KFOR Soldaten im Kosovo
Reuters/Ognen Teofilovski
Nach Ausschreitungen im Kosovo

NATO schickt mehr KFOR-Soldaten

Nach den gewaltsamen Protesten im Norden des Kosovo verstärkt die NATO dort die internationale Schutztruppe KFOR – eine Vorsichtsmaßnahme, wie es heißt. Das österreichische Bundesheer, das im Rahmen der KFOR dort ist, erhöht zudem den Truppenschutz. Die diplomatischen Bemühungen um Deeskalation laufen auf Hochtouren.

Die Aufstockung der Soldaten solle „sicherstellen, dass die KFOR über die Fähigkeiten verfügt, die sie zur Aufrechterhaltung der Sicherheit gemäß unseres UNO-Sicherheitsratsmandats benötigt“, sagte am Dienstag der NATO-Kommandeur Stuart B. Munsch am Hauptkommando der Allianz in Italien. Aus Militärkreisen in Brüssel hieß es, es handle sich um ein Kontingent von etwa 700 Mann. Ein weiteres Bataillon der operativen Reserve werde in Bereitschaft versetzt, hieß in der Mitteilung weiter.

Am Montag war es in der Ortschaft Zvecan in der Nähe der faktisch geteilten Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo zu schweren Ausschreitungen gekommen, bei denen 30 NATO-Soldaten und 52 Serben verletzt wurden. Österreichische Soldaten waren nicht betroffen.

Serbische Demonstrantinnen und Demonstranten hatten am Montag die Stadtverwaltung in Zvecan stürmen wollen. Italienische und ungarische KFOR-Soldaten hatten sich ihnen entgegengestellt und wurden mit Steinen, Flaschen und Brandsätzen angegriffen. Die kosovarische Polizei setzte Tränengas ein.

Wieder Protest vor Ämtern

Auch am Dienstag versammelten sich Demonstrierende vor dem Rathaus in Zvecan. KFOR-Soldaten stellten eine Metallbarriere auf und hinderten Hunderte Serben daran, in das Gebäude einzudringen. Die Lage blieb aber ruhig, wie ein Reuters-Reporter beobachten konnte.

Auch in anderen Orten mit mehrheitlich serbischer Bevölkerung, in Leposavic und Zubin Potok, versammelten sich Serben vor den Ämtern. In Leposavic sollen maskierte serbische Männer zwei Autos von Journalisten mit albanischem Kennzeichen angriffen haben.

Straßenschlacht zwischen Demonstranten und KFOR Soldaten im Kosovo
Reuters/Laura Hasani
Dutzende Menschen waren am Montag verletzt worden

Konflikt schwelt schon lange

Hintergrund des neu aufgeflammten Konflikts zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit im Kosovo sind die Kommunalwahlen vom 23. April. Die Serben, die im nördlichen Landesteil die Mehrheit der Bevölkerung stellen, hatten die Wahlen boykottiert. In der Folge gewannen auch in mehrheitlich serbisch bewohnten Gemeinden albanische Bürgermeisterkandidaten. Zu deren Amtsantritten am Montag versammelten sich ethnische Serben zum Protest.

Explosive Lage im Kosovo

Der Kosovo-Konflikt schaukelt sich derzeit wieder gefährlich hoch. Bei Zusammenstößen zwischen Serben und Soldaten der KFOR-Friedensmission sind zuletzt Dutzende Menschen verletzt worden. Hintergrund ist eine Gemeinderatswahl, die von Serben boykottiert worden war. Als dann albanische Bürgermeister ihr Amt übernehmen wollten, kam es zur Eskalation.

Schon im Vorjahr hatten sich ethnische Serben aus Protest gegen die Politik der albanischen Bevölkerungsgruppe aus der Polizei und anderen öffentlichen Positionen zurückgezogen. Der Kosovo hatte 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Diese wird jedoch weder von Serbien noch von der serbischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo anerkannt.

Die Regierung des Kosovo machte Serbiens Präsident Aleksandar Vucic für die Entwicklung verantwortlich, der das zurückwies. Der kosovarische Premier Albin Kurti schrieb am Montagabend auf Twitter: „In einer Demokratie gibt es keinen Raum für faschistische Gewalt.“ Serbien versetzte seine Streitkräfte in höchste Gefechtsbereitschaft.

Diplomatische Anstrengungen

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte die Angriffe scharf. Solche Attacken seien „inakzeptabel“ und müssten aufhören. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte die Gewalt aufs Schärfste, sie führe „zu einer sehr gefährlichen Situation“. Beide Parteien müssten unverzüglich alles dafür tun, um zu deeskalieren und wieder für Ruhe zu sorgen. Borrell versucht derzeit, zwischen den Regierungen Serbiens und des Kosovo zu vermitteln.

Am Dienstag war ein Treffen zwischen Vucic und den Botschaftern der Vereinigten Staaten, Italiens, Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens – der „Quintgruppe“ – geplant. Serbien und der Kosovo sind am Donnerstag auch zum zweiten Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft eingeladen. Zudem versucht der EU-Sonderbeauftragte für den Dialog zwischen Belgrad und Pristina, Miroslav Lajcak, Vucic und Kurti an einen Tisch zu bringen – ein Unterfangen mit geringen Erfolgsaussichten, so der Sender Free Europe.

Grafik zu den Spannungen im Norden des Kosovo
Grafik: APA/ORF.at

Djokovic provozierte in Paris

Die Sorge vor weiteren Provokationen ist nun groß. Für Aufsehen sorgte einmal mehr der serbische Grand-Slam-Rekordsieger Novak Djokovic. Der Tennisspieler schrieb nach seinem Auftaktsieg bei den French Open am Montag in kyrillischer Schrift auf die Linse einer Fernsehkamera: „Kosovo ist das Herz Serbiens. Stoppt die Gewalt.“

Wehrschütz (ORF) zur Lage im Kosovo

Gibt es noch einen Weg zu dauerhaftem Frieden und echter Aussöhnung zwischen Kosovo-Albanern und Serben? ZIB-Korrespondent Christian Wehrschütz antwortet.

Djokovic räumte später bei einer Pressekonferenz ein, dass es sich beim Kosovo um ein „heikles Thema“ handle. „Als öffentliche Persönlichkeit und Sohn eines im Kosovo geborenen Vaters habe ich eine besondere Verantwortung gegenüber dem serbischen Volk“, sagte der 36-Jährige. Er sei aber kein Politiker und wolle keine Debatte anstoßen, fügte er hinzu. Djokovics Botschaft könnte noch eine Strafe nach sich ziehen, die Charta des Tennisturniers verbietet politische und religiöse Stellungnahmen.

KFOR-Mission seit 1999

Die NATO-geführte internationale Kosovo-Schutztruppe KFOR wurde 1999 von den Vereinten Nationen damit beauftragt, für die Sicherheit im Kosovo zu sorgen. Vorangegangen war ein NATO-Einsatz mit Luftangriffen, um Jugoslawien zum Rückzug aus der damaligen serbischen Provinz Kosovo zu zwingen. Nach der Entmilitarisierung des Kosovo ging es darum, ein Wiederaufflammen der Gewalt zwischen der ethnisch albanischen Mehrheit und der serbischen Minderheit im Norden des Kosovo zu verhindern.

KFOR Soldaten im Kosovo
Reuters/Miodrag Draskic
Auch am Dienstag war die KFOR wieder in Zvecan im Einsatz

Anfangs waren etwa 50.000 Soldaten von NATO-Mitgliedsstaaten und Verbündeten im Kosovo stationiert. Heute hat die KFOR noch etwa 3.800 Soldaten im Land. Das größte Kontingent stellt derzeit Italien mit über 700 Soldatinnen und Soldaten. Es folgen die USA (560), Ungarn (470) und die Türkei (350). Auch 273 österreichische Soldatinnen und Soldaten sind aktuell im Einsatz. Das aktuelle Mandat gilt bis Ende 2023.

Insgesamt stehen derzeit mehr als 1.800 österreichische Soldatinnen und Soldaten im In- und Auslandseinsatz – davon fast 800 in zwölf Friedensmissionen. Die drei großen Auslandsmissionen Österreichs sind unter Leitung der Europäischen Union in Bosnien-Herzegowina, unter NATO-Führung in der Kosovo-Mission und in der Blauhelm-Mission der UNO im Libanon.