Person und Kind
ORF.at/Carina Kainz
Demo und Streik

Freizeitpädagogen gehen auf die Barrikaden

Ein Netzwerk aus unterschiedlichen Organisationen – von Lehrergewerkschaften verschiedenster Couleur über Elternvertreter und Behindertenverbände bis zur Kindergartenplattform Educare und der ÖH – hat für Donnerstag zum „Aktionstag Bildung“ aufgerufen. Österreichweit wollten die Freizeitpädagogen und -pädagoginnen für „inklusive Bildung und für bessere Aufwachs-, Lern- und Arbeitsbedingungen im Bildungsbereich“ demonstrieren. Auch Streiks waren angesagt.

„Es gibt zu viele Versäumnisse, Fehlentwicklungen, Missstände und Baustellen, als dass wir noch schweigen können“, begründen die über 50 Organisationen und zivilgesellschaftlichen Initiativen auf ihrer Homepage zum Aktionstag ihren Aufruf. Die Arbeits- und Lernbedingungen würden in allen Bildungsbereichen schlechter, es gebe Ungerechtigkeiten beim Zugang zu guter Bildung, einen Ausschluss verschiedener Gruppen, überbordende Bürokratisierung und deutlich sichtbares Missmanagement im Personalbereich.

Bei ihren Aktionen am Donnerstag im öffentlichen Raum würden neben klassischen Demos – etwa im Wiener Votivpark, auf dem Innsbrucker Landhausplatz und dem Mozartplatz in Salzburg – auch auf alternative Formate wie Bildungspicknicks gesetzt. Ziel sei es, Missstände in der aktuellen Bildungspolitik aufzuzeigen und „gemeinsam für ein gerechteres, inklusives Bildungssystem mit besseren Arbeitsbedingungen (zu) kämpfen“. Weitere Aktionen sind bereits angekündigt.

Mehr Personal gefordert

Die konkreten Forderungen am Aktionstag sind ebenso vielfältig wie die Initiativen. Aber: „Parteipolitische Scharmützel schaden einer langfristig orientierten Bildungspolitik und sind folglich konsequent rauszuhalten“, wurde von den Organisatoren betont.

Verlangt werden etwa eine attraktivere Gestaltung des Lehrerberufs und mehr Unterstützungspersonal an den Schulen (Lehrervertreter), ein Demonstrationsrecht ab 14 (SPÖ-nahe Aktion Kritischer Schüler_innen/AKS), mehr Sonderpädagoginnen und ein Rechtsanspruch auf den Besuch eines elften und zwölften Schuljahres für Kinder mit Behinderung (Lebenshilfe), Verbesserungen beim Lehramtsstudium (Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft, ÖH) und eine Strategie zur Bekämpfung des Personalmangels an Kindergärten (EduCare). Auch in Salzburg und Wien fordert man mehr Personal – mehr dazu in salzburg.ORF.at und wien.ORF.at.

Geplante Reform stößt sauer auf

Die Freizeitpädagoginnen und -pädagogen, die sich aktuell gegen eine geplante Reform ihres Berufsbildes wehren, hatten für Donnerstag darüber hinaus zum ganztägigen Streik aufgerufen. Bereits Ende Mai hatten sie in mehreren Bundesländern gegen ihre Umwandlung zu „Assistenzpädagogen“ protestiert, in Wien waren rund 2.000 Personen dem Aufruf des Betriebsrats von Bildung im Mittelpunkt (BiM) gefolgt.

Wegen des Streiks fällt etwa in Wien für rund 35.000 Kinder an 142 von Bildung im Mittelpunkt (BiM) betreuten öffentlichen Volksschulen der Freizeitteil aus. Auch bei BiM stört man sich vor allem daran, dass die Betroffenen nicht in die Reform eingebunden werden. Außerdem befürchtet BiM große Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und fehlende Rechtssicherheit, wenn die Freizeitpädagogen aus der Privatwirtschaft in den öffentlichen Dienst übernommen werden.

Vor rund zehn Jahren geschaffen

Die Berufsgruppe der Freizeitpädagoginnen und -pädagogen wurde vor rund zehn Jahren geschaffen, um trotz Lehrermangels den Personalbedarf beim Ausbau der schulischen Tagesbetreuung decken zu können. Diese dürfen allerdings nur die Freizeitgestaltung übernehmen. In der individuellen Lernzeit, in der die Schülerinnen und Schüler unter fachlicher Hilfestellung ihre Hausaufgaben erledigen, dürfen nur Lehrpersonal und Erzieher bzw. Erzieherinnen eingesetzt werden.

Was die Regierung ändern will

Das will die Regierung ändern. Es soll eine neue Personalkategorie „Assistenz- und Freizeitpädagog/-in“ entstehen, die neben Betreuung und Freizeitgestaltung auch Lern- und digitale Unterstützung übernehmen dürfen soll. Derzeit dürfen Freizeitpädagogen streng genommen Kinder etwa nicht bei Lehrausgängen begleiten – weil das Unterricht ist.

Außerdem haben Direktorinnen und Direktoren gegenüber Freizeitpädagogen kein Weisungsrecht, weil diese einen anderen Dienstgeber haben. Lehrer und Lehrerinnen sind beim Bund oder beim Land beschäftigt, Freizeitpädagogen bei den Gemeinden bzw. bei von diesen dominierten Vereinen.

Die Reform sieht laut einem Entwurf vor, dass Mitglieder der neuen Personalkategorie (anders als Freizeitpädagogen) künftig Matura haben müssen, dafür wird die Ausbildung von zwei auf ein Semester verkürzt. Zwar werden bereits im Beruf befindliche Personen ohne Zusatzerfordernisse übernommen – allerdings befürchten die Betroffenen Gehaltseinbußen.

Sozialwirtschaft: „Unfriendly takeover“

„Die Beschäftigten werden den Verschlechterungen ihrer Ausbildung und ihrer Arbeitsbedingungen nicht tatenlos zusehen“, so GPA-Vorsitzende Barbara Teiber in einer Aussendung. „Dieser unausgereifte Husch-Pfusch-Entwurf gehört in die Tonne, die Verhandlungen zurück an den Start.“ Unterstützt wird der Streik auch von SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler.

Derzeit sind die österreichweit rund 5.000 Freizeitpädagogen bei diversen Vereinen bzw. gemeindenahen Trägern beschäftigt. Die meisten davon gibt es mit 2.300 in Wien bei Bildung im Mittelpunkt, einer zu 100 Prozent im Eigentum der Stadt stehenden GmbH. „Letztlich geht es um eine Verstaatlichung dieses Bereichs, ein ‚unfriendly takeover‘“, so Walter Marschitz, Geschäftsführer der Sozialwirtschaft Österreich.

Mit den Plänen des Bildungsministeriums würden mehrere Ziele vermengt: die Schaffung pädagogischen Unterstützungspersonals, der Ausbau der Nachmittagsbetreuung und eine Kompetenzbereinigung im Bildungsbereich. „Diese Intentionen werden von uns im Grundsatz geteilt“, so Marschitz weiter, „wir glauben aber nicht, dass das derzeit bewährte System der schulischen Nachmittagsbetreuung zerstört werden muss.“

Sorge um derzeitiges Personal

Freizeitpädagoginnen und Freizeitpädagogen würden derzeit etwa zahlreiche Zusatzaufgaben erfüllen und direkt am Standort mit den Schulleitungen kooperieren, so Hilfswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm. So würde etwa Frühbetreuung und Ferienbetreuung übernommen und die Essensbestellung organisiert. Mit den Plänen würde die Organisation der Tagesbetreuung in die Bildungsdirektionen wandern und die lokale Vielfalt zerstört.

BiM-Geschäftsführer Mario Rieder befürchtete durch die Umstrukturierung ein Sinken der Qualität. Für die Aufgaben in der Freizeitpädagogik brauche man nicht unbedingt Matura, sondern etwa Lebenserfahrung. Die geplante Erfordernis einer Reifeprüfung ab Oktober 2024 schrecke jetzt schon Bewerberinnen und Bewerber ab.

Darüber hinaus wisse man nicht, was konkret mit dem derzeitigen Personal passiert. Wenn dieses den Arbeitgeber wechsle, müsse es zuerst gekündigt und dann neu angestellt werden. „Es gibt keine Rechtssicherheit, ob sie übernommen werden und in welcher Form sie übernommen werden.“

Ministerium: Pläne in frühem Stadium

Im Bildungsministerium zeigte man sich auf APA-Anfrage gesprächsbereit. Man verstehe die Sorgen der Freizeitpädagoginnen und -pädagogen und sei auch zu Gesprächen mit der Gewerkschaft bereit. Entsprechende Angebote gebe es seit Ende Mai. Gleichzeitig betonte man das noch frühe Stadium der Pläne. Man habe gerade erst Gespräche mit den Ländern gestartet, um zu klären, ob diese die Verantwortung für das Personal übernehmen wollen.

„Das ist die Voraussetzung für weitere konkrete Schritte.“ Schon jetzt sei aber klar: „All jene, die bereits als Freizeitpädagog/-in angestellt sind, sollen auch in Zukunft einen attraktiven Job mit einem attraktiven Gehalt haben.“ Die neuen Assistenz- und Freizeitpädagogen könnten zeitlich flexibel in individuellen pädagogischen Angeboten der Schule engagiert sein, beim Üben und Wiederholen unterstützen, Lehrkräfte etwas bei Schulveranstaltungen entlasten oder wie bisher selbstverantwortlich die Nachmittagsbetreuung übernehmen, hieß es vom Ministerium.

Grüne verteidigen Reform

Die Bildungssprecherin der Grünen, Sibylle Hamann, sagte gegenüber der APA, dass die Verhandlungen zum neuen Berufsbild der Assistenzpädagogen erst am Anfang stünden. „Das Ganze wird nur passieren, wenn alle an Bord sind.“ Die Inhalte der Reform verteidigte sie. Der Bund biete den Ländern an, das Personal aus den diversen Vereinen und GmbHs in den öffentlichen Dienst zu überführen und damit für eine dauerhafte Bestandsfinanzierung zu sorgen.

Wenn die Finanzierung dieses Personals nicht mehr an den Gemeinden hänge, sei das auch ein Anreiz für einen Ausbau der Ganztagsschulen. Diese Umstellung sei auch eine langjährige Forderung von Rechnungshof, Arbeiterkammer, Gemeinde- und Städtebund und Bildungsexperten, so Hamann weiter.

Die Sorgen der Träger um Rechtssicherheit bei der Übernahme in den öffentlichen Dienst sind für Hamann verfrüht, „wir sind noch fünf Etappen davor“. Auch die Gefahr eines Qualitätsverlusts sieht sie nicht. Die geplante Reform bringe erstmals einheitliche Ausbildung und Zugangsvoraussetzungen, derzeit gebe es in manchen Ländern keinerlei Ausbildung. Die Matura als Zugangsvoraussetzung wiederum sei nicht fix, man werde auch Personal mit anderen Ausbildungen etwa im Kreativ- und Sportbereich brauchen. Die wahrscheinlichste Variante sei, dass die Ausbildung für Personen ohne Matura länger dauert.

Unterstützung für die Streiks und Demos kam von der SPÖ. „Dass die Regierung hier eine unausgegorene Reform des Berufes gegen den Willen der Beschäftigten durchpeitschen will, ist nicht zu akzeptieren“, so Bildungssprecherin Petra Tanzler in einer Aussendung. „Türkis-Grün muss endlich die Gewerkschaft an den Verhandlungstisch holen.“