Transparent während einer Klimademonstration
Reuters/Leonhard Foeger
Über 2.000 Fälle

Klimaklagen lassen Druck steigen

Neben Protesten und öffentlichkeitswirksamen Klebeaktionen gewinnen Klimaklagen zunehmend an Bedeutung, wenn es darum geht, Politik und Unternehmen zu strengeren Maßnahmen für den Klimaschutz zu verpflichten. Vorreiter sind die USA. Aber auch in Europa sind einige wegweisende Urteile ausständig. Österreich hinkt bei den juristischen Möglichkeiten hinterher.

Laut einer Untersuchung des Grantham Institute der London School of Economics hat es zwischen 1986 und 2022 weltweit rund 2.000 Klimaklagen gegeben. Rund die Hälfte aller Klagen im europäischen Raum sei allein in den vergangenen fünf Jahren erfolgt, stellte Oliver Ruppel, Leiter des interdisziplinär arbeitenden Forschungszentrums für Klimaschutzrecht an der Uni Graz gegenüber ORF.at fest.

Er sieht großes Potenzial beim Beitrag von Klimaklagen zu mehr Klimaschutz: „Weltweit werden die gesetzlichen Klimaschutzvorgaben mehr, und die Erfolgsaussichten steigen.“ Zudem gebe es bei Klimaklagen unabhängig von deren Ausgang einen öffentlichen Signaleffekt.

Regierungen noch im Fokus

Im Fokus stehen derzeit noch vor allem Regierungen, allerdings werden zunehmend auch Unternehmen in die Verantwortung genommen. Von Australien bis Mexiko sind Fälle anhängig. Den Großteil der Klagen gab es im Ursprungsland der Gerichtsverfahren zum Klimawandel in den USA. Hier steigt auch der Anteil der Klagen gegen Unternehmen, etwa in der fossilen Brennstoffindustrie.

Ölkonzerne wie Exxon, Chevron und Shell sind mit zahlreichen Klagen konfrontiert. Ihnen wird vorgeworfen, die mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe verbundenen Gefahren falsch dargestellt zu haben. Ruppel beobachtet international auch eine Ausweitung der Klagen gegen Unternehmen in anderen Sektoren wie der Luft- und Schifffahrt, der Kunststoffproduktion und dem Verkehr.

Warten auf EGMR-Entscheidungen

Auch in Europa bekommt der Klagsweg mehr Aufmerksamkeit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg verhandelt diesen Sommer Klimaklagen aus der Schweiz, Frankreich und Portugal. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob Klimaschutz ein Menschenrecht ist.

Besondere internationale Aufmerksamkeit bekommt der Fall aus der Schweiz. Ein Zusammenschluss von Schweizer Senioren und Seniorinnen sieht die Schweiz als zu wenig ambitioniert bei der Reduktion der CO2-Emissionen. Sie argumentieren, dass ihre Gesundheit aufgrund der Klimakrise und dadurch bedingter Hitzewellen besonders gefährdet sei.

Klimademonstration in der Schweiz
AP/Jean-Francois Badias
Schweizer Senioren und Seniorinnen brachten ihre Klimaklage vor den EGMR

Entscheidung trifft mehrere Staaten

Erika Wagner, Leiterin des Instituts für Umweltrecht an der Johannes-Kepler-Universität, sieht im ORF.at-Interview Auswirkungen für weitere Klimaklagen: „Es wird erwartet, dass der EGMR darüber Aufklärung gibt, wie die Grundrechte im Klimaschutz zu deuten sind.“ Es werde eine Entscheidung erwartet, wie sehr sich die von den Klagenden vorgebrachten Hitzewellen und die damit verbundene Gesundheitsgefährdung tatsächlich auf die Grundrechte auswirken.

Wird die Klage für zulässig erklärt, könnte das Urteil bis zu gerichtlichen Vorgaben für die Klimapolitik in der Schweiz gehen. Treffen würde es dann aber mehr Staaten. Denn der EGMR gehört zum Europarat und ist für die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zuständig. „Wenn generelle Aussagen getroffen würden, dass Menschenrechte im Klimawandel Pflichten begründen, müssen auch andere Vertragsstaaten der EMRK diese Art der Auslegung beachten“, sagte die Völkerrechtlerin Birgit Peters von der Universität Trier gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“).

„Revolutionäres Urteil“

Ein „revolutionäres Urteil“ gab es 2021 vom deutschen Bundesverfassungsgericht, analysierte Wagner. Deutschland wurde ein unzureichendes Klimaschutzgesetz vorgeworfen. Dem Gericht zufolge werden bei einem ungenügenden Emissionsschutz die Freiheitsrechte eingeschränkt. Als Folge des Urteils brachte Deutschland ein neues Klimaschutzgesetz auf den Weg, so Wagner.

Die Juristin sieht diesen Fall als „Blaupause“ für den von zwölf Kindern und Jugendlichen Anfang dieses Jahres beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingebrachten Individualantrag. Die Kinder werfen der Republik Österreich vor, dass ihre Grundrechte aufgrund einer unzureichenden Klimaschutzpolitik verletzt würden.

Pressekonferenz zur Klimaklage in Wien
Reuters/Eva Manhart
Zwölf Kinder beziehen sich in ihrem Antrag vor dem VfGH auf Kinderrechte

Derzeit liegt der Fall noch beim VfGH. Wagner rechnet sich hohe Chancen aus, dass dieser Antrag durchgeht: „Die Situation entspricht derselben Grundrechtslage wie in Deutschland.“ Zudem sei die Klimaschutzgesetzgebung in Österreich ungenügend. Es fehlen konkrete CO2-Reduktionsziele und -Verbindlichkeiten. Klimaschutz- und Völkerrechtsexperte Ruppel: „Gibt der VfGH dem Antrag recht und hebt Teile des Klimaschutzgesetzes auf, hätte das weitreichende Folgen und würde die Regierung zwingen, neue Regeln zu beschließen.“

Fünf Klimaklagen in Österreich

Eine erste Klimaklage – von bisher fünf in Österreich – gab es bereits 2020. Greenpeace und über 8.000 Österreicher und Österreicherinnen brachten beim VfGH eine Sammelklage wegen der unfairen Bevorzugung des klimaschädlichen Flugverkehrs gegenüber der Bahn ein. Diese Klage wurde vom VfGH aus formellen Gründen abgewiesen: Die Antragsteller seien nicht berechtigt, klimaschädliche Gesetze einzuklagen. Denn Voraussetzung für einen Individualantrag beim VfGH ist, dass der Antragsteller direkt von einer Gesetzgebung betroffen ist.

Dieser Fall liegt nun genauso wie der des Antragstellers Mex M. beim EGMR. Er leidet an einer temperaturabhängigen Form von Multipler Sklerose, die sich bei höheren Temperaturen verschlechtert. M. sieht seine Grundrechte in Österreich nicht ausreichend geschützt. In Österreich sei seine Beschwerdebefugnis infrage gestellt gewesen, sagte Ruppel: „Eine EGMR-Entscheidung könnte Österreich nun verpflichten, mehr Beschwerdemöglichkeiten zu eröffnen.“

Eigentlich ermöglicht die von Österreich bereits 2015 ratifizierte Aarhus-Konvention den leichteren Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Ein solcher ist im Klimaschutzgesetz allerdings nicht festgelegt, deshalb seien Österreichs Gerichte hier zurückhaltend, so Ruppel: „Die Klagsbefugnis wurde bisher sehr restriktiv gehandhabt.“

„Nicht gleicher Rechtsschutzstandard in Österreich“

Geklagt werden aber nicht nur Staaten, zunehmend werden auch Unternehmen für ihren Beitrag zur Klimakrise zur Verantwortung gezogen. Wagner kritisiert die rechtlichen Schranken in Österreich, die Klimaklagen gegen Unternehmen erschweren: „Im Vergleich zu anderen westlichen Ländern haben wir in Österreich hier nicht den gleichen Rechtsschutzstandard.“

Problematisch sei, dass in Österreich im Zivilrecht keine Verbandsklagen etwa durch NGOs möglich seien. Es gebe lediglich eine Konstruktion, wie man ähnlich gelagerte Schadenersatzansprüche bündeln könne, aber keine Feststellungsklagen, wo auch präventiv ermittelt werden könne, ob bestimmte Ziele erfüllt oder nicht erfüllt werden. Das sei ein Manko, kritisiert Wagner die rigorose Haltung Österreichs.

Länder wie die Niederlande seien hier bereits weiter fortgeschritten. Dort sorgte 2021 ein Urteil gegen den Ölkonzern Shell für Aufsehen. „Das Shell-Urteil ist das erste Urteil, das einer Klage gegen ein Privatunternehmen stattgibt“, sagte der Jurist Marc-Philippe Weller von der Universität Heidelberg gegenüber der Deutschen Welle. Der Konzern wurde verpflichtet, seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent zu senken. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Es wurde Berufung dagegen eingelegt.

Klage gegen RWE als Präzedenzfall

Anfang des Jahres wurde von indonesischen Bürgern in der Schweiz eine Klage gegen den Schweizer Zementhersteller Holcim eingereicht. Sie werfen dem Konzern vor, zum Anstieg des Meeresspiegels beizutragen. Derzeit blicke man in Europa aber besonders auf das spendenfinanzierte Verfahren gegen den Energiekonzern RWE in Deutschland, so Wagner: „Der RWE-Fall wird ein Präjudiz und je nach Ausgang ein Treiber für weitere Klimaklagen in Europa sein.“ Der peruanische Bauer Saul Luciano Lliuya klagte das Unternehmen bereits 2015. Bisher ist der Fall noch nicht entschieden.

Lliuya wirft RWE vor, mit dessen CO2-Emissionen eine vom Klimawandel beschleunigte Gletscherschmelze auszulösen, die zu einem Ansteigen des Gletschersees und aufgrund eines möglichen Dammbruchs auch zur Überflutung des Hauses des Klägers führen könne. Das mache hohe Investitionen notwendig, und dafür soll RWE einen bestimmten Anteil beitragen. Derzeit läuft die Beweisaufnahme.

Der peruanische Bauer Saul Luciano Lliuya
Reuters/Wolfgang Rattay
Der Peruaner Saul Luciano Lliuya klagte den deutschen Energiekonzern RWE

Es gehe nun um drei große Fragen, erklärt Wagner: Kommt es überhaupt zu einem Schaden? Wie hoch wird dieser sein? Und die entscheidende Kausalitätsfrage: Wer ist der Schädiger, und wie hoch ist sein Anteil? Juristen und Juristinnen sind hier unterschiedlicher Ansicht. Während Wagner dafür eintritt, dass Schädiger für einen bestimmten Teil des Schadens haften müssen (Anteilshaftung), sieht ein von RWE eingesetzter Gutachter keine nachweisbare Kausalität. Das müsse nun im Prozess geklärt werden.

Lukratives Geschäft

Viele der Klimaklagen basieren auf Spenden und Crowdfunding. Mit der Zunahme von Schadenersatzklagen gegen Unternehmen wegen Klima- und Umweltschäden treten auch mehr Investoren als Prozessfinanzierer auf und entdecken neue Geschäftsfelder. In Österreich sind diese im Klimabereich kaum vertreten. Entsprechend hoch ist auch das Finanzierungsrisiko.

Ruppel sieht die Finanzierung zweischneidig. Die zur Verfügung stehenden Finanzmittel spielen demnach eine entscheidende Rolle beim Anstieg von Klimaklagen. Einzelne Personen verfügten oftmals nicht über die notwendigen finanziellen Mittel. Es sei aber nicht vermeidbar, dass es „Interessen gibt, die über die der betroffenen Personen hinausgehen“. Schließlich bekommen die Investoren einen Anteil der Entschädigungssumme und der liegt oft im zweistelligen Millionenbereich.