Felssturz in Brienz
APA/AFP/Arnd Wiegmann
Meterhohe Schuttberge

Felssturz verfehlt Schweizer Dorf nur knapp

Seit Wochen schaut die Schweiz gebannt auf die Ortschaft Brienz im Kanton Graubünden – in der Nacht auf Freitag ist es dort zum erwarteten großen Bergsturz gekommen. Die Felsmassen verfehlten das Dorf nur knapp. In unmittelbarer Nähe zu den Häusern türmen sich Medienberichten zufolge bis zu zwölf Meter hohe Schuttberge. Schäden im Dorf sind noch nicht bekannt. Für eine Entwarnung ist es aber noch zu früh.

„Brienz hatte großes Glück“, sagte Christian Gartmann, Sprecher der Gemeinde Albula, zu der Brienz gehört, gegenüber dem Schweizer Fernsehen (SRF). „Wir gehen im Moment nicht davon aus, dass es Schäden gab.“ Die Felsmassen seien nur wenige Meter vor dem alten Schulgebäude zum Stehen gekommen. Eine Straße oberhalb des Graubündner Bergdorfes liege Gartmanns Angaben zufolge meterhoch unter Schutt.

Der Felssturz passierte in der Nacht auf Freitag zwischen 23.00 Uhr und Mitternacht. Im ganzen Talkessel sei es sehr laut gewesen. Der Krisenstab der Gemeinde tagte zweimal in der Nacht und wertete in der Früh erste Fotos aus. Ob die Wohnhäuser und die Kirche wirklich völlig verschont blieben, sollte im Laufe des Tages bei einem Helikopterflug geprüft werden.

Felsmassen verfehlen Brienz nur knapp

In der Nacht ist ein erheblicher Teil der absturzgefährdeten Felsmassen heruntergekommen und hat das Schweizer Bergdorf Brienz nur knapp verfehlt.

„Wie Kanonenkugel“

„Bei solchen Ereignissen krachen manchmal Felsblöcke auf andere Blöcke. Dann gibt es Splittersteine von der Größe einer Faust bis zu einem Fußball“, sagte Gartmann. Sie könnten „wie eine Kanonenkugel“ Hunderte Meter durch die Luft schießen und Fensterscheiben und andere Gebäudeteile beschädigen.

Brienz rund 25 Kilometer Luftlinie südwestlich von Davos ist seit Wochen gesperrt. Niemand hält sich dort auf. Nur installierte Kameras haben rund um die Uhr aufgezeichnet, was passiert. Am Mittwoch waren bereits riesige Felsbrocken zu Tal gestürzt. Alles blieb nach erstem Augenschein auf Wiesen vor dem Dorf liegen.

Felssturz in Brienz
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Die Felsmassen donnerten in der Nacht auf Freitag Richtung Brienz

Auswirkungen auf Tour de Suisse

Vorher-nachher-Bilder zeigen die großen Veränderungen im Landschaftsbild. Am Vortag waren in dem Gebiet noch nackte Felsen, einzelne Brocken, helles und dunkles Gestein sowie darunter Wiesen, Bäume und eine Holzhütte zu erkennen. Am Freitag lag alles unter einem gigantischen grauen Schuttberg. Das Dorf sieht auf den Bildern im Vergleich dazu wie eine Miniaturanlage aus.

Unterhalb des Dorfes waren vorsichtshalber Straßen und Bahnstrecken zeitweise gesperrt worden. Der Zugsverkehr in den Ferienort St. Moritz wurde umgeleitet, weil die Strecke zwischen Tiefencastel und Filisur gesperrt ist, wie ein Sprecher der Rhätische Bahn sagte. Der Start der sechsten Etappe der Tour de Suisse musste am Freitag von La Pont nach Chur verlegt werden.

Berg seit Langem in Bewegung

Anders als beim jüngsten Bergsturz in Tirol ist in Brienz nicht der Klimawandel der Auslöser. Er führt andernorts dazu, dass der Permafrost schmilzt, also das Eis, das Fels in großen Höhen wie Klebstoff zusammenhält. In Tirol waren am Sonntag rund 100.000 Kubikmeter abgestürzt. Hunderte Meter des Südgipfels des Fluchthorn-Massivs samt Gipfelkreuz brachen ab. Das Felsmaterial landete fernab von bewohntem Gebiet und gefährdete niemanden.

Der Berg oberhalb von Brienz ist nach Angaben von Experten aber seit Jahrtausenden in Bewegung. Die Rutschung hatte sich über Jahre beschleunigt. Diese Woche rutschten die Felsmassen schon mit einer Geschwindigkeit von 40 Metern pro Tag. Die Lage spitzte sich seit dem Frühjahr zu. Im Mai beschloss die Gemeinde, die rund 80 Einwohnerinnen und Einwohner in Sicherheit zu bringen. Sie wurden bei Verwandten oder in Ferienwohnungen in der Region untergebracht.

„Gehen davon aus, dass dies noch nicht ganz alles war“

In Brienz rechneten Geologen mit dem Abrutschen von zwei Millionen Kubikmeter Gestein, 20-mal so viel wie in Tirol. Wie viel davon in der Nacht herunterkam, war am Freitag noch nicht abzuschätzen. Es war auch noch unklar, ob weiterhin Gestein Richtung Dorf rutscht. „Wir gehen derzeit davon aus, dass dies leider noch nicht ganz alles war“, sagte Gemeindesprecher Gartmann. Entsprechend war nicht abzusehen, wann die Menschen ins Dorf zurückkehren können.