Wolf streift durch den Wald
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Hybride

Neues Futter für Wolfsdebatte

Die Sorge vor dem Wolf ist in den vergangenen Tagen um eine Facette reicher geworden. Das Land Kärnten warnte kürzlich vor Hybriden, also vor einer Kreuzung aus Wolf und Hund. Sie würden sich „anders“ als Wölfe verhalten und könnten den Menschen näher kommen. Laut dem Verhaltensbiologen Kurt Kotrschal gibt es dafür aber keine wissenschaftlichen Hinweise. Vielmehr werde hier eine „triviale Sache instrumentalisiert“.

Seit Jahren steigt in Europa die Population des Wolfes. Das streng geschützte Tier wird auch in Österreich – im Vergleich zu den Vorjahren – oft gesichtet. Gleichzeitig werden aus der Landwirtschaft steigende Risszahlen gemeldet. Laut dem Zentrum Bär, Wolf, Luchs wurden mit Stand Juni dieses Jahr bisher 150 Nutztiere durch einen Wolf getötet und acht verletzt, über 100 Nutztiere gelten als vermisst. Im Vorjahr wurden österreichweit fast 800 Tiere getötet, 69 verletzt, 920 galten als vermisst. Besonders betroffen sind Tirol und Kärnten.

Die Länder, die für das Jagdrecht zuständig sind, gehen mittlerweile mit Abschussverordnungen gegen Wölfe vor. Wenn sie einem bewohnten Gebiet zu nahekommen oder nachweislich eine bestimmte Zahl von Nutztieren reißen, kann das betreffende Raubtier erlegt werden. Seit 2022 wurden in Kärnten fünf Tiere erschossen. Das Land Kärnten war es auch, das kürzlich vor einer Ausbreitung von Wolfshybriden gewarnt hatte.

Mittels Proben seien Wolf-Hund-Hybride festgestellt worden, sagte Landesrat Martin Gruber (ÖVP). Um die Ausbreitung besser einschätzen zu können, würden weitere Untersuchungen folgen. Wolfshybride, so der Tenor, seien nämlich weniger menschenscheu als reinrassige Wölfe, Konflikte mit der Bevölkerung somit vorprogrammiert, lautet der Tenor – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Auch aus der Tiroler Landwirtschaft wurden umgehend besorgte Stimmen laut – mehr dazu in tirol.ORF.at. Kurz darauf gab die Salzburger Landespolitik ihr Ziel aus, das Bundesland „wolfsfrei“ zu machen – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

„Keine wissenschaftlichen Belege“

„Für die Behauptung, Wolfshybride hätten eine geringere Scheu zum Menschen, gibt es keine wissenschaftlichen Belege“, sagt Kotrschal im Gespräch mit ORF.at. Der renommierte Verhaltensbiologe leitete früher die Konrad-Lorenz-Forschungsstelle der Uni Wien und hatte 2008 das Wolfsforschungszentrum in Ernstbrunn mitbegründet. „Es ist die berechtigte Erwartung, dass Hunde menschenaffiner sind als Wölfe. Daher glaubt man, wenn sich Wölfe mit Hunden paaren, dass ein halber Hund rauskommt. Dem ist aber nicht so“, erklärt Kotrschal.

Selbst Hybride der ersten Generation (F1-Hybride), also die direkten Nachkommen eines Hundes und einer Wölfin, zeigen in erster Linie ein typisches Wolfsverhalten. Es komme nämlich auch auf die Umgebung an, wo das Tier aufwächst, sagt der Verhaltensbiologe. Die Kulturen von Wolf und Hund seien anders, und das müsse man eben auch in der Debatte berücksichtigen.

Suche nach dem Partner

Genetisch gibt es zwischen Hunden und Wölfen ein paar Unterschiede. Das betrifft etwa die Stärkeverdauung, bei der das Enzym Amylase eine wichtige Rolle spielt. Hunde haben im Laufe ihrer Entwicklung das Gen vervielfältigt, um sich an die stärkereichere Nahrung unter der Obhut der Menschen besser anzupassen. Wölfe hingegen besitzen, weil sie überwiegend Fleisch fressen, nur zwei Kopien des Gens. Findet man in einer DNA-Probe eines Wolfes mehr als zwei Genkopien, könne von einer Hybridisierung ausgegangen werden, sagt Kotrschal. Allerdings sagt das nichts darüber aus, vor wie vielen Generationen das geschah.

Historisch gesehen habe aber jeder europäische Wolf ohnehin ein paar Hundegene in sich, weil es immer wieder zu Kontakten mit Hunden gekommen sei. Besonders in den 1960er Jahren seien Hybridisierungen – etwa in den italienischen Abruzzen – passiert, als es viele Streuner gab, gleichzeitig aber nur wenige Wölfe. Das sei heute anders, betont der Experte. Die Wolfspopulation wächst, während die Zahl der Streuner in Mitteleuropa zurückgeht.

Wegen der wachsenden Population müssten sich Wölfinnen auch nicht mit Hunden paaren, was grundsätzlich laut Kotrschal auch sehr selten vorkommt. „Meistens sind Hunde für Wölfe eher ein Snack als ein Geschlechtspartner“, so der Biologe, obwohl es auch relativ selten vorkomme, dass Wölfe Hunde töten. Nur wenn eine läufige Wölfin keinen Wolf findet, wird sie auf einen Hund zurückgreifen. Bereits vor einem Jahr hatte Kärntens Wolfsbeauftragter Roman Kirnbauer in der „Kleinen Zeitung“ von „seltenen Fällen“ gesprochen.

Tierschutz und Jagdrecht

Der Tierschutz in Österreich wird über nationales Recht und internationale Verträge geregelt. Gleichzeitig ist das Jagdrecht hierzulande nach dem föderalistischen Prinzip Ländersache.

Hybride schon in der Verordnung

Wie oft das vorkommt bzw. wie viele Wolfshybride sich in Österreich bzw. Europa befinden, kann nicht gesagt werden. Selbst in Sachen Wolf tun sich Fachleute schwer, Zahlen zusammenzutragen. Vieles basiert auf Schätzungen und eben einigen wenigen nachweisbaren Fällen. Laut der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung lag die Hybridisierungsrate bei Wölfen in Deutschland mit Stand 2019 bei weniger als einem Prozent. Von 2000 bis 2017 seien bei 245 Würfen zwei Fälle mit einer Hybridisierung nachgewiesen worden.

Zwar ist das Thema in Deutschland und Österreich wissenschaftlich noch ein Randphänomen. In Süd- und Osteuropa wird über Hybride aber schon seit einigen Jahren diskutiert. Insbesondere in Italien sind Berichte über Hybride nicht selten. Angenommen wird deshalb etwa, dass die in Kärnten registrierten Wolfshybride aus dem Nachbarland stammen können. Die Landwirtschaftskammer Kärnten verwies etwa Anfang 2022 auf ein „Rudel Wolf-Hund-Hybriden“ aus Tarvis. Kurz danach trat die neue Wolfsverordnung des Landes in Kraft.

Schon damals hieß es in der Verordnung, dass Jäger und Jägerinnen Wolfshybride „bis zur dritten Generation, einschließlich ihrer Welpen“ töten können. Vergrämungsmaßnahmen, wie sie bei „Risikowölfen“ und „Schadwölfen“ vorgesehen sind, sind bei Hybriden gesetzlich nicht vorgeschrieben. Für Kritiker und Kritikerinnen will die Politik das Thema dafür nutzen, um den nationalen Abschuss von Wölfen weiter zu erleichtern.

Grafik zum Vorkommen von Wölfen in Europa
rewildingeurope.com

Strenger Schutz, aber gegen Hybridisierung

Ähnlich sieht es Kotrschal. „Man kann so viel Tiere schießen, wie man will. Der Wolf wird nicht verschwinden“, sagt er. Und je länger man sich der „trügerischen Hoffnung“ hingebe, dass man durch Entnahmen von Wölfen die Situation in den Griff bekommt, desto heikler werde die Lage sich entwickeln. Die Populationen in den Nachbarländern seien schon sehr groß, so der Verhaltensbiologe. Man müsse deshalb lernen, mit den Tieren zu leben, auf Herdenschutz setzen und Bauern, die durch Risse ihre Existenz gefährdet sehen, finanziell unterstützen.

Grundsätzlich zählt der Wolf zu den äußerst streng geschützten Arten. Die Europäische Union prüft wegen Österreichs Wolfsmanagement bereits ein Vertragsverletzungsverfahren. Auch Hybride haben einen besonderen Schutz. Unter Fachleuten ist aber klar, dass Hybride aus Artenschutzgründen vermieden werden müssen.

„Hybridisierungen sind immer unerwünscht“, sagt auch Kotrschal. Ist es bereits zu einer Kreuzung gekommen, müssten Maßnahmen überlegt werden, um das Ausbreiten von Hybridtieren erster oder zweiter Generation zu verhindern.

Der Wissenschaftler ist nicht gegen die Entnahme von Wolfshybriden, wie er erklärt. Aber: „Nur wenn ganz klar nachweisbar ist, dass es sich um einen Hybriden in den ersten Generationen handelt, sollte das Tier entfernt werden“, sagt er und verweist darauf, dass man den Wolf vor Vermischungen schützen will. Liegt die Kreuzung mehrere Generationen zurück, sei die Entnahme nicht mehr hilfreich, weil die vergleichsweise wenigen Hundegene, die bei einer Hybridisierung auf die Wölfe übergehen, dann bereits „stark verdünnt“ sind.

Die Kombination Wolf-Hund sei ein genetisches Kontinuum seit Zehntausenden von Jahren, und eine gelegentliche Hybridisierung sei „kein Beinbruch für die Art Wolf“, sagt Kotrschal. Diese Meinung teilt der Biologe mit internationalen Fachleuten. Kotrschal spricht sich auch gegen ein Einfangen von Hybriden aus. „Wer Wölfe aus der freien Wildbahn nimmt, um sie einzusperren, missachtet das Tierwohl.“