Bild der Küstenwache zeigt überfülltes Flüchtlingsboot
Reuters/Hellenic Coast Guard
Bootsunglück vor Griechenland

Neue Details zu Schlepperring

Auch am dritten Tag nach dem verheerenden Bootsunglück vor der Küste Griechenlands wird die Suche nach Überlebenden fortgesetzt – die Hoffnung ist jedoch gering. Griechische Medien berichteten unterdessen, dass mindestens einer der als mutmaßliche Schlepper festgenommenen Überlebenden ein Geständnis abgelegt haben soll. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Schlepperring in den vergangenen zwei Monaten für mindestens 18 Überfahrten von Libyen nach Italien verantwortlich war.

Neun Ägypter, die nach dem Sinken des völlig überfüllten Flüchtlingsboots am Mittwoch aus den internationalen Gewässern gerettet wurden, stehen unter Verdacht, die Überfahrt mitorganisiert zu haben. Sie werden am Montag in Kalamata vor Gericht gestellt – es wird ihnen unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung und Menschenhandel vorgeworfen. Der griechische Sender berichtete, dass einer der Männer ein Geständnis abgelegt haben soll.

Wie die Zeitung „Kathimerini“ unter Berufung auf Beamte der Küstenwache am Samstag berichtete, soll einer der Festgenommenen „die rechte Hand“ des Kapitäns gewesen sein. Ein anderer wurde als Mechaniker bezeichnet. Mindestens einer der Verdächtigen soll die Geflüchteten während der Überfahrt schwer eingeschüchtert haben, die sich gegen eine Fortsetzung der Reise nach Italien ausgesprochen hatten. Die Geflüchteten sollen laut Aussagen von Überlebenden 5.000 bis 6.000 Euro pro Person für die gefährliche Fahrt bezahlt haben. Die Zeitung berichtete weiters, dass die griechischen Behörden die europäische Polizeibehörde Europol um Hilfe ersucht hatte.

Hoffnung auf Überlebende sinkt „von Minute zu Minute“

Die griechische Küstenwache suchte am Samstag nach offiziellen Angaben weiterhin das Meer rund um den Unglücksort ab. Die Hoffnung auf Überlebende sinke jedoch „von Minute zu Minute“, sagte Stella Nanou vom UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) der Nachrichtenagentur AFP.

Das überladene Fischerboot war nach Angaben der griechischen Behörden Mittwochfrüh vor der Halbinsel Peloponnes an einer der tiefsten Stellen des Mittelmeers gekentert, nachdem zuvor der Motor ausgefallen war. 78 Leichen wurden nach Angaben der Küstenwache bis Donnerstagabend geborgen, die Zahl der Todesopfer dürfte jedoch erheblich höher sein.

UNHCR-Sprecherin Nanou sprach unter Berufung auf von den Behörden verbreitete Bilder und Aussagen von „Hunderten Menschen“, die an Bord gewesen sein sollen. Überlebende hatten zuvor berichtet, dass sich allein rund hundert Kinder im Laderaum des Schiffes aufgehalten hätten.

104 Männer gerettet

104 Menschen konnten nach offiziellen Angaben gerettet und in den Hafen von Kalamata gebracht werden: 47 Syrer, 43 Ägypter, zwölf Pakistaner und zwei Palästinenser. Alle Geretteten waren Männer. 27 davon wurden am Freitag weiter im Krankenhaus behandelt.

An Bord des Boots befanden sich nach Angaben von Angehörigen und Aktivisten unter anderen mehr als 120 Syrer. Allein aus der südsyrischen Provinz Deraa stammten laut gegenüber der Nachrichtenagentur AFP getätigten Aussagen 55 vermisste und 35 gerettete Insassen. 35 weitere Menschen auf dem Boot waren nach Angaben des Bruders eines Vermissten syrische Kurden aus der nahe der türkischen Grenze gelegenen Stadt Kobane.

Ein Beamter der griechischen Küstenwache bei einer Absperrung zum Warenhaus, wo Überlebende des Bootsunglück untergekommen sind
AP/Thanassis Stavrakis
In einem Warenhaus wurden Überlebende des Bootunglücks untergebracht

Abgeordneter wegen rassistischer Äußerung ausgeschlossen

Der rechtsgerichtete Abgeordnete Spilios Kriketos wurde am Samstag nach rassistischen Äußerungen im Zusammenhang mit dem Unglück aus der Partei Nea Dimokratia (ND) ausgeschlossen. Kriketos, der bei der Parlamentswahl am 25. Juni erneut kandidiert, hatte in einem YouTube-Video nach dem Unglück den „tragischen“ Verlust beklagt, gleichzeitig jedoch betont, Griechenland könne „nicht noch mehr Migranten tolerieren“. Er versicherte, dass es sich bei den meisten Geflüchteten um Diebe handele.

Seine Äußerung sorgte für Empörung. Die größte linke Oppositionspartei SYRIZA bezeichnete sie als „rassistischen Vortrag“ und forderte die Partei auf, Kriketos auszuschließen. „Äußerungen von Hass und Rassismus gehören nicht zu den Werten der Partei“, hieß es in der Erklärung von Nea Dimokratia nach dem Ausschluss.

Griechische Behörden unter Druck

Der Umgang der griechischen Behörden mit dem Fischerboot geriet unterdessen von mehreren Seiten unter Kritik: Die griechische Küstenwache hatte nach dem Unglück am Mittwoch erklärt, sie sei von den Behörden Italiens auf das mit zahlreichen Menschen besetzte Boot aufmerksam gemacht worden, ein Fluggerät von Frontex habe es zuerst entdeckt. Es habe aber seitens der Bootsbesatzung keine Hilfsanfrage gegeben, nach der Kontaktaufnahme seitens Griechenlands habe diese sogar mehrfach Hilfe abgelehnt und betont, das Boot wolle nach Italien weiterfahren.

Vincent Cochetel, Sondergesandter des UNHCR für den zentralen und westlichen Mittelmeer-Raum, erklärte am Freitag, die Argumente Athens dafür, dass dem in Seenot befindlichen Fischerboot nicht sofort geholfen worden sei, seien „nicht haltbar“. Nach dem Völkerrecht hätte Griechenland den Rettungseinsatz für das „zum Bersten gefüllte“ Boot „früher organisieren müssen“, sobald die Grenzschutzagentur Frontex dessen Notlage gemeldet hatte.

„Dringendes und wirksames Vorgehen“ gefordert

Das UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) forderten in einer gemeinsamen Erklärung ein „dringendes und wirksames Vorgehen“, um weitere Todesfälle auf See zu verhindern. Federico Soda, Chef der IOM-Notfallabteilung, sagte, in der Migrationspolitik sei „offensichtlich“ der „derzeitige Umgang mit dem Mittelmeer nicht praktikabel“. UNHCR-Vizechefin Gillian Triggs verwies die EU auf ihre Verantwortung, „Sicherheit und Solidarität“ in den Mittelpunkt ihres Handelns im Mittelmeer zu stellen.

Der Leiter der Europaabteilung der Nichtregierungsorganisation Pro Asyl, Karl Kopp, sprach mit Blick auf das Bootsunglück sogar von „orchestrierter Sterbebegleitung“. Sowohl griechische Behörden als auch Frontex hätten von dem „völlig überladenen“ Boot gewusst und sofort eingreifen müssen.