Chinesischer Verteidigungsminister Li Shangfu während des Shangri-La-Dialogs in Singapur
Reuters/Mark Cheong/The Straits Times
„Wie im Kalten Krieg“

Konferenz vertieft Gräben USA – China

Eine Sicherheitskonferenz am Wochenende in Singapur hätte die Möglichkeit für ein Gespräch zwischen US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und seinem chinesischen Pendant Li Shangfu bieten sollen. Dazu kam es nicht, stattdessen gab es gegenseitige Vorwürfe: Austin sprach von „Schikane und Nötigung“, Li von einer Mentalität „wie im Kalten Krieg“. Die Gräben zwischen den zwei Mächten dürften nur noch tiefer werden, wenngleich beide auf ihre Bereitschaft zum Dialog verwiesen.

Die Spannungen zwischen Washington und Peking haben in jüngster Zeit deutlich zugenommen, unter anderem wegen der Taiwan-Frage und eines im US-Luftraum abgeschossenen mutmaßlichen chinesischen Spionageballons. Peking betrachtet Taiwan als abtrünniges Gebiet, das es wieder mit dem Festland vereinigen will – notfalls mit militärischer Gewalt.

Die Einladung zum Gespräch mit den USA nahm Li, der am Wochenende das erste Mal seit seinem Amtsantritt im März die internationale Bühne betrat, nicht an. Immerhin: Es gab lediglich einen Handschlag der beiden Verteidigungsminister, obwohl sich die beiden bei Tisch praktisch gegenübersaßen.

Lloyd sieht verweigerten Dialog

Zu sagen hatten sie einander trotzdem einiges: Der US-Minister kritisierte Chinas fehlenden Willen zu einem „ernsthafteren Dialog“ bei der Bewältigung militärischer Krisen. Ein Konflikt in der Taiwan-Straße wäre „verheerend“ und hätte schwere Folgen auf die Weltwirtschaft. Auch wandte sich der US-Verteidigungsminister gegen „Schikane und Nötigung“ gegenüber anderen Ländern und wies die weitreichenden chinesischen Territorialansprüche insbesondere im Südchinesischen Meer zurück.

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, chinesischer Verteidigungsminister Li Shangfu und andere Personen während eines Dinners beim Shangri-La-Dialog in Singapur
IMAGO/Kyodo News
Eher eisige Stimmung herrschte zwischen Lloyd Austin (links hinten) und Li Shangfu (rechts vorne)

Dabei sei eine „offene Kommunikation“ mit China „unerlässlich, insbesondere zwischen unseren Verteidigungs- und Militärspitzen“, sagte Austin. „Je mehr wir miteinander reden, desto mehr können wir Missverständnisse und Fehleinschätzungen vermeiden, die zu einer Krise oder einem Konflikt führen könnten“, so Austin.

Li ortet Einmischung in eigene Angelegenheiten

Am Sonntag kritisierte Li dann die USA indirekt: Er sehe eine Mentalität „wie im Kalten Krieg“ wiederaufleben, obwohl sein Land den Dialog der Konfrontation vorziehe. „Die Rückkehr zum Kalten Krieg erhöht die Sicherheitsrisiken erheblich“, so Li. In seiner Rede beschuldigte er „einige Länder“, das Wettrüsten zu intensivieren und sich vorsätzlich in die inneren Angelegenheiten anderer einzumischen.

Bei der Taiwan-Frage drohte er offen mit einem Militärschlag: „Wenn es jemand wagen sollte, Taiwan von China abzuspalten, wird das chinesische Militär nicht eine Sekunde zögern“, sagte der neue Verteidigungsminister. „Wir werden keinen Gegner fürchten und ungeachtet der Kosten entschieden unsere nationale Souveränität und territoriale Integrität schützen.“

China warnt vor Bündnissen in Region

Kritik übte er auch an möglichen Bündnissen in der Region, die auf Bestreben der USA geschlossen werden könnten. Der indopazifische Raum brauche „eine offene und integrative Zusammenarbeit und nicht die Einbindung in kleine Cliquen“, sagte Li in einer Rede. Vor eineinhalb Jahren hatten die USA gemeinsam mit Australien und Großbritannien das indopazifische Sicherheitsbündnis Aukus gegründet – eine Antwort auf den zunehmenden Einfluss Chinas in der Region. Zudem ist Washington zusammen mit Indien, Japan und Australien Mitglied der „Quad-Gruppe“. Der Versuch, derartige Allianzen voranzutreiben, sei „eine Form der Entführung regionaler Länder und des Aufbauschens von Konflikten und Konfrontationen“, so Li.

Doch auch er pochte auf Kommunikation: „China und die USA haben unterschiedliche Systeme und unterscheiden sich auch in vielerlei anderer Hinsicht“, sagte der Minister. „Das sollte die beiden Seiten jedoch nicht davon abhalten, nach Gemeinsamkeiten und gemeinsamen Interessen zu suchen, um die bilateralen Beziehungen auszubauen und die Zusammenarbeit zu vertiefen.“ Es sei unbestreitbar, dass ein schwerer Konflikt oder eine Konfrontation zwischen China und den USA eine schwerwiegende Katastrophe für die Welt bedeuten würde.

Vorfall stellt Verhältnis neuerlich auf die Probe

Wie angespannt die Situation zwischen den beiden Ländern dennoch ist, zeigt ein weiterer Vorfall an diesem Wochenende: Am Samstag hatte sich in der Meerenge zwischen der Insel Taiwan und dem chinesischen Festland erneut eine unfreundliche Begegnung zwischen der chinesischen und der US-Armee ereignet. Ein chinesisches Marineschiff habe sich auf „unsichere Weise“ dem US-Zerstörer „USS Chung-Hoon“ genähert, teilte die US-Armee mit. Das chinesische Schiff habe die „Chung-Hoon“ in der Taiwan-Straße im Abstand von nur rund 140 Metern überholt.

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin während des Shangri-La-Dialogs in Singapur
Reuters/Caroline Chia
Bei seiner Rede kritisierte Austin China, zeigte sich aber auch zum Dialog bereit

Die „USS Chung-Hoon“ hatte die Straße von Taiwan mit dem kanadischen Marineschiff „HMCS Montreal“ durchfahren. Die chinesische Armee teilte mit, dass sie die Durchfahrt der beiden Schiffe überwacht habe, erwähnte aber keinen Zwischenfall. Armeesprecher Shi Yi sagte: „Die betreffenden Länder verursachen willentlich Unruhe in der Straße von Taiwan, schüren absichtlich Risiken und untergraben böswillig den Frieden und die Stabilität in der Region.“

US-Verteidigungsminister Austin bezeichnete den Vorfall unterdessen als „extrem gefährlich“. Das chinesische Schiff sei „wahrscheinlich 46 Meter“ vor der „Chung-Hoon“ vorbeigefahren. Er rief Peking auf, „wirklich die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Art von Verhalten einzudämmen“. Andernfalls passierten womöglich „Unfälle, die dazu führen könnten, dass die Dinge außer Kontrolle geraten“, sagte Austin vor Journalistinnen und Journalisten in Singapur.

Geheimdienste trafen zusammen

Ganz ohne Dialog zwischen China und USA endete das Treffen in Singapur aber offenbar nicht. Hochrangige Beamte von etwa zwei Dutzend der wichtigsten Geheimdienste der Welt sollen sich laut Insidern am Rande des Shangri-La-Dialogs in Singapur zu einer geheimen Veranstaltung getroffen haben. „Das Treffen ist ein wichtiger Bestandteil der internationalen Schattenagenda“, sagte eine der fünf Personen, die mit der Angelegenheit vertraut ist.

Vertreten sollen auch die USA und China gewesen sein. „In Anbetracht der Vielzahl der beteiligten Länder ist es kein Festival der Verhandlungen, sondern eher ein Weg, um ein tieferes Verständnis der Interessen und Ziele zu gewinnen.“ Es gebe einen unausgesprochenen Kodex unter den Geheimdiensten, „sie können reden, wenn eine formellere und offene Diplomatie schwieriger ist“. Der Ton bei dem Treffen sei kollegial und kooperativ und nicht konfrontativ gewesen, sagte eine weitere Person. Offizielle Stellungnahmen gab es weder aus Peking noch aus Washington.