichtum und Lifestyle, dabei steckt oft nichts dahinter. In Dubai gibt es beispielsweise eigene Agenturen, die darauf spezialisiert sind, solche Menschen als Millionäre zu inszenieren, indem sie sie auf Jachten stellen, in teure Autos setzen oder vor Luxusimmobilien platzieren und fotografieren. Ganz nach dem Motto: Fake it till you make it“, sagt der Jurist im ORF-Interview.

Hinter den angebotenen Coachings stecken dann oftmals nur voraufgezeichnete Videos und Gruppen-Zoom-Sitzungen, bei denen banale Binsenweisheiten zum Besten gegeben werden. „Dafür kassieren diese Coaches aber Tausende Euro pro Teilnehmerin und Teilnehmer“, so Schranz.

Vorsicht bei „Sofortlösungen“

Wer auf der Suche nach einem seriösen Coach ist, sollte sich vor allem nicht finden lassen, raten die Experten, sondern aktiv nach einem Coach suchen. Ein unseriöses Warnsignal seien „Sofortlösungen“ und absolute Heilsversprechen, meint dazu Stephan: „Aussagen wie: ‚Ich garantiere dir, dass du in drei Monaten so glücklich, so erfolgreich, so gesund bist, wie noch nie in deinem Leben.‘ Das ist ein absolutes Zeichen von mangelnder Seriosität – egal um welches Thema es geht.“

Auch wie das erste Coaching, die erste Sitzung abläuft, sage bereits viel über einen Coach aus. „Das sollte beim ersten Mal immer eine Art abtasten und kennenlernen sein, bei dem beide Seiten schauen können, ob denn die Chemie überhaupt passt. Wenn da ein Coach gleich den vollen Stundensatz verrechnet, würde ich schon vorsichtig werden“, so der Universitätsprofessor.

Hilfe und Rechtsberatung im Schadensfall

Außerdem sollte man sich bei der Wahl eines Coaches vorab über dessen Ausbildung informieren, auf mögliche Zertifikate und Gütesiegel achten und sich bei einem Dachverband erkundigen, rät Tomaschek. Mitglieder des Österreichischen Dachverbandes für Coaching etwa müssen für eine Mitgliedschaft einen Ausbildungsnachweis erbringen.

Auch der VKI bietet seine Hilfe und Unterstützung an, bevor diverse Verträge mit Coaches abgeschlossen werden. „Aber auch wenn man bereits etwas unterschrieben hat, gibt es noch Handlungsspielraum. Ich rate jedem, eine Rechtsberatung einzuholen. Oft stellt sich dann heraus, dass der Vertrag zum Beispiel gar nicht rechtskonform abgeschlossen wurde, und man hat gute Chancen, sein Geld zurückzubekommen“, sagt Schranz.

Experten: Markt noch lange nicht gesättigt

Der Trend, sich und sein Leben coachen zu lassen, stammt ursprünglich aus den USA. Aber Länder in Westeuropa und Südamerika holen auf – das belegt auch die aktuelle, internationale Studie der International Coach Federation (IFC) für das Jahr 2022.

Besonders das Businesscoaching sei längst nicht mehr nur der obersten Führungsetage vorbehalten, sagt Stephan. „Es wurde zu einem anerkannten Instrument in der Personalentwicklung, und es gibt mittlerweile viel Coaching im Bereich des mittleren Managements oder sogar bei einzelnen Mitarbeitern mit besonderen Arbeitsaufgaben oder Bereichen.“ Und der Markt werde weiter wachsen. Davon geht auch Tomaschek aus.

Eine Sättigung sei noch lange nicht erreicht. „Denn wenn man sich die absoluten Zahlen ansieht, sieht man, dass besonders im Businesscoaching noch viel Luft nach oben ist. Nur zwei bis drei Prozent der Führungskräfte in Österreich werden derzeit professionell gecoacht. Also der Markt ist noch bei Weitem nicht erschöpft. Die Wachstumszahlen sind seit Jahren im zweistelligen Bereich.“ Auch für 2023 gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass die Branche in Österreich um mindestens weitere zehn Prozent wachsen wird.