EU-Flaggen vor dem EU-Kommissionsgebäude in Brüssel
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Neue Sanktionen gegen Russland

EU will Schlupflöcher stopfen

Die Europäische Union verschärft ihre Sanktionen gegen Russland weiter. Vertreter und Vertreterinnen der EU-Staaten einigten sich am Mittwoch in Brüssel auf das elfte Sanktionspaket seit dem russischen Angriff auf die Ukraine, wie der schwedische Ratsvorsitz mitteilte. Im Mittelpunkt stehen Maßnahmen gegen eine Umgehung bereits bestehender Sanktionen.

Vorgesehen sind Strafmaßnahmen gegen Unternehmen, die Dual-Use-Güter nach Russland exportieren. Solche eigentlich zivil genutzten Produkte können auch militärisch verwendet oder weiter verbaut werden. Im Visier der EU sind etwa Kühlschränke, Drucker und Taschenrechner aus Europa, die über Drittländer nach Russland geliefert werden und deren Elektronik dort für Waffen genutzt wird.

Als „letztes Mittel“ gegen das Umgehen der Sanktionen ist deshalb ein neues Notfallinstrument geplant, mit dem Exporte in nicht kooperationswillige Drittländer eingeschränkt werden können. Davon könnten auch chinesische Unternehmen betroffen sein. Ursprünglich wollte die EU-Kommission auch sie auf die Sanktionsliste setzen. Nach scharfen Protesten aus Peking werden nun laut Diplomaten aber nur drei russische Firmen mit Sitz in Hongkong gelistet.

Einige Staaten im Verdacht, bei Umgehung zu helfen

Neben China stehen auch Kasachstan, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate im Verdacht, Russland beim Umgehen der Sanktionen zu helfen. Der Türkei wurde zuletzt von EU-Fachleuten bescheinigt, vergleichsweise entschlossen auf Hinweise zu Sanktionsumgehungen zu reagieren.

Direkt nach der Vorstellung der Vorschläge für das Sanktionspaket Anfang Mai hatte es zudem längere Diskussionen darüber gegeben, ob einzelne Länder an den Pranger gestellt werden sollten, wenn über sie Russland-Sanktionen umgangen werden.

Sorge vor Folgen für Handel mit China

Hintergrund war vor allem die Sorge mancher Länder, dass ein mögliches Vorgehen gegen China Vergeltungsmaßnahmen und negative Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen zur Folge haben könnte. Vereinbart wurde deswegen nun ein sehr vorsichtiges Vorgehen.

Russischer Güterzug
AP/Mindaugas Kulbis
Einfuhren nach Russland sind mittlerweile mit umfassenden Sanktionen der EU belegt

Aus den EU-Staaten selbst dürfen schon seit Monaten viele Produkte nicht mehr nach Russland geliefert werden. EU-Diplomaten zufolge sieht das neue Sanktionspaket zudem eine Verschärfung bestehender Transitverbote vor. Somit sollen bestimmte Hightech-Produkte oder Flugzeugteile, die Russlands Verteidigungssektor nützen, aus Drittstaaten nicht mehr nach Russland kommen können.

Vorgehen gegen Beteiligte an Deportationen von Kindern

Das Sanktionspaket sieht zudem Einreise- und Vermögenssperren gegen 71 weitere Verantwortliche und 33 Organisationen vor. Die EU wirft ihnen unter anderem vor, sich an der „illegalen Deportation ukrainischer Kinder nach Russland“ zu beteiligen, wie es in einer Erklärung Schwedens, das noch bis Ende Juni den rotierenden Vorsitz im Ministerrat hat, heißt.

Mit dem Sanktionspaket verlängert wird darüber hinaus der Entzug von Sendelizenzen für fünf russische Medien, die unter Kontrolle der Moskauer Regierung stehen.

Von der Leyen sieht Schlag gegen Kriegsmaschinerie

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte die Einigung auf das Sanktionspaket. Es werde der Kriegsmaschinerie von Russlands Präsident Wladimir Putin mit verschärften Ausfuhrbeschränkungen einen weiteren Schlag versetzen. Zudem ziele es auf Einrichtungen ab, die den Kreml unterstützten. „Unser Instrument zur Bekämpfung der Umgehung von Sanktionen wird Russland daran hindern, sanktionierte Güter in die Hände zu bekommen.“

Die Kommissionschefin hatte kürzlich zu den bisherigen Sanktionen gegen Russland gesagt, allein die EU-Ausfuhrverbote beträfen Waren mit einem Vorkriegshandelsvolumen in Höhe von etwa 50 Mrd. Euro pro Jahr. Das entspreche einem Anteil von 55 Prozent. Die EU-Einfuhrverbote für Waren aus Russland betreffen demnach 60 Prozent der Vorkriegsausfuhren mit einem Wert von etwa 90 Mrd. Euro.

Ungarn und Griechenland sperrten sich lange

Dass das neue Sanktionspaket nicht bereits deutlich früher auf den Weg gebracht werden konnte, lag zuletzt vor allem an Ungarn und Griechenland. Die beiden EU-Staaten blockierten nach Angaben von Diplomaten, weil die Ukraine heimische Unternehmen auf eine Liste mit Unterstützern des russischen Angriffskrieges gesetzt hatte. Ungarn monierte etwa, die betroffene Bank OTP habe gegen keinerlei Gesetze verstoßen.

In früheren Sanktionspaketen wurden ebenfalls Handels- und Finanzbeschränkungen verabschiedet, etwa Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote, aber auch Importbeschränkungen für industrielle Güter.

Verfahren wohl am Freitag abgeschlossen

Die Einigung zur Verhängung neuer Sanktionen erfolgte im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten bei der EU. Sie muss nun noch von den Staaten angenommen werden. Das gilt allerdings als Formalakt – die neuen Sanktionen treten in Kraft, wenn kein Mitgliedsland schriftlich widerspricht. Mit Abschluss des Verfahrens wird bis Freitag gerechnet.