Parlamentarische Anfragen, Stellungnahmen, diverse Volksbegehren, Expertenhearings, Medienberichte, interne Analysen und informelle Kontakte: Wenn Mandatare und Mandatarinnen Informationen für ihre Entscheidungen haben wollen, ist es ein Leichtes, diese auch zu erhalten. Das Parlament sei eine „Wissensinstitution“, sagt Geddes im Gespräch mit ORF.at. Über parlamentarische Prozesse könne Wissen produziert, gesammelt und bewertet werden.
„Wissen ist das wichtigste Element dafür, wie wir uns verhalten und wie wir Entscheidungen treffen“, so Geddes. Interessanter als Wissen seien aber die unterschiedlichen Arten von Wissen und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert haben. Früher vertrauten Menschen verstärkt auf Informationen aus der Religion. Später sei man zum Wissen aus der Wissenschaft übergegangen. Heute spielten in der Gesetzgebung auch gelebte Erfahrungen wieder vermehrt eine Rolle.
Welche Quellen werden berücksichtigt?
Geddes forscht seit Jahren zum Parlamentarismus. Vergangene Woche war der Politikwissenschaftler von der University of Edinburgh zu Gast im heimischen Parlament, um über das Verhältnis von Demokratie und Wissen zu referieren. Vor dem Hintergrund von „Fake News“, Dauerkrisen und einem Vertrauensverlust in die Politik müsse die Frage nach Wissen in einer Demokratie noch mehr beleuchtet werden. Zwar floriere die Forschung auf diesem Gebiet geradezu. Das Schlaglicht falle aber auf Regierungen, nicht auf Parlamente.

Dabei seien es Abgeordnete, die auf Basis von Informationen Gesetze vorantreiben und beschließen. „Es kommt natürlich darauf an, welches Wissen herangezogen wird“, sagt Geddes, der anhand einer Fallstudie nachzeichnete, woher Ausschüsse im britischen Parlament ihr Wissen beziehen. Knapp die Hälfte der Informationen stammten von der Regierung und Behörden. Nur acht Prozent des Wissens kamen von Fachleuten an Universitäten. Darüber hinaus waren mehr Männer Anbieter von Wissen als Frauen.
In den vergangenen Jahren habe sich durchaus einiges geändert, wenn auch nach Ansicht von Geddes zu wenig. „Der Anteil des Erfahrungswissens aus der Bevölkerung ist gewachsen. Hearings sind heute diverser als noch vor ein paar Jahren“, sagt der Politikwissenschaftler. Die Politik benötige das erlebte Wissen, weil Entscheidungsträger oft ganz andere Erfahrungen hätten als die Bevölkerung. Britische Abgeordnete rekrutierten sich großteils aus Oxford und Cambridge, so Geddes. Es sei daher nötig, auf Laienwissen zurückzugreifen.
„Übliche Verdächtige“ als Wissensanbieter
Der österreichische Nationalrat ist zwar nicht derart sozial homogen wie das britische Parlament, dennoch klagen Bevölkerungsgruppen, dass sie sich von der Politik nicht vertreten oder nicht gehört fühlen. „Es gibt immer die üblichen Verdächtigen, die zum Beispiel für Hearings herangezogen werden“, sagt Geddes. Sie kämen aus denselben Organisationen, aus derselben Universität oder aus denselben Thinktanks. Ein Grund sei, dass diese Personen die „richtigen“ seien, für ein Thema auch die Expertise vorweisen könnten.

Ein weiterer Faktor sei aber das Netzwerk von Abgeordneten. „Ein konservativer Parlamentarier, der in Cambridge studiert hat, spricht mit anderen Organisationen und Fachleuten als ein liberaler Mandatar, der nicht an einer Eliteuni war“, erklärt der Politikwissenschaftler. Der soziale Hintergrund von Abgeordneten dürfe deshalb nicht außer Acht gelassen werden, wenn es um Wissen in einer Demokratie geht. Denn wer gehört wird und wer nicht, müsse thematisiert werden.

Ob ein Parlament, das den Durchschnitt der Bevölkerung abbildet, mehr „anderes Wissen“ sammeln würde, kann Geddes nicht sagen. Der soziale Hintergrund und das Geschlecht von Abgeordneten seien wohl zusätzliche Elemente, die berücksichtigt gehörten. Dennoch liege es in der Verantwortung von Parteien, ihre Kandidatenlisten zu gestalten.
Mehr Wissen aus der Regierung
Während Parlamente versuchen, mehr Wissen aus der Bevölkerung zu holen, werden sie von Regierungen meistens mit Wissen geflutet. Alle Parlamente seien mit einer „Informationsasymmetrie“ konfrontiert, so Geddes. Es herrsche eine Wissensungleichheit. Denn vieles, was in den Parlamenten thematisiert wird, stamme von den Regierungen. Diese können auf eine große Verwaltung zurückgreifen, die nicht nur Gesetze schreiben, sondern auch Fachleute ins Parlament schicken, die über die Vorhaben diskutieren.

Auch in Österreich stammen viele Gesetzesvorhaben aus den Federn von Legisten aus der Verwaltung. Als Regierungsvorlagen wandern sie dann durch den parlamentarischen Prozess. Gegebenenfalls werden von Abgeordneten noch Änderungen beantragt, wobei diese auch aus den Ressorts stammen können. Während Abgeordnete im Hohen Haus in Budgetfragen auf den Budgetdienst und in Rechtsfragen auf den Rechtsdienst zurückgreifen können, steht einem Minister gleich ein ganzes Ressort zur Verfügung.
„Regierungen sind als Wissensanbieter erdrückend. Sie haben viel mehr Ressourcen, um Wissen zu produzieren und zu sammeln, als Parlamente. Gleichzeitig soll das Parlament aber die Regierungsarbeit kontrollieren und die Informationen, die es bekommt, bewerten“, sagt Geddes. Über die ungleiche Verteilung der Ressourcen müsse man kritisch diskutieren. Denn Wissen müsse vielfältig sein, von Unis, Interessengruppen und der Bevölkerung kommen. Der Trend zeige zwar in diese Richtung, aber es gebe noch Luft nach oben.