Ärztin untersucht einen Patienten
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Ärztemangel

Plan für mehr Zentren zur Primärversorgung

Die Koalition hat sich beim Ausbau der Primärversorgungszentren geeinigt. Am Mittwoch geht das Gesetz durch den Ministerrat und direkt weiter ins Parlament. Davor hatte die Regierung bereits mindestens hundert weitere Stellen für Kassenärzte angekündigt. Fachleute sind allerdings überzeugt, dass das am Ärztemangel nichts ändern wird. Schon jetzt seien Hunderte Hausarztstellen unbesetzt. Kritik kam von FPÖ und NEOS.

Hausärztinnen und -ärzte sind zunehmend dünner gesät, nicht nur, aber besonders auf dem Land. Das Thema ist seit Jahren bekannt und akut, durchschlagende Gegenmaßnahmen wurden bisher im komplexen und von vielen divergierenden Interessen bestimmten Gesundheitssystem nicht unternommen. Ein Hebel, bei dem nach vorangegangenen Regierungen auch die ÖVP-Grünen-Koalition ansetzen will, ist der Ausbau von Primärversorgungszentren. Damit soll es für Ärztinnen und Ärzte attraktiver werden, im niedergelassenen Bereich und auf dem Land zu arbeiten.

De facto sind Primärversorgungszentren Unternehmen, in denen zahlreiche Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeutinnen und anderes medizinisches Personal in einem Haus zusammenarbeiten. ÖVP und Grüne haben sich nun auf den Ausbau dieser bisher in bescheidener Zahl bestehenden Primärversorgungseinheiten (PVE), wie sie offiziell heißen, geeinigt. Die Ärztekammer soll dabei ihr bisheriges Vetorecht verlieren.

120 Einheiten angestrebt

Die entsprechende Gesetzesnovelle wird am Mittwoch im Ministerrat beschlossen und soll am selben Tag im Parlament eingebracht werden. Geplant ist eine Verdreifachung von 40 auf 120 Einheiten bis zum Jahr 2025. Es sollen auch reine Kinder-PVEs ermöglicht werden. Auch andere Gesundheitsberufe als Ärzte können Gesellschafter werden, den Ärztekammern wird die Vetomöglichkeit gegen neue PVEs genommen.

Für die Koalition ist das ein zentralea Baustein der von ihr angekündigten Reform des Gesundheitssystems. Mit den PVEs will man den niedergelassenen Bereich stärken. Vorteile für Patientinnen und Patienten, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, etwa längere Öffnungszeiten bzw. eine geregelte Urlaubsvertretung, werden ins Treffen geführt. Auch die Zusammenarbeit verschiedener Gesundheitsberufe, neben Ärztinnen und Ärzten etwa Pflege und Physiotherapie, werden genannt.

Eigene Zentren für Kinder möglich

Neu in der Regierungsvorlage zum Primärversorgungsgesetz ist unter anderem die Ermöglichung reiner Kinder-PVEs. Man will damit dem besonders eklatanten Mangel in diesem Fachgebiet begegnen. Wer bereits eine Wahlarztpraxis betreibt, wird im Rahmen des Auswahlverfahrens gleich behandelt wie Kassenärzte. Bei der Gründung werden künftig die Gesundheitsberufe gleichberechtigt. Nicht nur Ärzte können Gesellschafter werden, sie müssen aber mehr als 50 Prozent am Kapital der Gesellschaft halten.

Zur Beschleunigung der Verfahren wird das Bewerbungs- und Auswahlverfahren verkürzt. Bei zwei länger unbesetzten Kassenstellen in einer Versorgungsregion kann die Landeszielsteuerungskommission (bestehend aus Land und Sozialversicherung; ohne Ärztekammer) einen Beschluss für eine PVE an einem Standort in dieser Region fassen. Außerdem entfällt die Bedarfsprüfung für gemeinnützige Ambulatorien, die ein Zentrum betreiben wollen. In der Steiermark – dort gibt es derzeit zwei – zeigt man sich optimistisch, dass es mit dem Ausbau rasch gehen könnte. Sieben solcher Versorgungszentren seien nämlich schon im Gespräch – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

„Nicht schlecht, aber nicht genug“

Zu den von der Regierung am Wochenende angekündigten zusätzlichen hundert Kassenstellen noch heuer sagte
Susanne Rabady, Präsidentin der Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM), am Dienstag im Ö1-Morgenjournal, das sei grundsätzlich „nicht schlecht, aber nicht genug“. Denn es ändere „nichts daran, dass es zu wenige Interessenten für die Stellen gibt – die bestehenden wie die geplanten“.

Ins selbe Horn stießen ÖGK-Vizechef Andreas Huss (Arbeitnehmerverterter) und SV-Obmann Peter Lehner (Arbeitgeberseite). Schon jetzt könnten 300 Stellen nicht besetzt werden, so Huss, der von der Regierung hunderte Millionen zusätzlich forderte, um den Leistungskatalog ausweiten und attraktiver für Ärzte machen zu können. Tatsächlich hat die Regierung mehr Geld angekündigt, konkrete Zahlen gibt es bisher aber nicht.

Rabady: Zu hoher Stellenwert für Spezialisierung

Rabady kritisierte, dass es seit Längerem einen zu hohen Stellenwert für medizinische Spezialisierung gebe. Schon im Studium und vor allem in der Ausbildung im Spital müsse die Vermittlung von und die Wertschätzung für Allgemeinmedizin verbessert werden, um dieses Feld für Ärztinnen und Ärzte wieder attraktiver zu machen.

Sie warnte zudem davor, nur auf Primärversorgungszentren zu setzen, um den Mangel an Hausärzten zu beheben: Es brauche weiter eine Vielfalt an Systemen. Denn es gebe Leute, die ihre eigene Praxis wollten, und andere, die kleine Gruppenpraxen bevorzugen würden. Diese beide Formen werden Rabadys Einschätzung nach auch in Zukunft den weitaus größten Teil der Versorgung ausmachen.

Kritik von FPÖ und NEOS

Für die FPÖ sind sowohl die 100 zusätzlichen Kassenarztstellen als auch die Novelle des Primärversorgungsgesetzes „unausgegoren und fantasielos“. Die Novelle sei unzureichend, die neu geplanten Kassenstellen schlichtweg unattraktiv, so der freiheitliche Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak.

NEOS kritisierte wiederum, dass künftig auch die ÖGK und das Land eine Primärversorgungseinheit betreiben können sollen. Es sei „absolut ineffizient“, wenn mit der ÖGK der Leistungserbringer auch der Zahler sei, so Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler. Sie plädierte vielmehr für Privatunternehmen als Betreiber.