Überlebende der Schiffstragödie in Griechenland
Reuters/Eurokinissi
Schiffstragödie

Neue Zweifel an Angaben der Küstenwache

Nach dem Schiffsunglück im Mittelmeer mit mutmaßlich mehreren hundert Toten sind der Ablauf der Katastrophe und auch die Rolle der griechischen Küstenwache noch immer unklar. Nach ersten Vorwürfen, ein Schiff der Küstenwache hätte früher einschreiten müssen, stellen nun BBC-Recherchen die Angaben der Behörden infrage.

Die griechische Zeitung „Kathimerini“ veröffentlichte am Sonntag das Protokoll eines Berichts, den der Kommandant des Patrouillenboots 920 gegeben habe. Demzufolge bot der Kapitän dem völlig überfüllten Fischkutter etwa zwei Stunden vor dem Unglück Hilfe an, diese sei aber abgelehnt worden.

In dem Bericht heißt es weiter, das Flüchtlingsschiff sei nach dem Kontakt weitergefahren, und das Patrouillenboot habe es aus einiger Entfernung verfolgt. Die BBC verweist aber auf Schiffsbewegungsdaten, die darauf hinweisen, dass sich das Boot in sieben Stunden praktisch nicht von der Stelle bewegt hat, ehe es unterging.

Kontakte immer an derselben Stelle

Auf MarineTraffic, einer Analyseplattform für den Seeverkehr, kann die Bewegung von Schiffen nachverfolgt werden. Das Fischerboot hatte keinen Peilsender und war daher nicht auf der Karte verzeichnet – ebenso wenig wie die Schiffe der Küstenwache und des Militärs, die ihren Standort nicht mitteilen müssen. Allerdings hatte das Flüchtlingsboot mehrere Kontakte mit anderen Schiffen, und diese konzentrierten sich alle auf das kleine Gebiet, in dem das Migrantenboot später sank.

Nach Bootsunglück: Zweifel an Aussagen der Küstenwache

Recherchen des britischen Senders BBC zeigen nun, dass die griechische Küstenwache nach dem schweren Bootsunglück vor der Küste Griechenlands mit Hunderten Toten vergangene Woche nicht die Wahrheit gesagt haben dürfte; die UNO fordert Ermittlungen zum Verhalten der griechischen Behörden.

Am Nachmittag erreichte der Öltanker „Lucky Sailor“ das Boot und lieferte auf Bitte der Küstenwache Wasser und Nahrungsmittel. Zweieinhalb Stunden später wurde auch vom Tanker „Faithful Warrior“ per Leine Trinkwasser auf das Schiff gebracht. Als das Schiff wenige Stunden später sank, ist auf MarineTraffic zu sehen, wie zahlreiche Schiffe an dieselbe Stelle zur Hilfe eilen. Das erste, die Luxusjacht „Mayan Queen“, brachte später einen Großteil der Überlebenden ans Festland. Für alle anderen kam die Hilfe zu spät. Dass sich das Boot in den letzten Stunden kaum bewegte, deckt sich auch mit Aussagen von Überlebenden, die meinten, dass drei Tage nach der Abfahrt am Freitag der Motor des Kutters nicht mehr ansprang.

Kontroverse über angebrachtes Seil

Dem Protokoll zufolge wurden der Kapitän und seine Crew bereits am Dienstag gegen 15.00 Uhr vom maritimen Such- und Rettungszentrum im griechischen Piräus über das in Not geratene Boot informiert. Das Patrouillenboot habe sich dann sofort auf den Weg in die Region gemacht. Am späten Abend habe man sich dem Boot um 23.40 Uhr auf etwa 200 Meter genähert und Hilfe angeboten.

„Wir näherten uns dem Schiff, um seinen Zustand und den der Passagiere zu überprüfen und erneut Hilfe anzubieten“, zitierte die Zeitung den Kapitän, dessen Name nicht veröffentlicht wurde. Dann hätten die Beamten am Bug des Schiffs ein Seil befestigt. Das Seil hatte in Vorwürfen vor einigen Tagen bereits eine große Rolle gespielt: Mehrere Überlebende hatten behauptet, die Küstenwache hätte versucht, das Boot quasi abzuschleppen, und damit das Kentern verursacht. Die Behörden dementierten, räumten aber nach einiger Zeit zumindest ein, die Leine „zur Stabilisierung“ festgemacht zu haben.

Küstenwache will Boot begleitet haben

Im Protokoll des Kapitäns heißt es dann, von Bord seien Rufe wie „No Help“ und „Go Italy“ zu hören gewesen – man brauche keine Hilfe, Ziel sei Italien. „Trotz wiederholter Appelle, ob sie Hilfe brauchten, ignorierten sie uns und machten gegen 23.57 Uhr das Seil los. Sie starteten den Motor und fuhren mit geringer Geschwindigkeit in westliche Richtung.“ Das Patrouillenboot habe dann das Such- und Rettungszentrum informiert und das Boot im Abstand von 200 Metern begleitet, gab der Kapitän weiter an.

Rund 100 Minuten später habe der Kutter erneut angehalten. Dann habe sich das Boot langsam geneigt. Unter den Passagieren habe es Aufruhr gegeben, auch Schreie seien zu hören gewesen. Innerhalb einer Minute sei das Boot dann jedoch gekentert. Das Mittelmeer ist an dieser Stelle etwa 5.000 Meter tief. Von den geschätzten 700 Menschen an Bord wurden 104 gerettet. 78 Leichen wurde geborgen.

Schlepperbande aus Ägypten

Gemeinsam mit der italienischen Polizei und der europäischen Polizeibehörde Europol ermitteln die Griechen unterdessen die Drahtzieher der Schlepperbande. Nach dem Unglück wurden neun Ägypter zwischen 20 und 40 Jahren festgenommen, die zu den Überlebenden gehören.

Die Bande soll in den vergangenen Monaten bis zu 18 Fahrten über das Mittelmeer aus Libyen nach Italien organisiert haben. Einer der Männer habe zugegeben, Geld dafür erhalten zu haben, um während der Reise Arbeiten am Schiff vorzunehmen, berichteten griechische Medien. Die anderen Männer sollen bisher alle Vorwürfe abstreiten.