Der frühere griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis auf einer Wahlveranstaltung
IMAGO/ANE Edition/Vasilis Rebapis /Eurokinissi
Griechenland wählt erneut

Konservative vor absoluter Mehrheit

Am Sonntag finden in Griechenland zum zweiten Mal innerhalb eines Monats Parlamentswahlen statt. Bei der Wahl im Mai gewann die bisher regierende Konservative der Nea Dimokratia (ND) unter Kyriakos Mitsotakis die Wahl zwar klar – die absolute Mehrheit wurde jedoch verfehlt. Aufgrund einer Wahlrechtsreform ist nun nach der Neuwahl eine Alleinregierung sehr wahrscheinlich. Unklar ist, inwiefern das jüngste Bootsunglück mit mehreren hundert toten Geflüchteten die Wahl beeinflussen wird.

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Rass kommt die ND auf 40,2 Prozent der Stimmen und liegt damit 23,4 Prozentpunkte vor der größten Oppositionspartei, der linkspopulistischen SYRIZA von Ex-Premier Alexis Tsipras. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt mit 41,9 Prozent der Stimmen auch das Institut GPO – dort beträgt der Abstand auf SYRIZA sogar 25,6 Prozentpunkte.

Bei der Parlamentswahl am 21. Mai war die ND mit rund 41 Prozent als klare Siegerin hervorgegangen. Die SYRIZA kam damals auf 20 Prozent. Da keine Partei die absolute Mehrheit erreichte und Koalitionen in Griechenland keine Tradition haben, wird am Sonntag neu gewählt.

Aufgrund einer Wahlrechtsreform gilt für diese Wahl zudem wieder ein Wahlsystem mit Bonussitzen, wenn auch in abgeschwächter Form. Nach diesem Wahlrecht erhält die stärkste Partei mindestens 20 Sitze im 300-köpfigen Parlament zusätzlich, wenn sie über 40 Prozent der Stimmen erhält, sogar 50 Sitze. Erreicht die ND ein ähnlich hohes Ergebnis wie bei der ersten Wahl, hätte sie damit die absolute Mehrheit und könnte alleine regieren.

Grafik zeigt Umfrageergebnisse zur bevorstehenden Parlamentswahl in Griechenland
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: politpro.eu

Mitsotakis mit Orban verglichen

Linke in Griechenland und europaweit beschwören vor den griechischen Parlamentswahlen das griechische Wort „Autokratie“, das „die unumschränkte Staatsgewalt in der Hand eines einzelnen Herrschers“, in diesem Fall des bisherigen Regierungschefs Mitsotakis, beschreibt.

„Wählt uns, damit wir gegen ein zügelloses Mitsotakis-Regime kämpfen können!“, appellierte daher Tsipras im aktuellen Wahlkampf. Mitsotakis strebe eine „schwächelnde, kranke, instabile Demokratie“ vom Typ des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban an.

Im europäischen Ausland sahen es manche Beobachterinnen und Beobachter ähnlich. Unter Mitsotakis sei Griechenland auf dem Weg in die Autokratie, war in Medien zu lesen. Sein Stil sei eine neue Form eines „geräuschlosen Populismus“, bewerteten andere die Art Mitsotakis’.

Geheimdienstskandal und Zugsunglück

Tatsächlich ist die zurückliegende Amtszeit der Konservativen längst nicht nur von Ruhm gekrönt. So ließ sich Mitsotakis den Geheimdienst direkt unterstellen. Koordinator wurde ein Neffe des Premiers. Später folgte ein handfester Skandal, weil der Geheimdienst nicht nur Journalisten und Oppositionspolitikerinnen, sondern sogar den eigenen Generalstabschef abhören ließ. Mitsotakis gab an, davon nichts gewusst zu haben, feuerte seinen Neffen und verweist seither auf die Aufarbeitung der Affäre durch die Justiz.

Gelegs (ORF) über Wahlen in Griechenland

ORF-Korrespondent Ernst Gelegs spricht über die Wahlen in Griechenland und darüber, welches Bild sich in den Umfragen abzeichnet. Zudem berichtet er, wie sich griechische Politikerinnen und Politiker bei den Geschehnissen in Russland zurückgehalten haben.

Doch selbst dieser Geheimdienstskandal tat dem Erfolg der Konservativen keinen Abbruch – genauso wenig wie der Vorwurf der „Orbanisierung“ und die Schuldzuweisung von Tsipras, Mitsotakis sei an dem schweren Zugsunglück mit 57 Toten im Februar in Mittelgriechenland schuld.

Mitsotakis profitiert von schwacher SYRIZA

Griechische Beobachterinnen und Beobachter sehen aber in der Stärke von Mitsotakis vor allem auch eine Schwäche von Tsipras: Dass Tsipras und seine SYRIZA bei den Wahlen zuletzt krachend scheiterten – die Partei sackte um elf Prozentpunkte auf 20 Prozent – hätten sie sich vor allem selbst zuzuschreiben, heißt es. Medien sowie Bürgerinnen und Bürger kritisierten im Nachgang einen „toxischen Wahlkampf“, weil Tsipras kaum Programm bot, dafür aber ständig auf die Regierung eindrosch.

Wahlkampfrede des Präsidenten der SYRIZA-Progressive Alliance, Alexis Tsipras, in Heraklion
IMAGO/ANE Edition/Stefanos Rapanis /Eurokinissi
Medien und Bevölkerung kritisierten Tsipras für einen „toxischen Wahlkampf“ ohne Programm

Viele Wahlversprechen von SYRIZA, etwa höhere Pensionen und Mindestlöhne, hatten die Konservativen schon vor den Wahlen in die Realität umgesetzt. Mitsotakis brachte das Land zudem wirtschaftlich, sozial und außenpolitisch enorm voran. Die Arbeitslosigkeit sank von rund 19 auf aktuell gut elf Prozent.

Der Staat wurde erheblich entbürokratisiert und digitalisiert: Viele Amtsgänge lassen sich nun in wenigen Minuten online erledigen. Gleichzeitig senkte die Regierung die Unternehmenssteuern. In der Folge entdeckten internationale Firmen wie Microsoft, Google und Pfizer das Land und investierten kräftig.

Harter Migrationskurs mit Erfolg

Auch dass die Regierung mit harten Grenzkontrollen durchgriff und die Flüchtlingszahlen senkte, wird Mitsotakis bei vielen Wählerinnen und Wählern hoch angerechnet. Inseln wie Lesbos und Samos befanden sich wegen der Flüchtlingskrise jahrelang im Ausnahmezustand – dort können die Bürgerinnen und Bürger jetzt wieder normal leben.

Der frühere griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis auf einer Wahlveranstaltung
APA/AFP/Sakis Mitrolidis
Vor allem die harte Migrationspolitik von Mitsotakis kommt bei seiner Wählerschaft gut an

Dem Vorwurf internationaler Medien, dass Griechenland Pushbacks durchführe, also Migrantinnen und Migranten zurück in die Türkei dränge, ohne ihnen einen Antrag auf Asyl zu gewähren, widersprach die Regierung stets. Dass es Pushbacks gab, ist mittlerweile aber unbestritten. Gleichzeitig steht die Zahl nachgewiesener Pushbacks in keinem Vergleich zu den Zehntausenden Menschen, die in den vergangenen Jahren von griechischen Grenzeinheiten gerettet wurden.

Bootsunglück Thema im Wahlkampf

Ein Thema, das bis zuletzt allerdings den Wahlkampf beherrschte, war das jüngste Bootsunglück vor der griechischen Küste, bei dem Hunderte Geflüchtete ums Leben kamen. Mitsotakis griff in dem Zusammenhang SYRIZA wegen der Migrationspolitik während ihrer Regierungszeit offen an, berichtete zuletzt die griechische „Kathimerini“. Dabei verwies er auch auf das überfüllte Flüchtlingslager Moria, das unter der SYRIZA-Regierung in Betrieb genommen worden und im September 2020 niedergebrannt war.

Luftaufnahme von überfülltem Flüchtlingsboot
Reuters/Hellenic Coast Guard
Bei dem jüngsten Bootsunglück vor der griechischen Küste kamen Hunderte Geflüchtete ums Leben

Linke Parteien sehen hingegen die konservative Regierung der vergangenen vier Jahre in der Verantwortung. Aufgrund von ihr eingeführter strenger Kontrollen auf dem Meer wählten Schlepper nun gefährlichere, längere Routen an Griechenland vorbei direkt nach Italien, lautet der Vorwurf. Der mit 500 bis 700 Migranten besetzte Fischkutter war auf dem Weg aus Libyen nach Europa gesunken.

Aufmerksamkeit auf Unentschlossene

Im Wahlkampffinish konzentrierten sich die Parteien vor allem auch auf die unentschlossenen Wählerinnen und Wähler – die den jüngsten Umfragen zufolge etwa sieben bis acht Prozent der Gesamtwählerschaft ausmachen – und auch auf diejenigen, die sich möglicherweise ganz der Stimme enthalten.

Entscheidend seien zudem auch die Zusammenhänge innerhalb der linken Mitte – also ob die SYRIZA die 20 Prozent, die sie bei den ersten Wahlen erhalten habe, halten könne oder sich der Abstand zur gemäßigt linken PASOK von Nikos Androulakis vergrößere.

Auch die Zahl der kleinen Parteien, die die Dreiprozenthürde überschreiten und damit in das Parlament einziehen könnten, wird mit Spannung erwartet – denn je mehr von ihnen es gibt, desto mehr würde die parlamentarische Macht der ND eingeschränkt, so die „Kathimerini“.