Menschen in Tokio
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Relikte aus 1907

Späte Reform für Japans Sexualstrafrecht

Japan hat am Freitag eine tiefgreifende Reform seines Sexualstrafrechts verabschiedet. So wurde etwa das Schutzalter zum ersten Mal seit der Einführung im Jahr 1907 von 13 auf 16 Jahre angehoben. Auch die Definition von Vergewaltigung wurde ausgeweitet – und damit spät an Regeln anderer Länder angepasst. Die neue Gesetzgebung dürfte Opfern sexueller Gewalt in Japan aber nur zum Teil helfen, kritisieren Hilfsorganisationen.

Das Schutzalter in Japan galt lange Zeit als eines der niedrigsten im internationalen Vergleich: In Österreich, Deutschland und China liegt es momentan bei 14 Jahren, in Frankreich bei 15 und in Großbritannien bei 16 Jahren. Dass man in Japan unverändert seit Anfang des 20. Jahrhunderts schon mit 13 als mündig galt, sorgte schon seit Langem für heftige Debatten – nun beschloss am Freitag das japanische Oberhaus die Gesetzesänderung.

Weiterhin ungestraft bleiben allerdings sexuelle Handlungen zwischen zwei Teenagern, wenn beide mindestens 13 Jahre alt sind und der Altersunterschied nicht größer ist als fünf Jahre. Die japanische Menschenrechtsgruppe Human Rights Now begrüßte die Reform als einen „großen Schritt nach vorne“. Die Erhöhung des Schutzalters sende die Botschaft an die Gesellschaft, dass sexuelle Gewalt Erwachsener gegen Kinder „inakzeptabel“ sei.

Viele Taten bisher gar nicht gemeldet

Und auch die Reform bei anderen Strafbeständen bringt das Gesetz zumindest näher an die Situation in anderen Ländern. Bisher benachteiligte die rechtliche Lage Opfer sexueller Gewalt ganz besonders: Vergewaltigung galt als „gewaltsamer Geschlechtsverkehr“, was bedeutete, dass bewiesen werden musste, dass sich das Opfer entweder zur Wehr gesetzt hat oder sich aufgrund von Gewaltanwendung nicht wehren konnte.

Parlament in Tokio
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Das japanische Parlament stimmte für die Reform

Das führte in der Praxis dazu, dass viele Verbrechen erst gar nicht gemeldet wurden – und Opfern damit im Prinzip vorgeworfen wurde, sich nicht ausreichend gewehrt zu haben. Mehrere Prozesse seit 2019, die ohne Verurteilung endeten, sorgten für einen Aufschrei und die „Flower Demo“-Bewegung, die sich für eine Reform der Gesetze einsetzte.

Neue Definition fasst Begriff weiter

Nun änderte Japan die Formulierung und definiert Vergewaltigung künftig als „nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr“. Konkret werden acht Situationen genannt, in denen es Opfern unmöglich sei, „auszudrücken oder zu formulieren, dass man dem Geschlechtsverkehr nicht zustimmt“, zitiert die BBC aus dem neuen Gesetz.

Dazu gehören Situationen, in denen das Opfer unter Alkohol- oder Drogeneinfluss steht, Gewalt oder Drohungen ausgesetzt ist oder „verängstigt oder überrascht“ ist. Ein anderes Szenario dürfte auf Machtmissbrauch abzielen – es ist die Rede von „Bedenken“ vor den Folgen einer Weigerung.

Menschen in Tokio
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Ob die neue Reform auch dazu führt, dass mehr Verbrechen gemeldet werden, ist unklar

Die NGO Human Rights Now äußerte jedoch auch Skepsis und wies auf ein tiefer verankertes Problem in Japan hin: „Verzerrte Vorstellungen“ von Sex und Zustimmung, die seit Generationen vorherrschen, müssen angesprochen werden, sagte Kazuko Ito der BBC. Opfer sexueller Übergriffe, die an die Öffentlichkeit gehen, erhielten oft Drohungen und Hasskommentare im Internet, so die Anwältin.

Nur sechs Prozent meldeten Übergriffe

Auch nach der Reform müssten Betroffene genügend Rückendeckung erhalten, um Übergriffe auch zu melden, heißt es. In Japan zögern Opfer aufgrund von Stigmatisierung und Scham damit jedoch oft. Eine von der Regierung durchgeführte Umfrage aus dem Jahr 2021 ergab, dass nur etwa sechs Prozent der Frauen und Männer einen Übergriff melden, wobei die Hälfte der befragten Frauen der Meinung war, dass sie das aus „Scham“ nicht tun könnten.

„Eine landesweite Lern- und Aufklärungsarbeit ist unerlässlich, um diese Norm in der Gesellschaft zu verankern. Nur so können wir tatsächliche sexuelle Gewalt verhindern und der Kultur der Straflosigkeit ein Ende setzen“, so Ito gegenüber der BBC. Japan hatte sein Sexualstrafrecht zwar bereits 2017 reformiert, Kritikerinnen und Kritikern gingen die Änderungen damals aber nicht weit genug.

Erstmals werden zudem in ganz Japan Formen des Voyeurismus strafbar: Wer heimlich andere Menschen im Intimbereich, in Unterwäsche oder bei sexuellen Handlungen filmt, muss künftig mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe von bis drei Millionen Yen (umgerechnet knapp 20.000 Euro) rechnen.