Ungarische Geldscheine
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Verlag gekauft

Orbans „Kaderschmiede“ streckt Fühler aus

Das Budapester Mathias Corvinus Collegium (MCC) wird als „Kaderschmiede“ des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban und dessen FIDESZ-Partei bezeichnet. Erst kürzlich hatte das Institut 90 Prozent der Privatuniversität Modul University Vienna erworben. Damit aber nicht genug: Das MCC steht vor der Übernahme des größten Verlagshauses in Ungarn.

Schon vergangene Woche hatten mehrere ungarische Medien über den Kauf der Libri Group berichtet. Mittlerweile zogen auch internationale Medien wie der „Guardian“ nach. 98,5 Prozent der Anteile sollen an das MCC gehen. Die Übernahme muss noch von Wettbewerbsbehörden genehmigt werden, es werde aber erwartet, dass der Prozess mit Ende Juni abgeschlossen sein wird.

Auf die 57 Libri-Filialen entfällt Berichten zufolge fast die Hälfte des ungarischen Buchhandelsmarkts, ein Fünftel der jährlich veröffentlichten Bücher in Ungarn kommt aus dem Libri-Verlag. Weil das MCC enge Verbindungen zur Orban-Partei FIDESZ hat, wird in der Branche vor weiteren Einschränkungen der Medien- und Kulturlandschaft gewarnt.

Sattes Kapital für Einkaufstour

Wie der „Tagesspiegel“ zuletzt berichtete, sei die private Einrichtung MCC seit dem Jahr 2020 ein Machtfaktor in Ungarn. Die Regierung soll die Stiftung hinter der Denkfabrik mit finanziellen Mitteln in Höhe von einer Milliarde Euro ausgestattet haben. Heute geht man von einem Kapital in Höhe von 1,5 Milliarden Euro aus. Das sei mehr als das Jahresbudget aller universitären Einrichtungen in Ungarn, so der „Tagesspiegel“.

Ungarischer Premier Viktor Orban hält Rede bei MCC, 2019
AP/MTI/Tibor Illyes
Seit Jahren regiert Orban in Ungarn, seit Jahren kontrollieren orbannahe Unternehmer Medien

Auf der Website beschreibt sich die Denkfabrik als „Talentschmiede und Wissensdrehscheibe, die als Bezugspunkt für alle Ungarn dient“. Das MCC baue auf Traditionen auf, diene der Gemeinschaft und dem Land und bilde „aufgeschlossene junge Menschen mit einer patriotischen Einstellung und einem realistischen Blick auf die Welt“ aus und trage dazu bei, das Denken künftiger Generationen zu prägen.

Doch nicht nur die Werte teilt sich das MCC mit der FIDESZ, auch das Personal. Denn die Trägerstiftung des MCC wird von Balazs Orban geleitet. Orban ist der strategische Berater des Ministerpräsidenten. Medienberichten zufolge sollte die Institution, die 1996 gegründet wurde, zu einer Art nationalkonservativem Gegenmodell der Central European University (CEU) des liberalen US-Financier George Soros aufgebaut werden.

Haus mit wichtiger Funktion

Mit der Libri Group wird vom MCC nicht nur eine Organisation gekauft, die einen der renommiertesten Literaturpreise des Landes vergibt. Das Unternehmen veröffentlicht laut „Guardian“ auch Übersetzungen prominenter englischsprachiger Autoren und Autorinnen, die sich für die freie Meinungsäußerung eingesetzt haben, wie Margaret Atwood und Salman Rushdie.

Selbst wenn die Libri Group betont, dass man keine sichtbaren Veränderungen in der literarischen Produktion erwarte, befürchten Schriftsteller und Schriftstellerinnen eine Machtdemonstration der FIDESZ über die Literatur. In ungarischen Medien wird hingegen auch ventiliert, dass das Verlagshaus unter finanziellem Druck steht und Anteile verkaufen musste.

Autoren wollen raus aus Verlag

Jedenfalls gärt es in der Literaturbranche. Aus Protest gegen die Übernahme hatte etwa die ungarische Bestsellerautorin Eva Peterfy-Novak auf Facebook angekündigt, dass sie ihre bestehenden Verträge mit Libri gekündigt habe und ihre Werke künftig nicht mehr über den Verlag veröffentlichen werde.

Der in Berlin lebende Autor Matyas Dunajcsik kündigte am Montag an, sein Buch mit gesammelten Gedichten in ungarischer Sprache, das im Libri-Verlag erscheinen sollte, zurückzuziehen und stattdessen im Jahr 2024 bei einem unabhängigen Verlag zu veröffentlichen. Das MCC sei „eine Organisation, die mit ihren Konferenzen und Veröffentlichungen aktiv russische Kriegspropaganda, Frauenfeindlichkeit, Fremdenhass, Homo- und Transphobie verbreitet“, zitierte ihn der „Guardian“.

Einschränkung der Medienfreiheit

Schon seit Jahren wird Orban wegen seiner Einflussnahme auf Medien und Wissenschaft kritisiert. Kritische Berichterstattung wird dadurch eliminiert, dass orbannahe Geschäftsleute Medien kaufen. Vor gut drei Jahren wurde zudem bekannt, dass Orban über ihm nahestehende Medienunternehmer seinen Einfluss auch im Ausland, unter anderem in Slowenien und Nordmazedonien, verbreiten haben soll.

Ungarn liegt derzeit auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen auf Rang 72 von 180. „Seit Viktor Orban und seine FIDESZ-Partei 2010 an die Regierung kamen, haben sie die Medien Schritt für Schritt unter ihre Kontrolle gebracht“, heißt es in einem Bericht der Organisation.

Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Nachrichtenagentur in der staatlichen Medienholding zentralisiert wurden, ist die regionale Presse vollständig im Besitz orbanfreundlicher Unternehmer. 2021 wurde bekannt, dass die Regierung mehrere Medienschaffende mit der Pegasus-Software hat überwachen lassen.