Regenbogenparade am Rathausplatz
APA/Eva Manhart
Anschlagspläne

Verdächtige bestreiten ernsthafte Absichten

Die beiden in U-Haft befindlichen Verdächtigen im Alter von 14 und 17 Jahren bestreiten laut Staatsanwaltschaft St. Pölten mutmaßliche Anschlagspläne auf die Wiener Regenbogenparade am Wochenende. Die Jugendlichen „räumen die Teilnahme an Chats ein, bestreiten aber die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten“, sagte Sprecher Leopold Bien am Dienstag zur APA.

Die Staatsanwaltschaft legte indes Beschwerde gegen die Haftentlassung eines 20-Jährigen ein, wie der „Kurier“ zuerst berichtete. Nach der Beschwerde sei das Oberlandesgericht Wien am Zug, sagte Bien. Gegen den 20-Jährigen besteht laut Landesgericht St. Pölten „kein dringender Tatverdacht“.

Gegen die drei mutmaßlichen Islamisten wird wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation ermittelt. Das Trio war Samstagmittag festgenommen worden – rund eine Stunde vor Beginn der Parade. Am Sonntag wurde über zwei Beschuldigte wegen Tatbegehungsgefahr U-Haft verhängt, der 20-jährige Bruder des 17-Jährigen wurde auf freien Fuß gesetzt. Die beiden älteren Beschuldigten haben ihren Wohnsitz in St. Pölten, der 14-Jährige lebt in Wien.

Verdächtige ohne strukturierten Alltag

Alle drei sind jüngsten Informationen der APA zufolge in geordneten familiären Verhältnissen aufgewachsen. Ihre Eltern sollen keine stark ausgeprägte religiöse Gesinnung oder gar radikalislamische Tendenzen aufweisen. Die Verdächtigen dürften sich online und nicht in Moscheen radikalisiert haben. Einem geregelten, strukturierten Alltag gingen sie zuletzt nicht nach – einer hatte eine Lehre als Versicherungskaufmann abgebrochen, der Jüngste soll eher unregelmäßig die Schule besucht haben.

Radikalisierung im Internet

Der am Londoner King’s College tätige Extremismusforscher Peter R. Neumann verwies im APA-Gespräch darauf, dass „die demografische Spannweite bei Islamisten mittlerweile viel breiter ist als vor zehn Jahren“. Dass der jüngste Verdächtige erst 14 Jahre alt ist, sei heutzutage nicht unüblich, so Neumann.

Radikalisiert dürften sich die Jugendlichen im Internet haben. Vom Deradikalisierungsverein Derad hieß es dazu auf APA-Anfrage am Montag, bei einer Radikalisierung im Netz handle es sich um kein neues Phänomen: „Das passiert bereits seit rund 30 Jahren. Es haben sich nur die Plattformen geändert.“ Man betreue regelmäßig „sehr junge Klientinnen und Klienten“. Laut Derad befinden sich aktuell allein in Wien rund 50 islamistische Gefährder. „Jeder von ihnen ist potenziell in der Lage, einen Anschlag zu verüben“, warnte die NGO.

Junge Verdächtige mittlerweile üblich

„Damals, während der Hochphase des IS (Terrormiliz Islamischer Staat, Anm.) war das typische Profil eines Islamisten: männlich, zwischen 18 und 25 Jahre“, erläuterte dazu Neumann, Professor für Security Studies an der britischen Universität: „Das ist jedoch etwas, das heutzutage nicht mehr gilt.“ Die „demografische Spannweite“ habe sich verändert. „Wir sehen heute auch Zwölfjährige als Extremisten, genauso wie das auch in der anderen Richtung möglich ist. Das Bild ist etwas diverser geworden“, sagte Neumann.

Insgesamt sei die Bedrohungslage unübersichtlicher geworden, erklärte er. Auch der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Hajawi-Pirchner, hatte am Sonntag gegenüber der APA bekräftigt, dass die Gruppe der Islamisten in Österreich immer jünger werde.

Kritik an TikTok

Neumann hob gegenüber der APA hervor, dass die Radikalisierungstendenzen weltweit jedoch grundsätzlich eher abnehmen. „Es gibt heute vergleichsweise viel weniger Radikalisierung“, so Neumann, „weil die Netzwerke zerschlagen worden sind und es bestimmte radikale Moscheen nicht mehr in dem Ausmaß gibt, wie das früher der Fall war.“ Dadurch habe sich jedoch auch die Rekrutierung von potenziellen Extremisten verändert.

„Das Internet und hier insbesondere TikTok spielt dabei eine wichtige Rolle“, so Neumann. Vor allem die chinesische Videoplattform habe an Bedeutung gewonnen. Der Experte übte in diesem Zusammenhang Kritik an der App. So habe TikTok noch nicht ausreichend etwas gegen solche Tendenzen getan. „Solche Plattformen wachsen relativ schnell und bauen erst unter politischem Druck entsprechende Kapazitäten auf.“

DSN-Chef Haijawi-Pirchner hatte am Sonntag auf einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass sich die drei Verdächtigen im Netz über entsprechende Prediger radikalisiert hätten: „Die Verdächtigen gehören genau zur Zielgruppe dieser Prediger. Sie sind jung und haben sich auf TikTok oder anderen Social-Media-Kanälen selbst radikalisiert.“

Debatte über Überwachung von Messengerdiensten

Die Vorfälle lösten zudem eine Diskussion darüber aus, ob die Strafverfolgungsbehörden über hinreichende Mittel zur Überwachung extremistischer Gefährder verfügen. Haijawi-Pirchner hatte schon Ende Februar im „Standard“ bessere Zugriffsmöglichkeiten auf Inhalte von Messengerdiensten verlangt.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sagte dazu am Montag am Rande einer Veranstaltung in Wien, es sei „Teil des Regierungsprogramms, dass es hier zu Änderungen kommen soll“, weil man in diesem Bereich „nicht mehr modern und zeitgemäß“ sei. Moderne Nachrichten- und Messengerdienste könne man derzeit „nicht mehr überwachen“. Gleichzeitig betonte Karner, dass es „nicht um Massenüberwachung“ gehe.

Grüne dagegen, FPÖ gesprächsbereit

Darauf reagierte der Regierungspartner umgehend. „Was die Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen wie die Einführung eines Bundestrojaners betrifft, ist die grüne Position klar, auch mit Blick auf die Wahrung der Grundrechte: Die Gefahren einer solchen Maßnahme überwiegen ihren Nutzen“, hieß es in einer von der APA erbetenen Stellungnahme des grünen Parlamentsklubs. Auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) habe dem Bundestrojaner bereits eine eindeutige Absage erteilt.

Von der FPÖ hieß es am Dienstag, man sei „gesprächsbereit, aber äußerst skeptisch“. Das sagte Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer bei einer Pressekonferenz in Innsbruck zu Vorstößen Karners. Prinzipiell sei man natürlich dafür, dass Polizei und Behörden alles unternehmen können, um im Vorfeld solche Anschläge zu verhindern.

Man habe in Zeiten der CoV-Pandemie gesehen, „wie schnell Grund- und Freiheitsrechte ausgehebelt werden können“, so Amesbauer. Zunächst müssten aber „alle Zweifel an der parteipolitischen Unbefangenheit“ der DSN ausgeräumt werden, verlangte der Sicherheitssprecher: „Wir haben massive Zweifel an der Unabhängigkeit der Behörde.“ Es dürfe nicht sein, dass „Regierungskritik per se kriminalisiert“ werde und unter dem „Vorwand der Terrorismusbekämpfung“ regierungskritische Wortmeldungen quasi ausspioniert würden.

Besorgnis in St. Pölten

Die St. Pöltner Volkspartei forderte indes in einer Aussendung einen Gipfel mit Sicherheitsbehörden, Integrationsexperten und allen Gemeinderatsfraktionen, „denn hier wurde von den Verantwortlichen lange genug weggeschaut“. „Es ist unerträglich, dass St. Pölten immer wieder bei Terrorermittlungen zum Thema wird“, meinte der ÖVP-Klubobmann im Gemeinderat, der Landtagsabgeordnete Florian Krumböck.

Er verwies auf die aktuell aufgedeckten Anschlagspläne, den Terroranschlag im November 2020 in Wien und Hausdurchsuchungen 2017 nach der Explosion einer Pizzeria in Hollabrunn: „Die Landeshauptstadt rückt hier immer wieder in den Fokus. Wir müssen uns in St. Pölten daher dringend darüber unterhalten, wie wir die religiöse und gesellschaftliche Radikalisierung von jungen Menschen hintanhalten können.“