Proteste gegen Frontex und die griechische Küstenwache im Hafen von Piräus (Griechenland)
APA/AFP/Louisa Gouliamaki
Bootsunglück in Griechenland

Migrationsfrage bestimmt Wahlkampf

Nach dem schweren Schiffsunglück mit mehreren hundert toten Flüchtlingen wird der Ton zwischen den wahlkämpfenden Parteien in Griechenland zunehmend rauer. Die Katastrophe fällt in eine innenpolitisch unruhige Phase – am 25. Juni wird ein neues Parlament gewählt. Während die SYRIZA das Vorgehen der Küstenwache infrage stellt, bestimmt die Migrationspolitik der letzten Jahre den Wahlkampf der Nea Dimokratia (ND). Vor allem unentschlossene Wählerinnen und Wähler dürften dabei eine Rolle spielen.

Es sei „sehr unfair“, wenn Menschen aus vermeintlicher Solidarität mit den Geflüchteten der griechischen Küstenwache unterstellen würden, dass sie ihre Arbeit nicht gemacht hätte, so der ehemalige Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis Ende vergangener Woche während einer Wahlkampfveranstaltung in Sparta. „Diese Leute sind da draußen (rund um die Uhr) und kämpfen gegen die Wellen, um Menschenleben zu retten und unsere Grenzen zu schützen“, so Mitsotakis. Vielmehr solle Kritik an den Schleppern geübt werden, sie seien „menschlicher Abschaum“.

Mitsotakis kritisierte die zeitgleich stattfindende Rettungsaktion von Oppositionspolitikern und Mitgliedern von NGOs und griff auch die größte Oppositionspartei SYRIZA wegen der Migrationspolitik während ihrer Regierungszeit offen an, berichtete die griechische „Kathimerini“. So verwies er etwa auf das überfüllte Flüchtlingslager Moria, das unter der SYRIZA-Regierung in Betrieb genommen worden und im September 2020 niedergebrannt war.

Der frühere griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis auf einer Wahlveranstaltung
Reuters/Louiza Vradi
Der frühere griechische Premierminister Mitsotakis auf einer Wahlveranstaltung

Diejenigen, die sich in der aktuellen Debatte als die „echten Menschenfreunde“ darstellen würden, seien diejenigen, die „die Existenz von Internierungslagern wie Moria zugelassen haben“. Die SYRIZA habe zudem 2015 „die Türen für Millionen von Menschen geöffnet“. Seine Partei habe eine andere Migrationspolitik verfolgt, die „fair und streng“ gewesen sei und auf „Überwachung und Schutz unserer Grenzen“ gesetzt habe. Illegale Grenzübertritte seien unter seiner Politik zurückgegangen.

SYRIZA sieht ungeklärte Fragen

Politikerinnen und Politiker vor allem linker Parteien sehen hingegen die konservative Regierung der vergangenen vier Jahre in der Verantwortung. Aufgrund von ihr eingeführter strenger Kontrollen auf dem Meer wählten Schlepper nun gefährlichere, längere Routen an Griechenland vorbei direkt nach Italien, lautet der Vorwurf. Der mit 500 bis 700 Migranten besetzte Fischkutter war auf dem Weg aus Libyen nach Europa gesunken. Viele Menschen befanden sich der Küstenwache zufolge unter Deck und wurden mit dem Boot in die Tiefe gerissen.

Das Boot sank rund 50 Seemeilen südwestlich der Halbinsel Peloponnes in internationalen Gewässern

Die SYRIZA unter dem Vorsitz von Alexis Tsipras stellte die Schilderungen der Küstenwache in den letzten Tagen bereits mehrmals infrage. So fragte sie etwa, ob es eine Rettungsaktion für das Schiff gegeben habe, ob der Kapitän abgereist sei, warum es nicht möglich gewesen sei, Schwimmwesten zur Verfügung zu stellen, und warum keine Unterstützung durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex angefordert worden sei.

Zuvor hatte der ehemalige Ministerpräsident Tsipras der Küstenwache öffentlichkeitswirksam eine Mitschuld attestiert und den Interimsminister für Bürgerschutz, Evangelos Tournas, in einem Streitgespräch gefragt, warum diese nicht eingegriffen habe. Die Regierung verwies in einer Erklärung darauf, dass es der unabhängigen Justiz obliege, ein endgültiges Urteil in dieser Angelegenheit zu fällen. Die Feststellung der Umstände und Ursachen des Kenterns würden eine gründliche Untersuchung der tatsächlichen Fakten erfordern.

SYRIZA-Parteichef Alexis Tsipras
AP/Thanassis Stavrakis
SYRIZA-Parteichef Tsipras stellt die Schilderungen der Küstenwache infrage

Parteien erwarten wohl ähnliche Ergebnisse

Mit den Vorwürfen um das Unglück konkret auseinandersetzen muss sich derzeit allerdings eine Interimsregierung aus hohen Beamten, Akademikerinnen und Akademikern. Trotz des besten Ergebnisses der Partei seit 2007 – die ND kam auf 146 der 300 Parlamentssitze – hatte Mitsotakis nach der Wahl im Mai angesichts der verpassten absoluten Mehrheit Neuwahlen ausgerufen, am 25. Juni findet daher erneut eine Parlamentswahl statt.

Es scheine klar zu sein, dass die Parteien keine wesentlichen Änderungen in der Wahlentscheidung der Wählerschaft im Vergleich zu den Ergebnissen vom 21. Mai erwarten würden, so die „Kathimerini“. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pulse für Skai käme die ND auf 39 Prozent und hätte damit einen Vorsprung von 21 Prozentpunkten vor der linksgerichteten SYRIZA.

Unentschlossene Wählerinnen und Wähler im Visier

Die Konservativen hätten nun jedoch die 40-Prozent-Hürde im Visier, die ausreichen würde, um eine „sichere“ Mehrheit und die angestrebte Einparteienregierung zu erreichen. Zudem sei von „entscheidender politischer Bedeutung“, wie sich die Unentschlossenen verhalten würden und zu wessen Gunsten die Stimmenthaltung ausfallen werde.

Migrant vor Unterkünften im Malakasa-Camp in Griechenland
Reuters/Stelios Misinas
In dem Malakasa-Camp sind Überlebende des Bootsunglücks untergebracht

Im Wahlkampf würden die Parteien ihre Aufmerksamkeit daher auf der Zielgeraden vor allem auf die unentschlossenen Wählerinnen und Wähler – die den jüngsten Umfragen zufolge etwa sieben bis acht Prozent der Gesamtwählerschaft ausmachen – und auf diejenigen, die sich möglicherweise ganz der Stimme enthalten, konzentrieren.

Entscheidend seien wohl auch die Zusammenhänge innerhalb der linken Mitte – also ob die SYRIZA die 20 Prozent, die sie bei den ersten Wahlen erhalten habe, halten könne oder sich der Abstand zur gemäßigt linken PASOK von Nikos Androulakis vergrößere. Auch die Zahl der kleinen Parteien, die die Dreiprozenthürde überschreiten und damit in das Parlament einziehen könnten, wird mit Spannung erwartet – denn je mehr von ihnen es gibt, desto mehr würde die parlamentarische Macht der ND eingeschränkt, so die „Kathimerini“.