Yevgeny Prigozhin
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Lebenszeichen

Prigoschin dementiert Umsturzpläne

Zwei Tage lang ist über das Schicksal von Söldnerführer Jewgeni Prigoschin gerätselt worden, nachdem er seine Meuterei jäh abgebrochen hatte. Am Montag wandte er sich schließlich per Audiobotschaft an die Öffentlichkeit und versuchte eine Erklärung für den „Marsch“ Richtung Moskau. Einen Sturz der politischen Führung habe er nicht im Sinn gehabt, so Prigoschin. Seinen Aufenthaltsort gab der Wagner-Chef nicht bekannt.

Prigoschin betonte, er habe nicht die russische Führung stürzen wollen, sondern seine eigene Truppe retten. Die Wagner-Söldner stehen vor einer von Moskau erzwungenen Eingliederung in die reguläre russische Armee. „Wir sind losgegangen, um Protest zu demonstrieren, nicht um die Obrigkeit im Land zu stürzen“, so Prigoschin in der am Montag via Telegram publik gewordenen Sprachnachricht.

Der „Marsch“ in Richtung Moskau habe auch zum Ziel gehabt, jene zur Verantwortung zu ziehen, die in der „militärischen Spezialoperation“ – also dem Angriffskrieg gegen die Ukraine – Fehler gemacht hätten, so Prigoschin. Damit erneuerte er die Vorwürfe vor allem gegen das russische Verteidigungsministerium, dem er wiederholt vorwarf, die Söldner im Stich zu lassen.

„Schwerwiegende Sicherheitsprobleme“ in Russland

Zudem warf Prigoschin dem Verteidigungsministerium vor, Militärlager der Söldner am vergangenen Freitag beschossen zu haben. Dabei sind seinen Angaben nach 30 Wagner-Kämpfer getötet worden. Das sei zusätzlich zur vom Ministerium angestrebten Auflösung der Wagner-Truppe der Auslöser für den Aufmarsch gewesen. Man sei umgekehrt, um kein Blut russischer Soldaten zu vergießen. Man selbst habe gegen Russen keine Aggression gezeigt, so der Wagner-Chef. Doch sei die Söldnertruppe mit Raketen angegriffen worden. Daher habe man auf russische Flugstreitkräfte geschossen. Dass das nötig gewesen sei, sei bedauerlich, so der Söldnerführer. Der Aufstand habe „schwerwiegende Sicherheitsprobleme“ in Russland aufgezeigt.

Stimmung in Russland

ZIB-Korrespondent Paul Krisai berichtet, wie die Moskauerinnen und Moskauer das turbulente Wochenende rund um die Rebellion der Wagner-Truppe erlebt haben.

Prigoschin betonte auch die Rolle des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko bei der Beendigung des Aufstandes. Dieser habe eine friedliche Lösung vermittelt, um ein Blutvergießen in Russland zu verhindern. Nach dem Ende der Revolte sollte Prigoschin laut Angaben aus dem Kreml nach Belarus ausreisen.

Prigoschin bestätigte durch seine Nachricht indirekt Angaben russischer Militärfachleute, nach denen die Rebellion blutiger verlaufen sein dürfte als bisher bekannt. So sollen die Wagner-Kämpfer sechs Helikopter und ein Armeeflugzeug abgeschossen haben. Dabei sollen 13 Angehörige der russischen Luftstreitkräfte getötet worden sein.

Regierungschef: „Müssen geeint hinter Putin stehen“

Zuvor am Montag hatte der russische Regierungschef Michail Mischustin eingeräumt, dass die Wagner-Rebellion am Wochenende eine „Herausforderung für die Stabilität“ Russlands war. Mischustin war damit der erste hochrangige Vertreter des russischen Machtsystems, der sich nach der Beendigung der Meuterei öffentlich zu Wort meldete.

Mikhail Mishustin
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Michail Mischustin

Er sprach bei einer im russischen Fernsehen übertragenen Regierungssitzung und appellierte: „Wir müssen geeint hinter Putin stehen.“

Dass der Putin-Getreue Mischustin die Öffentlichkeit – und vor allem die verschiedenen Teile der Machtelite – dazu aufrufen muss, sich hinter Putin zu stellen, ist alles andere als ein Zeichen der inneren Stabilität des Regimes und der Stärke Putins. Zuvor waren Aufnahmen von Verteidigungsminister Sergej Schoigu veröffentlicht worden, die ihn angeblich bei einem Besuch in der Ukraine kämpfender russischer Truppen am Montag zeigen sollen.

Putin selbst äußerte sich nach seiner kurzen, laut Kreml am Samstag live aufgenommenen Videobotschaft, in der er die Niederschlagung der Rebellion ankündigte, nicht mehr öffentlich.

Schoigu auf Truppenbesuch in der Ukraine?

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu soll für einen Truppenbesuch in den besetzten Teil der Ukraine gereist sein. Es soll sich um seinen ersten öffentlichen Auftritt handeln, seitdem der Aufstand der Söldnertruppe seine Absetzung gefordert hatte.

Bis Montagmittag war von ihm gar nichts zu hören oder zu sehen. Dann gab der Kreml bekannt, Putin habe mit mehreren Staatschefs telefoniert, darunter mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi. Und eine Videobotschaft für ein Jugendforum wurde ausgestrahlt. Es ist unklar, wann sie aufgenommen wurde. Putin äußerte sich darin nicht zur abgebrochenen Meuterei von Samstag.

All das soll offensichtlich Normalität und Routine suggerieren und der Meuterei möglichst wenig Gewicht verleihen. Ob das so einfach möglich ist, bleibt abzuwarten.

Jubel für die Söldner

Teile der Bevölkerung hatten Prigoschin und seinen Söldnern bei dessen Rückzug am Samstag zugejubelt. Das wird von Beobachterinnen und Beobachtern als Zeichen für die geringe Unterstützung, die Putin in der eigenen Bevölkerung genießt, verstanden. Auch die Tatsache, dass die Wagner-Söldner in das Militärhauptquartier in Rostow ohne Widerstand einziehen und sich danach in einer Kolonne – praktisch ohne auf Widerstand zu treffen – Hunderte Kilometer auf Moskau zubewegen konnten, gilt als Hinweis auf mangelnde Unterstützung selbst innerhalb der russischen Streitkräfte.

Das gesamte Machtsystem in Russland habe am Samstag verloren, „inklusive Prigoschin, der Teil dieses Systems ist“, so Andrei Kolesnikov vom US-Thinktank Carnegie, der sich am Wochenende in Moskau aufhielt, gegenüber dem „Wall Street Journal“. Bei Putin „hat sich gezeigt, dass der Zar kein wirklicher Zar ist, weil er einen Mann aus seinem eigenen System – der eigentlich völlig unter seiner Kontrolle stehen sollte – nicht kontrollieren konnte“.

Biden: Folgen noch nicht absehbar

Die USA bekräftigten am Montag, nicht in den Aufstand verwickelt gewesen zu sein. „Wir haben klargestellt, dass wir nicht involviert waren. Wir hatten damit nichts zu tun“, sagte US-Präsident Joe Biden. Die Lage in Russland sei Teil eines Kampfes innerhalb des russischen Systems. „Wir werden die Auswirkungen der Ereignisse dieses Wochenendes und die Folgen für Russland und die Ukraine weiter bewerten“, so Biden im Weißen Haus. Aber es sei noch zu früh, um eine endgültige Schlussfolgerung darüber zu ziehen, welche Folgen der Aufstand haben werde. „Das endgültige Ergebnis von alledem bleibt abzuwarten.“