Satellitenbild zeigt den teilweise gesprengten Kachowa-Staudamm
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Ukraine

Kachowka-Staudamm in Cherson beschädigt

Im von Russland besetzten Teil der südukrainischen Region Cherson ist nach Angaben der Kriegsparteien der Kachowka-Staudamm nahe der Front schwer beschädigt worden. Die Ukraine befürchtet großflächige Überschwemmungen und begann mit Evakuierungen. Unterdessen kritisierte der Chef der russischen Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, Russlands Angaben zu vermeintlichen Verlusten aufseiten der Ukraine.

Kiew und Moskau machten einander am Dienstag für den Vorfall am Staudamm mit potenziell gravierenden Folgen verantwortlich. Das Reservoir versorgt die von Russland 2014 annektierte Halbinsel Krim mit Wasser, ebenso das besetzte AKW Saporischschja. Zugleich ist unklar, was eine Überschwemmung entlang der derzeitigen Front für eine eventuelle ukrainische Offensive bedeutet.

Kachowka-Staudamm in Region Cherson zerstört

Der Kachowka-Staudamm im russisch kontrollierten Teil der südukrainischen Region Cherson ist zerstört worden. Beide Kriegsparteien wiesen einander die Schuld zu. Nach Angaben beider Seiten waren Zehntausende Bewohner des Gebietes in Gefahr, Evakuierungen liefen an.

Die russische Seite, die zunächst den Schaden eher heruntergespielt hatte, betone mittlerweile, die Hälfte des Damms sei zerstört und der Damm breche weiter, berichtete die russische Nachrichtenagentur TASS.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Unklar ist, wie es zur Zerstörung des Dammes kam. Das ukrainische Einsatzkommando Süd teilte mit, die russischen Besatzer hätten den Damm in der Stadt Nowa Kachowka selbst gesprengt. Kiew sagte, russische Besatzer hätten den Damm „in Panik“ gesprengt. Russland machte dagegen ukrainischen Beschuss dafür verantwortlich. Der Militärgouverneur des Gebiets, Olexandr Prokudin, warnte, innerhalb von fünf Stunden könne der Wasserstand eine kritische Höhe erreichen.

Auf der westlichen Seite des Flusses Dnipro, wo auch die von den Ukrainern befreite Gebietshauptstadt Cherson liegt, sei mit Evakuierungen begonnen worden. Andrij Jermak, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, bezeichnete die Zerstörung des Staudammes als „Ökozid“. Von der Zerstörung könnten der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge rund Dutzende Ortschaften betroffen sein.

Satellitenbild zeigt den beschädigten Kachowa-Staudamm am 5. Juni 2023
Satellitenbild zeigt den Kachowa-Staudamm am 28. Mai 2023
APA/AFP/Satellite Image ©2023 Maxar Technologies APA/AFP/Satellite Image ©2023 Maxar Technologies
Der Staudamm links in einer Aufnahme vom 5. Juni, rechts vom 28. Mai

Der Wasserstand um den zerstörten Staudamm ist der russischen Nachrichtenagentur RIA zufolge bereits um fünf Meter gestiegen. Mehrere flussabwärts gelegene Inseln seien inzwischen völlig überflutet, meldete RIA unter Berufung auf örtliche Behörden. Das genaue Ausmaß ist aktuell noch nicht absehbar.

Russland sieht Schuld bei Ukraine

Der von Moskau eingesetzte Bürgermeister von Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, revidierte staatlichen russischen Nachrichtenagenturen zufolge mittlerweile seine ersten Angaben, wonach es keine Notwendigkeit gebe, Zivilisten und Zivilistinnen in Sicherheit zu bringen. Ein Teil der Stadt sei aus Sicherheitsgründen von der Stromversorgung abgeschnitten worden. Das angrenzende Wasserkraftwerk sei zudem zerstört, eine Reparatur nicht möglich, gaben beide Seiten an.

Leontjew räumte außerdem ein, dass es zu Problemen bei der Wasserversorgung auf der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim kommen könnte, die südlich von Cherson liegt. Diese wird mit Wasser aus dem Stausee versorgt. Die Angaben beider Seiten konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Versorgung für AKW Saporischschja

In russischen und ukrainischen Social-Media-Kanälen kursierten zahlreiche Beiträge über den zerstörten Damm, darunter auch ein Video, auf dem zu sehen ist, wie Wasser aus einer breiten Schneise fließt. Weitere Videos sollen bereits gestiegene Wasserstände um die Stadt Cherson zeigen. Die Echtheit der Videos kann derzeit nicht überprüft werden.

Satellitenbilder zeigen ebenfalls ein Leck, wobei nicht ersichtlich ist, wie es dazu kam. Der 30 Meter hohe und 3,2 Kilometer lange Damm wurde 1956 als Teil des Wasserkraftwerks Kachowka errichtet. Der Stausee fasst rund 18 Milliarden Kubikmeter Wasser bei einer Fläche von knapp 2.200 Quadratkilometern. Das Reservoir versorgt die von Russland 2014 annektierte Halbinsel Krim mit Wasser, ebenso das besetzte AKW Saporischschja.

Gebiete bei Cherson, die nur 6 bzw. 3 Meter über dem Meeresspiegel liegen.

Für dieses besteht nach russischer Darstellung keine unmittelbare Gefahr, wie TASS unter Berufung auf einen von Russland eingesetzten Verwaltungsvertreter im besetzten Gebiet berichtete. Es bestehe auch keine Gefahr, dass der Kanal auf die Krim austrockne, hieß es zunächst.

Auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) siehtderzeit keine Gefahr für das AKW, beobachte die Situation aber. Anders die Einschätzung der Atombehörde der Ukraine: Sie sieht durchaus Gefahren, die Situation sei aber derzeit unter Kontrolle.

Zweifel an russischen Erfolgsmeldungen

Russland hatte zuvor die Vereitelung einer weiteren Großoffensive der ukrainischen Streitkräfte in der Region Donezk vermeldet. Wie das russische Verteidigungsministerium am Montagabend mitteilte, wurden dabei u. a. acht Leopard-Kampfpanzer und drei französische Radpanzer zerstört. 1.500 ukrainische Soldaten seien getötet worden. Auch seien 109 gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden. Der Bericht konnte nicht unabhängig bestätigt werden, eine Stellungnahme vonseiten der Ukraine lag nicht vor.

Zweifel an den Angaben kamen von Prigoschin. Die vermeintlichen Opferzahlen in den Reihen der Ukrainer sah er als nicht realistisch an. Dafür wären weitaus mehr Bodengewinne erforderlich. „Deshalb glaube ich, dass das einfach wilde und absurde Science-Fiction ist“, sagte Prigoschin in einem Statement auf seinem Telegram-Kanal.

Zähle man die Zahlen des Ministeriums zusammen, „haben wir den gesamten Planeten bereits fünfmal zerstört“, fügte er sarkastisch hinzu. Prigoschin hat die russische Militärführung bereits mehrfach scharf kritisiert und ihr Unfähigkeit vorgeworfen.

Erneut Luftangriffe in der Nacht

Die Ukraine hatte bereits am Montag die russische Darstellung zurückgewiesen, dass eine Gegenoffensive in der Donezk-Region eingeleitet worden sei. Selenskyj meinte in seiner in Kiew verbreiteten abendlichen Videobotschaft: „Russland wird diesen Krieg verlieren. Der Feind weiß, dass die Ukraine gewinnen wird. Sie sehen das.“ Selenskyj lobte insbesondere Vorstöße der ukrainischen Truppen in Richtung der Stadt Bachmut, die Russland schon für erobert erklärt hatte. Die Erfolge dort seien die Nachrichten, auf die die Ukraine gewartet habe.

In der Nacht gingen die Luftangriffe weiter, Berichten zufolge gab es erneut landesweit Luftalarm in der Ukraine. In den frühen Morgenstunden waren in verschiedenen Bezirken der Hauptstadt Kiew heftige Explosionen zu hören, wie „Ukrajinska Prawda“ berichtete. Sie stammten von Luftabwehrraketen, teilt Bürgermeister Witali Klitschko via Telegram mit. Offizielle Stellen sprachen von 20 abgefangenen Marschflugkörpern. „Alle wurden abgeschossen, es gab keine Treffer“, teilte der Chef der Militärverwaltung, Serhij Popko, auf Telegram mit. Vorläufigen Informationen zufolge gab es keine Verletzten.