Großglockner
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Klimawandel

Touren im Hochgebirge werden riskanter

Er hält die Gipfel im Hochgebirge zusammen wie eine Art „Klebstoff“: der Permafrost. Dabei handelt es sich schlicht um dauerhaft gefrorenes Gestein. Doch genau das schwindet aufgrund der steigenden Temperaturen auch in großen Höhen. Felsen und Gesteinsmassive würden dadurch stetig instabiler, warnt Robert Supper, Bereichsdirektor für Geologie der GeoSphere Austria. Manche hochalpine Berggipfel sind mittlerweile im Sommer nur noch schwer begehbar, viele Touren werden riskanter.

Seit dem vergangenen Wochenende ist der Südgipfel des Fluchthorns ohne Gipfelkreuz und vorerst nicht begehbar. Ein großer Felssturz ließ den 3.000er an der Grenze zwischen Österreich und der Schweiz um geschätzte 19 Meter schrumpfen. Verletzt wurde dabei niemand. Grund für den Bergsturz war laut Expertinnen und Experten der tauende Permafrost – ein Vorgang, der in Zukunft nicht nur in der Silvretta-Gruppe zum Problem werden wird. Bergtouren im hochalpinen Raum werden gefährlicher werden, sagt Thomas Wanner vom Österreichischen Alpenverein (ÖAV) gegenüber dem ORF.

Dass Naturereignisse dieser Art künftig häufiger vorkommen, davon ist auch Geophysiker Supper überzeugt: „Tatsache ist, dass der Permafrost auftaut und es mittlerweile auch in sehr hoch gelegenen Bereichen zu Aufschmelzungen kommt. Das Gestein wird mobilisiert, und Gipfel, die zuvor das ganze Jahr gefroren waren, werden nun instabil.“

Gletscher dienen oft als Stützmauern

Das Risiko für Berg- und Felsstürze ist aber nicht überall gleich groß. Einerseits spielt die Art des Gesteins eine entscheidende Rolle – je stärker zerklüftet, desto mehr gefährdet –, andererseits müsse die tektonische Prägung berücksichtigt werden, erklärt Supper. Der rasante Gletscherschwund sorge für eine zusätzliche Destabilisierung.

„Viele Gletscher haben bisher wie eine Art Stützmauer gewirkt. Durch ihr Abschmelzen fällt diese stützende Wirkung auf das Gestein weg, und Felsen können abbrechen. In der Geschwindigkeit, in der die Gletscher zurückgehen, entstehen jetzt natürlich viele Gebiete mit großer Steinschlaggefahr“, so Supper.

Grafik zeigt die Konsequenzen auftauender Permafrostböden im Gebirge
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Manche Gipfel kaum noch begehbar

Bei heimischen Bergführern ist diese Tatsache längst im Berufsalltag angekommen. Touren im Hochgebirge müssen oftmals neu, anders und besser geplant werden. Die Gefahren von Steinschlag machen manche Gipfel mittlerweile in den Sommermonaten unbegehbar. Die Risiken wären einfach zu hoch, sagt Wanner und nennt prominente Beispiele.

„Den Normalweg auf die Wildspitze (3.768 Meter, Anm.) kann man nicht mehr zu jeder Zeit unbedenklich gehen, weil er einfach stark steinschlaggefährdet ist. Das Gleiche ist auf dem Zuckerhütl (3.507 Meter, Anm.) in den Stubaier Alpen. Im Hochsommer gehen die Bergführer mit den Gästen diesen Berg mittlerweile gar nicht mehr, weil das Risiko für Steinschlag viel zu hoch geworden ist. Im Winter ist das kein Problem, da ist alles recht stabil und sicher, aber im Sommer ist es einfach zu riskant“, so Bergführer Wanner.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Zuckerhütl
Das Zuckerhütl ist der höchste Berg in den Stubaier Alpen und im Winter eine beliebte Skitour
Silvrettagruppe im Gemeindegebiet von Galtür
APA/LAND Tirol
Im Bereich der Nordwestflanke des südlichen Fluchthorns brachen die Gesteinsmassen ab
Gletschersturz auf der Marmolata
APA/AFP/Tiziana Fabi
Im Sommer 2022 kam es auf der Marmolata in Italien zu einem großen Gletschersturz
Felssturz in der Gemeinde Hüttschlag
APA/LAND Salzburg/Gerald Valentin
Der Schauplatz eines Felssturzes im Ortsteil Karteis der Gemeinde Hüttschlag in Salzburg am 24. Oktober 2019

Auch Gletscherschmelze lässt Risiko steigen

Zusätzlich lässt der fortschreitende Schwund der Gletscher das Gefahrenpotenzial steigen. Die über die Wintermonate aufgebaute Schneedecke schmilzt durch die steigenden Temperaturen auch im Hochgebirge schneller, Gletscherspalten treten früher zutage. „Letztes Jahr waren bereits Ende Juni viele Gletscher blank – bis zu sechs Wochen früher als normal. Dadurch ist die Absturzgefahr in Spalten und die Gletschersturzgefahr wesentlich höher, und auch der Steinschlag nimmt zu“, sagt Wanner.

Die Wissenschaft bestätigt die Wahrnehmung der heimischen Alpinisten. „Wir haben in den Ostalpen durch den Klimawandel eine wesentlich stärkere Temperaturerhöhung als im globalen Mittel. Da sprechen wir zum Teil von mehr als zwei, drei Grad in den letzten 120 Jahren an Erwärmung, und das hat natürlich Konsequenzen“, sagt Markus Keuschnig von Georesearch. Er und sein Team beschäftigen sich seit mehr als zehn Jahren mit Umweltveränderungen in alpinen Regionen.

Freiluftlabor überwacht Gesteinsbewegung

Seit 2010 wird etwa mittels eines Freiluftlabors der Gipfelbereich des 3.203 Meter hohen Kitzsteinhorns überwacht und erforscht. Anhand von fünf Bohrlöchern, die bis in eine Tiefe von 40 Metern in das Gestein reichen, betreiben die Wissenschaftler dort unter anderem seismisches Monitoring. Dabei würden bereits minimale Erschütterungen gemessen, erklärt Geomorphologe Keuschnig. Auch die Entwicklung des vorhandenen Permafrosts wird ständig überwacht.

„Man kann sich das vorstellen, wie wenn man ein Fieberthermometer in den Berg steckt, um die Temperatur zu messen. Bei uns am Kitzsteinhorn liegen die Permafrosttemperaturen bei minus zwei Grad. Wenn sich diese Temperatur erhöht, sehen wir, dass das Gestein sogar noch im Minusbereich bereits an Stabilität verliert“, so Keuschnig. Laborergebnisse zeigten, dass von minus vier auf minus ein Grad die Festigkeit um bis zu 30 Prozent abnimmt.

„Wenn der Fels durch die Festigkeitsabnahme zu brechen beginnt, erzeugt das Geräusche bzw. seismische Signale. Nehmen diese in unseren Messungen zu, ist das ein klares Indiz, dass etwas in Bewegung ist – das können wir bis in den Sub-Millimeter-Bereich vor Ort und auch mit Satelliten messen. Und das gehört natürlich beobachtet“, sagt Keuschnig.

Freiluftlabor Kitzsteinhorn
georesearch.ac.at
Abbildung des Freiluftlabors mit seinen angewandten Methoden im Gipfelbereich des Kitzsteinhorns

„Risikokalkulation wäre sicher notwendig“

Als große Herausforderung für die heimische Forschung sieht Supper die Risikoeinschätzung möglicher Berg- und Felsstürze wie auf dem Tiroler Fluchthorn und auch Gletscherstürze wie im vergangenen Sommer auf der italienischen Marmolata. Vorhandene Gefährdungskarten betreffen meist nur Siedlungsräume und beziehen nur die Folgen von Ereignissen ein.

Die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt ein Ereignis auftritt, wann sich also wo genau Gesteinsmassen lösen könnten, sei derzeit extrem schwierig vorauszusagen und wird in aktuelle Gefährdungskarten meist nicht einbezogen. Es fehle an den notwendigen Forschungsergebnissen, sagt Supper. „Das wird in Zukunft aber immer wichtiger werden. So sollten vermehrt Forschungsvorhaben auf diese Problematik fokussiert werden“, so der Geophysiker.

Da die Forscher davon ausgehen, dass die Zahl von Felsstürzen in den kommenden Jahrzehnten steigen wird, könnten künftig auch bewohnte Gebiete davon betroffen sein. Gefahrenzonenpläne ähnlich wie die der Lawinen- und Wildbachverbauung wären eine Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit und das Gefahrenpotenzial einzustufen, ergänzt Supper.

Alpenverein rät zu guter Vorbereitung

Auch beim Alpenverein geht man davon aus, dass das Gesamtrisiko bei Touren im Hochgebirge weiter steigen wird. „Es wird gefährlicher, weil alles instabiler wird. Eine gute Tourenwahl und Vorbereitung wird immer wichtiger werden“, so der Appell von Bergführer Wanner.

Er rät, sich vorab mittels verschiedener Quellen über die geplante Bergtour zu informieren, etwa über Tourenportale, soziale Netzwerke mit aktuellen Fotos und über Webcam-Portale: „Dort sieht man viele Bergketten und die aktuell vorherrschenden Bedingungen meist in guter Auflösung. In Kombination mit einem klassischen Hochtourenführer kann man sich gut einlesen und bekommt normalerweise ein gutes Bild, wie die Situation wirklich ist.“

Entscheidend sei auch, die richtige Uhrzeit für den Start seiner Bergtouren zu wählen. „Sehr häufig ist die Situation in der Früh besser, weil durch das Gefrieren des Bodens über Nacht das Gestein tendenziell stabiler ist. Wenn man am Nachmittag unterwegs ist, wird das Steinschlagrisiko meist höher. Also, man sollte immer früh genug unterwegs sein“, sagt Wanner.