Chinesische DF-41-Interkontinentalraketen
Reuters/Thomas Peter
SIPRI schlägt Alarm

Zahl einsatzfähiger Atomwaffen steigt

Geht es nach dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI) steht die Welt vor „dem Ende eines langen Zeitraums der weltweit zurückgehenden Zahl von Nuklearwaffen oder habe es sogar schon erreicht“. Wie aus dem jährlichen SIPRI-Bericht zum weltweiten Atomwaffenarsenal hervorgeht, sei auch 2022 die Gesamtzahl der Atomwaffensprengköpfe weiter zurückgegangen – dennoch gebe es nun mehr nutzbare Atomsprengköpfe als im Jahr zuvor.

„Wir driften in eine der gefährlichsten Perioden der Menschheitsgeschichte“, sagte SIPRI-Direktor Dan Smith anlässlich der Veröffentlichung des Jahrbuches 2022. Es müssten „unbedingt“ Wege der Zusammenarbeit gefunden werden, um geopolitische Spannungen abzubauen und den Rüstungswettlauf zu verlangsamen.

SIPRI unterscheidet bei seinen Recherchen zwischen einsatzbereitem Lagerbestand und Gesamtbestand. Zu Letzterem gehören auch ältere Atomwaffen und solche, die für den Rückbau bestimmt sind. Die neun Atomstaaten würden dem SIPRI-Bericht zufolge ihre Atomwaffenarsenale weiter modernisieren – einige hätten im Vorjahr auch neue nuklear bewaffnete oder nuklearfähige Waffensysteme installiert.

Löwenanteil weiter bei Russland und USA

Die Gesamtzahl der nuklearen Sprengköpfe im Besitz von Großbritannien, China, Frankreich, Indien, Israel, Nordkorea, Pakistan, USA und Russland ging 2022 im Vergleich zum Jahr davor von 12.710 auf 12.512 zurück. Von diesen waren laut SIPRI 9.576 und damit 86 mehr als 2021 in „militärischem Lagerbestand für potenziellen Gebrauch“.

Grafik zu Atomwaffen weltweit
Grafik: APA/ORF; Quelle: SIPRI

Davon seien etwa 3.844 nukleare Sprengköpfe einsatzbereit und rund 2.000 in höchster Alarmbereitschaft – beinahe alle davon im Bestand der USA oder von Russland.

Die beiden Großmächte verfügen zusammen über fast 90 Prozent aller Atomwaffen. Aufgrund der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 habe die Diplomatie im Bereich der Rüstungskontrolle sowie Abrüstung aber einen schweren Rückschlag erlitten. Auch die Transparenz in Bezug auf Atomwaffen nahm ab.

Erhöhtes Risiko von „Fehleinschätzungen“

„Es besteht die dringende Notwendigkeit, die Nukleardiplomatie wiederherzustellen und die internationalen Kontrollen von Atomwaffen zu verstärken“, betonte Smith und sprach das erhöhte Risiko von „Fehleinschätzungen, Missverständnissen oder Unfällen“ zwischen den Atommächten an. Sowohl die USA als auch das Vereinigte Königreich stellten der Öffentlichkeit im Jahr 2022 keine Informationen über ihre Nuklearstreitkräfte zur Verfügung – anders als in den Jahren zuvor.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte im Februar den New-START-Vertrag mit den USA zur Verringerung des Atomwaffenarsenals ausgesetzt. Russland hatte allerdings erklärt, sich weiter an die Obergrenzen des Vertrags halten zu wollen. Es ist der letzte noch bestehende Abrüstungsvertrag zwischen den beiden Atommächten. Zuletzt zeigte sich der Kreml wieder offen für einen neuen Dialog über die gegenseitige atomare Rüstungskontrolle.

China stockte Arsenal deutlich auf

Der Großteil der aktuellen Steigerung ist auf China zurückzuführen, das den SIPRI-Zahlen zufolge seinen Lagerbestand von 350 auf 410 Atomwaffensprengköpfe erhöhte. Indien, Pakistan, Nordkorea und in einem geringeren Maße auch Russland erhöhten ebenfalls ihre Lagerbestände, die übrigen Atommächte behielten ihre Zahlen bei.

SIPRI verweist zudem darauf, dass auch Großbritannien in der Vergangenheit bereits angekündigt habe, die bisherige Obergrenze für Atomsprengköpfe von 225 auf 260 erhöhen zu wollen. Zudem entwickle Frankreich weiterhin die dritte Generation der Atom-U-Boot-Trägerrakete (SSBN) und auch Indien, Pakistan und Israel, das offiziell Aussagen zu seinen Atomwaffenbeständen verweigert, arbeiteten an der Expansion und Erneuerung ihrer Atomwaffenarsenale, heißt es im SIPRI-Bericht.

A-Bombe für Nordkorea „zentrales Element“

Nordkorea priorisiere sein Atomwaffenprogramm weiter als „zentrales Element“ der nationalen Sicherheitsstrategie. Die Experten schätzen, dass das Land derzeit über 30 nukleare Sprengköpfe verfügt und genug Material für 50 bis 70 weitere besitze – ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr.

SIPRI-Chef Smith verwies darauf, dass die steigenden Lagerbestände nicht mit dem Krieg in der Ukraine erklärt werden könnten, weil es länger dauere, neue Sprengköpfe zu entwickeln. Zudem seien die Länder mit den größten Erhöhungen nicht direkt vom Krieg betroffen. Und was Pekings Investitionen in Sachen Aufrüstung betrifft, sehe man nach den Worten von Smith „Chinas Aufstieg zur Weltmacht“ – und „das ist die Realität unserer Zeit“.