Asylsuchende warten darauf eine Fähre auf Lampedusa zu betreten
APA/AFP/Filippo Monteforte
Schärfere Asylregeln

EU-Staaten verkünden Durchbruch

Nach jahrelangem Ringen haben sich die EU-Staaten auf eine Verschärfung der EU-Asylregeln verständigt. Die 27 EU-Innenministerinnen und -minister stimmten am Donnerstagabend in Luxemburg einem dritten Kompromissvorschlag des schwedischen Ratsvorsitzes zu, wie Schwedens Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard sagte. Der Einigung waren zähe Verhandlungen und viel Kritik vorausgegangen.

„Wir haben heute einen historischen Schritt getan“, sagte Stenergard. Die Schwedin sprach von „großer Zustimmung“ für die beiden Gesetzesvorlagen. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson freute sich über den „Geist der Solidarität und der Zusammenarbeit“ zwischen den Mitgliedsstaaten. Auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte die Einigung „historisch“. Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bezeichnete das Ergebnis in einer öffentlichen Sitzung als einen „guten Schritt vorwärts“.

Bei den Verhandlungen ging es einerseits um Vorprüfungen von Asylanträgen von Menschen mit geringen Aufnahmechancen an EU-Außengrenzen und andererseits um die Verteilung von Asylsuchenden. Der Vorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft zu Grenzverfahren sah etwa vor, dass Migranten und Migrantinnen aus Ländern, die im EU-Schnitt eine Anerkennungsquote von unter 20 Prozent haben, eine Vorprüfung ihres Antrags durchlaufen müssen.

Schnellverfahren: Keine Ausnahmen für Kinder

So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort soll geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden. Dieser Prozess soll binnen maximal sechs Monaten abgeschlossen sein.

Die Mehrheit der Flüchtlinge – etwa aus Syrien, Afghanistan und dem Sudan – soll weiter Recht auf ein normales Verfahren haben. Nicht durchsetzen konnte sich Deutschland mit seiner Forderung nach humanitären Ausnahmen von den umstrittenen Grenzverfahren für Familien mit Kindern.

Freikauf von Flüchtlingsaufnahme möglich

Beim jahrelangen Streitthema der Umverteilung von Asylsuchenden soll künftig das Motto „verpflichtende Solidarität“ und nicht „verpflichtende Verteilung“ gelten. Das heißt, jene Mitgliedsstaaten, die von einem Ansturm auf ihre Grenzen überfordert sind, sollen soldarisch Hilfe erhalten. Zugleich soll es jenen Staaten, die keine Menschen aufnehmen wollen, möglich sein, sich „freizukaufen“. 20.000 Euro sind pro nicht aufgenommenem Asylwerber zu zahlen.

Karner verwies in der Debatte auf hohe Asylantragszahlen. Der Innenminister betonte am Donnerstag auch mehrfach, dass sich Österreich bisher solidarisch verhalten habe und sich nun zunehmend Solidarität von anderen erwarte. Es werde weitere Schritte geben müssen, sagte der Minister zuvor zudem. Österreich, Italien und Griechenland hätten sich für die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit sicheren Nicht-EU-Ländern eingesetzt. Was das konkret bedeutet, sagte Karner nicht.

Nehammer begrüßt Entscheidung

„Die verpflichtenden Verfahren an der Außengrenze sind ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Damit wird eine Forderung Österreichs umgesetzt, für die wir auf allen Ebenen gekämpft haben“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag. „Aber klar ist: Um die gescheiterte Asylpolitik der EU in den letzten Jahren wieder zu reparieren, braucht es eine Totalreform.“ Dazu brauche es einen robusten Außengrenzschutz und Asylverfahren in Drittstaaten.

Der ÖVP-EU-Parlamentarier Othmar Karas begrüßte, dass „der Rat damit endlich an den Verhandlungstisch mit dem EU-Parlament kommt“. Der Weg sei aber noch lang, so Karas. Gleichzeitig betonte er, dass Außengrenzschutz EU-Kompetenz werden müsse und es einheitliche Asylverfahren an der Außengrenze brauche. Weiters seien ein solidarischer Verteilungsschlüssel und koordiniertere Hilfe an Ort und Stelle notwendig, twitterte Karas.

Kritik an der Einigung kam indes von der FPÖ. „ÖVP-Innenminister Karner ist bei seinem zentralen Versprechen, eine Umverteilung von Asylsuchenden zu verhindern, umgefallen. Damit fällt er den Österreichern in den Rücken“, zeigten sich FPÖ-Chef Herbert Kickl und FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer enttäuscht. Sollte es zu einer Einigung mit dem EU-Parlament kommen, fordere die FPÖ eine Volksabstimmung in Österreich über dieses Asylpaket. „Ein Schritt in die richtige Richtung, aber viel zu spät und nicht genug“, nannte der FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Harald Vilimsky, die Einigung.

Grünes Licht für Verhandlungen mit EU-Parlament

Nicht unterstützt wurde die Reform bei dem Treffen von den Ländern Polen, Ungarn, Malta, der Slowakei und Bulgarien. Tschechien machte nach der Einigung deutlich, dass es sich nicht an dem Solidaritätsmechanismus beteiligen will. Polen und Ungarn hatten sich bereits in der Vergangenheit ähnlich geäußert. Eine ausreichend große Mehrheit kam allerdings zustande.

Mit der Einigung im Rat der 27 EU-Innenministerinnen und -minister dürften schon bald die Verhandlungen mit dem EU-Parlament starten. Ein Kompromiss für den gesamten Asyl- und Migrationspakt, der mehrere Regelungen vorsieht, soll noch vor den Europawahlen im Juni 2024 erzielt werden.

EU: Zähes Ringen um Asylregeln

In Österreich wurden mehr als 13.000 Asylanträge von unbegleiteten Kindern registriert. Wie mit diesen jungen Flüchtenden umgegangen werden soll, ist Thema beim Rat der EU-Innenminister und -ministerinnen. Es geht insgesamt um die Frage, wie Asylsuchende in Europa aufgeteilt werden sollen und ob Asylanträge an den Außengrenzen schon vorgeprüft werden können.

Kritik kam von den Grünen. Die grüne Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Terry Reintke, monierte, die Einigung beinhalte unter anderem nicht ausreichend rechtsstaatliche Verfahren sowie Inhaftierungen an den EU-Außengrenzen. „Die Position des Rates widerspricht europäischen Werten wie den Grundrechten und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit.“ Die Fraktion lehne den Beschluss des Rates ab, sagte die deutsche Politikerin.

Hartes Ringen um Einigung

Ob es überhaupt zu einer Abstimmung kommt, war im Laufe des Tages keineswegs klar: Dem Kompromiss waren zähe Verhandlungen vorausgegangen. Die Positionen bei den beiden zentralen Fragen – also der Verteilung von Asylsuchenden und den Vorprüfungen von Asylanträgen von Menschen mit geringen Aufnahmechancen an EU-Außengrenzen – lagen teils weit auseinander.

Angesichts hoher Asylantragszahlen sowie bevorstehender Europawahlen sahen EU-Staaten zuletzt dringenden Handlungsbedarf. Seit Monaten versuchen viele, von Nordafrika über das Mittelmeer in die EU zu gelangen. Nach Angaben aus Rom kamen seit Jänner mehr als 50.000 Menschen auf Booten nach Italien. Italien und Spanien, aber auch Griechenland, schlagen immer wieder Alarm.

Österreich mit besonders viel Asylanträgen

Österreich gehörte in der EU im Vorjahr zu den am meisten mit Asylanträgen belasteten Ländern – die Zahlen sind seither rückläufig. 112.000 Asylanträge wurden 2022 hierzulande gestellt, viele Menschen sind aber weitergezogen und wurden nicht in die Grundversorgung aufgenommen. In der Grundversorgung waren stattdessen sehr viele Ukrainer, die vor dem Krieg flüchteten und über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht verfügen (also keinen Asylantrag stellen müssen).

Spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 ist klar, dass die geltenden EU-Asylregeln überarbeitet werden müssen. Unzählige Menschen kamen damals in Ländern wie Griechenland an, die dem Zustrom damals nicht gewachsen waren. Hunderttausende geflüchtete Menschen konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen. Dabei sollen Asylwerber gemäß der Dublin-Verordnung in jenen Ländern registriert werden, wo sie die EU erstmals betreten haben. Dieses Land ist in der Regel auch für den Asylantrag zuständig.

Rat für Migration mit heftiger Kritik

Die EU würde an ihrem restriktiven Asylkurs festhalten, kritisierten Migrationsforscherinnen und -forscher im Vorfeld: Der Rat für Migration, dem fast 200 Fachleute angehören, befürchtete eine Verschärfung der Lage. Forschungen zu bereits in Pilotprojekten umgesetzten Maßnahmen der EU-Asylreform zeigten, „dass diese nicht menschenrechtskonform umgesetzt werden können“, teilte der Rat mit.

Es sei zu erwarten, dass die Vorschläge weitere Anreize für Staaten an den Außengrenzen schafften, noch stärker illegale Zurückweisungen vorzunehmen und Schutzsuchende an den Grenzen zu inhaftieren. Auch bliebe das Grundproblem des Dublin-Systems bestehen, hieß es.

Grenzverfahren „meist zulasten des Asylwerbers"

Grenzverfahren würden „meist zulasten des Asylwerbers“ entschieden, kritisierte Migrationsforscherin Judith Kohlenberger auf Twitter. „Grenzverfahren haben eine fünfmal niedrigere Anerkennungsquote als reguläre Asylverfahren“, so Kohlenberger weiter.

Dem stimmt der Migrationsforscher Florian Trauner gegenüber ORF.at zu. Man riskiere Schnellverfahren, die „qualitativ weniger gründlich sind und zu mehr negativen Bescheiden“ führen: „Es kann daher als ein Schritt zu einem restriktiveren EU-Asylsystem angesehen werden“, so Trauner.

Der Experte glaubt auch, dass so eine Regel vor verschiedenen Gerichten angefochten werden würde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hätte 2013 zwar ein mehrmonatiges Festhalten in maltesischen Transitlagern für rechtens erklärt, aber in anderen Urteilen von „unmenschlicher Behandlung“ von Migrantinnen und Migranten in Schubhaft an der EU-Außengrenze gesprochen, merkt Trauner an. „Es wird daher darauf ankommen, was genau ausverhandelt wird, ob so eine Regelung rechtskonform ist.“

NGOs sorgen sich um Kinder

Alarmiert zeigten sich mehrere NGOs. Sollten im Zuge der Grenzverfahren auch geflüchtete Kinder und Jugendliche von Inhaftierung oder haftähnlicher Unterbringung betroffen sein, verstoße das gegen das in der UNO-Kinderrechtskonvention verankerte Recht auf Schutz vor Folter und Freiheitsentzug, kritisierten Amnesty International Deutschland und das Deutsche Kinderhilfswerk.

„Wenn wir bereit sind, geflüchtete Kinder in Haftlagern unterzubringen, geben wir im Kern unsere europäischen Werte auf. Kinderrechte, Freiheit und Humanität dürfen nicht in einem politischen Kuhhandel eingetauscht werden“, sagte Marvin Mc Neil von der Organisation Save the Children Deutschland.

Kritik an Forderung nach Asylverfahren in Drittstaaten

Auch an den von Österreich mehrfach geforderten Asylzentren und Asylverfahren in sicheren Drittstaaten gab es Kritik: Asylverfahren nach britischem Vorbild in Drittstaaten zu verlagern, sei nicht mit den Menschenrechten vereinbar, hatte UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk jüngst etwa gewarnt.

Seit 20 Jahren gebe es seitens EU-Politikerinnen und -Politikern immer wieder Rufe nach der Auslagerung von EU-Asylverfahren, merkt Migrationsforscher Trauner an. Politisch sei das angesichts des Widerstandes aus Drittstaaten de facto nicht umsetzbar. Zudem gebe es „schwierige menschenrechtliche und administrative Fragen, die noch ungeklärt“ sind, so Trauner.