der deutsche Kanzler Olaf Scholz
APA/AFP/Michele Tantussi
Von Krieg bis Klimakrise

Deutschland rüstet sich gegen Gefahren

Deutschland will sich künftig gegen Gefahren von Krieg über Klimakrise bis zu stockenden Lieferketten rüsten. Möglich machen soll das die am Mittwoch von der „Ampelkoalition“ unter Kanzler Oalf Scholz (SPD) vorgestellte erstmalige nationale Sicherheitsstrategie. Sie bezieht nicht nur Länder und Kommunen ein – auch die Bevölkerung soll eingebunden werden.

Mit einer „Politik der Integrierten Sicherheit“ will die deutsche Regierung aus SPD, Grünen und FDP auf die Herausforderungen einer instabiler werdenden Weltordnung reagieren. Dafür sei die neue Sicherheitsstrategie der Kompass, heißt es in einem Vorwort von Scholz (SPD) zu dem am Mittwoch vom Kabinett beschlossenen Konzept. „Ihr Ziel ist klar: die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu wahren und unseren Beitrag zur Sicherheit Europas zu leisten.“

Die Sicherheitsstrategie reicht von der Landes- und Bündnisverteidigung über den Schutz technischer Infrastruktur und die Cyber- und Weltraumsicherheit bis zu Rohstoff-, Energie-, Medikamenten- und Ernährungssicherheit und den Lieferketten.

Die Sicherheitsstrategie nennt auch die Zivilverteidigung und den Bevölkerungsschutz, die Entwicklungspolitik, den Schutz vor fremder Einflussnahme und Spionage sowie den Umgang mit der Klimakrise und mit Pandemien. Einbezogen werden sollen Bund, Länder und Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger.

der deutsche Kanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock, Finanzminister Christian Lindner, Innenministerin Nancy Faeser und Verteidigungsminister Boris Pistorius
Reuters/Annegret Hilse
Die deutsche „Ampelkoalition“ bei der Präsentation der nationalen Sicherheitsstrategie

Scholz: „Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit“

Scholz verwies bei der Vorstellung auch auf die starke Veränderung der Bedrohungslage durch den russischen Überfall auf die Ukraine. „Alle Mittel und Instrumente müssen ineinandergreifen, um unser Land vor Bedrohung von außen zu sichern“, sagte Scholz. „Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit, keine Stabilität und auch keinen Wohlstand“, sagte Scholz über die Bedeutung der Herausforderung.

Deutschland bekommt Sicherheitsstrategie

Mit einer „Politik der Integrierten Sicherheit“ will die deutsche Regierung auf die Herausforderungen einer instabileren Weltordnung und wachsende Bedrohungen reagieren. Deutschlands sicherheitspolitisches Umfeld habe sich allein in den zurückliegenden knapp eineinhalb Jahren stark verändert, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin bei der Vorstellung der ersten nationalen Sicherheitsstrategie.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe gezeigt, „dass Frieden und Freiheit nicht vom Himmel fallen“. Die Herausforderungen für die Sicherheit Deutschlands zögen sich durch alle Lebensbereiche. Das gelte etwa für Medikamente genauso wie für den Cyberraum und die Sauberkeit von Wasser, so Baerbock.

Der deutsche Finanzminister und FPD-Vorsitzende Christian Lindner betonte ebenfalls, die Sicherheit Deutschlands brauche eine „360-Grad-Perspektive“. Alle Ressorts der Regierung müssten dazu ihren Beitrag leisten. Er spreche als leitender Minister der FDP auch für die anderen liberal geführten Ministerien, also Justiz, Verkehr und Digitales sowie Bildung und Forschung, sagte der FDP-Chef.

Baerbock: Europäisch und transatlantisch verankern

Laut Scholz bleibt für die sicherheitspolitische Identität Deutschlands dabei „die Verankerung in der Europäischen Union und im transatlantischen Bündnis“ NATO zentral. Konkret nannte Scholz auch „unsere tiefe Freundschaft mit Frankreich und unsere enge Partnerschaft mit den USA“. Entscheidend seien aber auch „die Stärke unserer demokratischen Institutionen“ sowie die Stärke der Wirtschaft in Deutschland „und drittens der Zusammenhalt unserer Gesellschaft“.

Baerbock stieß auch hier ins selbe Horn: „Die Sicherheitsstrategie wird nur funktionieren, wenn wir sie europäisch und transatlantisch verankern.“ Nötig sei eine viel engere Zusammenarbeit mit Partnern auf anderen Kontinenten.

Hoffen auf europäisches Luftverteidigungssystem

Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) äußerten zuversichtlich, dass das von der Regierung angestoßene angestrebte europäische Luftverteidigungssystem umgesetzt wird. Er rechne mit den nötigen Zustimmungen, sagte Scholz auf eine Frage nach der Lieferung des israelischen Arrow-3-Systems.

Pistorius verwies darauf, dass 18 Regierungen ihr Interesse an einer Zusammenarbeit beim Aufbau des „European Sky Shield“ geäußert haben. Laut Lindner ist es die politische Absicht der Regierung, im nächsten Jahr zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für das NATO-Ziel zur Verteidigung auszugeben. Scholz betonte, dass dieses Ziel auch in den 2030er Jahren gelten werde.

Scholz und Baerbock betonten, dass bei dem geplanten Rüstungsexportgesetz geopolitische Fragen mitgedacht werden müssen. Die Kriterien blieben streng, so Scholz mit Blick auf die Lieferungen von Waffen an außereuropäische Länder. „Aber die strategischen Fragen werden mit berücksichtigt“, fügte er hinzu. Baerbock verwies darauf, dass auch ihre Partei bei dem Thema umdenken müsse, was die Waffenlieferungen an die Ukraine zeigten.

Kooperation mit Förderländern von Rohstoffen angedacht

Scholz sagte, dass die Sicherheitsstrategie dafür sorgen müsse, dass Deutschland sicher und dauerhaft mit Rohstoffen versorgt werde. Dabei müsse es eine enge europäische Zusammenarbeit mit den Förderländern geben. Er lobte in diesem Zusammenhang ein Abkommen der EU mit Chile zum Abbau von Lithium, das festlegt, dass die erste Verarbeitungsstufe des Rohstoffs in Chile vollzogen werde. Im Übrigen könne es hierbei nicht nur um eine Zusammenarbeit mit Demokratien geben, so der deutsche Kanzler.

Deutschland hält laut Scholz eine Balance in der China-Strategie. Man sei einig und betone, dass man keine Abkoppelung, sondern eine Risikominimierung wolle. Baerbock betonte, dass es im Umgang mit Peking kein Schwarz-Weiß-Denken gebe. Man habe mit China fundamentale Differenzen etwa bei Fragen der Demokratie, aber brauche die Zusammenarbeit etwa im Kampf gegen den Klimawandel. Man suche auch die ständige Abstimmung mit den Partnern.

USA und Japan als Vorbilder

Das deutsche Verteidigungsministerium erarbeitete immer wieder Weißbücher zur Sicherheitspolitik – zuletzt 2016. Darin ging es allerdings um die äußere Sicherheit, vor allem um die Landes- und Bündnisverteidigung. In ihren Koalitionsverhandlungen verständigten sich SPD, Grüne und FDP darauf, erstmals eine umfassende Sicherheitsstrategie zu erarbeiten, wie es sie zum Beispiel in den USA und Japan schon gibt.

Neben den Kooperationen wird es eine strukturelle Reform der Entscheidungsprozesse hingegen nicht geben. Auf die Bildung eines lange diskutierten Nationalen Sicherheitsrats zur Koordination des Regierungshandelns verzichtete die „Ampelkoalition“. Mit dem Thema Sicherheit seien die meisten Bundesministerien befasst – die einen mehr, die anderen weniger.

FDP-Expertin vermisst Nationalen Sicherheitsrat

Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann will indes weiter für einen Nationalen Sicherheitsrat als zentrale Schaltstelle bei großen Krisen kämpfen. Die Einigung auf eine neue Sicherheitsstrategie der deutschen Regierung sei eine gute Nachricht, denn sie „impliziert eigene sicherheitsrelevante Interessen und davon abgeleitet eine entsprechende Politik“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des deutschen Bundestags am Mittwoch der dpa.

Strack-Zimmermann kritisierte: „Enttäuschend ist, dass das Kanzleramt und das Außenministerium keinen Nationalen Sicherheitsrat einsetzen wollen. Wir Freie Demokraten werden nun mit Nachdruck daran arbeiten, dass solch ein dringend notwendiger Sicherheitsrat Eingang in die nationale Sicherheitsstrategie findet.“

Ischinger skeptisch

Der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, äußerte indes Zweifel an der Umsetzung der Sicherheitsstrategie. „Der entscheidende und der schwierigste Punkt ist regelmäßig nicht die Erarbeitung eines Dokuments, sondern seine Umsetzung“, sagte Ischinger am Mittwoch im Deutschlandfunk. In einer Dreierkoalition wie jetzt im Bund werde eine gemeinsame Umsetzung „vermutlich auf der Strecke bleiben“.