Luftansicht der Harvard Medical School in Boston
Reuters/Brian Snyder
Universität Harvard

US-weiter Leichenhandel aufgeflogen

An der medizinischen Fakultät der renommierten Universität Harvard in Boston im US-Bundesstaat Massachusetts wird ein ehemaliger Leiter des Leichenschauhauses beschuldigt, mehrere Jahre lang Leichenteile gestohlen zu haben. Gemeinsam mit seiner Frau und weiteren Personen soll er diese als Teil eines landesweiten Netzwerks gewinnbringend weiterverkauft haben. Experten zufolge soll der Handel mit menschlichen Überresten vor allem durch die sozialen Netzwerke stärker gestiegen sein.

Der 55-jährige Cedric Lodge aus dem US-Bundesstaat New Hampshire soll in den Jahren 2018 bis 2022 angeblich sezierte Teile von Leichen gestohlen haben, die der Fakultät für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellt wurden. Normalerweise werden diese eingeäschert und den Familien zurückgegeben, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.

Lodge soll jedoch manche der Teile – darunter Köpfe, Gehirne, Haut und Knochen – nach Hause mitgenommen haben, wo er sie mit seiner Frau weiterverkauft haben soll. Laut Behörden wurden einige Leichenteile sogar auf dem Postweg an potenzielle Käuferinnen und Käufer versandt.

Teilweise bat Lodge diese sogar, persönlich in die Leichenhalle der medizinischen Fakultät der Universität Harvard zu kommen, damit sie sich die Leichenteile, die sie kaufen wollten, aussuchen konnten.

Harvard Medical School in Boston
Reuters/Brian Snyder
Potenzielle Käufer kamen sogar in die Leichenhalle der Fakultät, um sich die „Waren“ aussuchen zu können

Harvard: „Abscheulicher Betrug“

Laut Presseteam der Fakultät war Lodge nicht für andere Mitarbeiter zuständig, die Behörden gehen davon aus, dass er alleine gehandelt hatte. In einer veröffentlichten Nachricht auf der Website der medizinischen Fakultät Harvard war unter anderem von einem „abscheulichen Betrug“ zu lesen. Die Dekane Goerge Daley und Edward Hundert bezeichneten die Geschehnisse als „moralisch verwerflich“.

„Wir sind entsetzt, dass so etwas Beunruhigendes auf unserem Campus passieren konnte“, so die beiden Dekane. Die Vorfälle wären ein Verrat an der Fakultät und an all den Menschen, die sich selbstlos dafür entschieden haben, ihren Körper der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Lodge, der 1995 angestellt worden war, wurde am 6. Mai entlassen.

Landesweites Netzwerk

In der Anklageschrift wurden unter anderen das Ehepaar Lodge und drei weitere Personen – Katrina MacLean, Joshua Taylor und Mathew Lampi – der Verschwörung und des Transports gestohlener Güter über Bundesstaatsgrenzen beschuldigt. Nach Angaben der Ermittlungsbehörden waren sie Teil eines landesweiten Netzwerks von Personen, die gestohlene Überreste von Verstorbenen kauften und weiterverkauften.

Taylor soll die gestohlenen Überreste manchmal in seine Heimat im US-Bundesstaat Pennsylvania transportiert haben, andere Male soll das Ehepaar Lodge ihm und anderen die Körperteile per Post zugesandt haben. MacLean und Taylor sollen die gestohlenen Überreste dann gewinnbringend weiterverkauft haben.

Von September 2018 bis Juli 2021 überwies Taylor mehr als 37.000 US-Dollar an Denise Lodge für Leichenteile, die von Cedric Lodge gestohlen worden waren, so die Staatsanwaltschaft. Ein Auszug einer Zahlung war mit „Kopf Nummer 7“ vermerkt, auf einem anderen stand „braiiiiiins“ (dt. Gehirne), wie die „New York Times“ schrieb.

„Haut gerben, um Leder herzustellen“

Außerdem soll MacLean menschliche Haut an Taylor geliefert haben, damit dieser „die Haut gerbt, um Leder herzustellen“, hieß es in der Anklageschrift. Zudem soll auch MacLean im Oktober 2020 von Cedric Lodge zwei „sezierte Gesichter“ für 600 Dollar gekauft haben.

Laut Behörden sei sie außerdem im Besitz der Firma „Kat’s Creepy Creations“, auf deren Instagram-Account es unter anderem heißt, man verkaufe „Kreationen, die den Verstand schockieren und die Seele erschüttern“, darunter „gruselige Puppen, Kuriositäten und Knochenkunst“. Ein Posting vom Dezember 2019 beschrieb eine Ausstellung, die „echte menschliche Wirbel“ enthielt.

Das Ehepaar Lodge und MacLean erschienen jeweils am Mittwoch vor einem Bundesgericht und wurden auf Kaution wieder freigelassen. Ein Anwalt Taylors wollte die Vorwürfe nicht kommentieren.

Auch Babyleichen gestohlen

Noch zwei weitere Personen wurden in dem Fall angeklagt, Jeremy Pauley aus dem US-Bundesstaat Pennsylvania und Candace Chapmann Scott aus Arkansas. Scott soll Pauley, einem Künstler, Körperteile aus einem Leichenhaus, in dem sie arbeitete, verkauft haben. Zu den sterblichen Überresten, die Scott von ihrem Arbeitgeber entwendet haben soll, gehörten auch die Leichen von zwei tot geborenen Babys.

Pauley soll viele der gestohlenen Überreste an andere Personen, darunter auch Lampi, verkauft haben. Beide kauften und verkauften über einen längeren Zeitraum voneinander, insgesamt im Wert von mehr als 100.000 US-Dollar, so die Behörden.

Im Juni letzten Jahres erhielten die Behörden einen Hinweis, dass Pauley in den sozialen Netzwerken für den Verkauf von Körperteilen warb. Das setzte eine Untersuchung in Gang, die schließlich zu sieben Verdächtigen in fünf Staaten führte. Pauley, der bereits letztes Jahr angeklagt worden war, bekannte sich am Dienstag schuldig – Scott bekannte sich nicht schuldig. Ein Anwalt von Lampi wollte die Vorwürfe nicht kommentieren.

Handel seit Jahrhunderten

Der Handel mit menschlichen Überresten ist als „roter Markt“ bekannt und erstreckt sich über Kontinente und Jahrhunderte, zitierte die „Washington Post“ Damien Huffer, Experte für den Handel mit menschlichen Überresten, der an der Carleton University in Kanada und der University of Queensland in Australien forscht. Mit dem Aufkommen des Internets und der sozialen Netzwerke stünde der Handel nicht mehr nur Privilegierten und Reichen offen, sondern jedem, der das Geld oder Interesse hat.

Die Gesetze, die den Handel mit menschlichen Überresten regeln, variieren zudem von Land zu Land und von Staat zu Staat, sagte Huffer. „Nur wenn Fälle wie dieser die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen und der Lieferant und der Mittelsmann identifiziert werden, können gründliche Untersuchungen durchgeführt werden“, so der Experte. Und es seien Fälle wie dieser, die die Chance hätten, einige dieser Gesetze zu verschärfen und einige dieser unregulierten Märkte ein wenig mehr zu regulieren.