Natodrahtzaun vor der Fassade einer Haftanstalt
APA/Hans Klaus Techt
Anti-Folter-Komitee

Schlechtes Zeugnis für Maßnahmenvollzug

Das Anti-Folter-Komitee (CPT) des Europarats hat in seinem aktuellen Report zu Inhaftierten in Österreich zumindest eine gute Nachricht: Es gab keine Berichte über Misshandlungen. Allerdings stellte der Bericht Österreich ein schlechtes Zeugnis aus, insbesondere was den Maßnahmenvollzug von psychisch erkrankten Menschen und Schubhaftzentren betrifft. Vor allem der Personalmangel treffe die Inhaftierten hart.

Das CPT untersucht regelmäßig die Haftanstalten und Polizeianhaltezentren auch in Österreich. Der aktuelle Bericht basiert auf einem Besuch Ende 2021 in ausgewählten Haftanstalten und Polizeianhaltezentren (PAZ) und wurde am Dienstag veröffentlicht.

Der Personalmangel bedeute oft vollständige Isolation auch über mehrere Tage, etwa wenn das Justizwachepersonal Freitagmittag den Dienst beendet und Montagfrüh wieder aufnimmt. Diese Zeit verbringen die Häftlinge meist in der Zelle. „Das ist inakzeptabel“, sagte Hans Wolf, Vizepräsident des CPT und Delegationsleiter in Österreich, gegenüber Ö1 zu den langen Einschlusszeiten.

„Menschenunwürdige Bedingungen“

Häufig könnten auch psychisch Erkrankte und Untersuchungshäftlinge nur eine Stunde am Tag ihre Zelle verlassen, kritisierte Amnesty International ebenfalls und sprach von „menschenunwürdigen Bedingungen“ und „maroden Zuständen“. Besonders dramatisch wirkt sich der Personalmangel bei der Gesundheitsversorgung aus.

Es fehle an Ärzten und Ärztinnen, Pflegekräften und vor allem an Psychiatern, so das Komitee. In der Justizanstalt Stein etwa seien Anfang 2022 nur zwei Psychiater insgesamt 18 Stunden im Einsatz gewesen – für mehr als 800 Inhaftierte und davon 100 im Maßnahmenvollzug, ergänzte der Erwachsenenschutzverein VertretungsNetz die Kritik. Aus einer kürzlichen Anfragebeantwortung der SPÖ durch Justizministerin Alma Zadic (Grüne) geht hervor, dass in fast allen Justizanstalten Psychiater, Sozialarbeiter und Pflegekräfte fehlen.

Erste-Hilfe-Kurs statt Pflegekräfte

Beendet werden müsse auch die Praxis, dass Strafvollzugsbeamte in gesundheitsbezogene Aufgaben eingebunden werden und Polizeibeamte oder Vollzugsbedienstete mit Erste-Hilfe-Basisausbildung als Sanitäter eingesetzt werden und Aufgaben übernehmen, die eigentlich Pflegepersonal übernehmen sollte, bemängelte das Anti-Folter-Komitee.

Gang in der Justizanstalt Josefstadt in Wien
ORF.at/Patrick Wally
Aufgrund von Personalmangel gibt es in vielen Justizanstalten lange Einschließzeiten der Inhaftierten

Kritisiert wurde zudem, dass bei Justizanstalten wie Stein und Göllersdorf, wo auch Menschen im Maßnahmenvollzug untergebracht sind, Strafvollzugsbeamte Waffen tragen. Deutlich werde, dass „normale“ Strafvollzugsanstalten für eine sinnvolle Durchführung des Maßnahmenvollzugs für Häftlinge mit psychischer Beeinträchtigung nicht geeignet seien, so der Bericht. Wolf ergänzte: „Es gibt viele Personen im Maßnahmenvollzug in normalen Haftanstalten. Das sollte nicht sein.“

Probleme in Schubhaftzentren

Amnesty International ortet die größten Probleme bei den Schubhaftzentren. Die NGO erhalte immer wieder Berichte über „unverhältnismäßige Gewaltanwendung, willkürliche Disziplinierungsmaßnahmen, katastrophale hygienische Bedingungen und erhebliche Mängel bei der psychiatrischen und psychologischen Betreuung von Schubhäftlingen“ aus den Abschiebezentren.

Anlass zur Besorgnis sieht das Anti-Folter-Komitee angesichts der verschlechterten Bedingungen für Schubhäftlinge etwa im Polizeianhaltezentrum am Hernalser Gürtel in Wien. Der Großteil der Unterkünfte und Gemeinschaftsräume befinde sich einem „katastrophalen Zustand“, Gänge, Zellen und Sanitäranlagen seien baufällig und schmutzig gewesen. Diese Zustände seien nicht geeignet, um ausländische Staatsangehörige über einen längeren Zeitraum in Schubhaft zu halten, so der Bericht.

Ein Schubhäftling blickt im Wiener Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel aus dem Haftraum
APA/Helmut Fohringer
Amnesty bezeichnet einen Aufenthalt im Anhaltezentrum Hernals als „Schikane“

Für Amnesty gleicht der Aufenthalt im PAZ Hernals, der sich in vielen Fällen über Wochen und mehrere Monate ziehen kann, einer „Schikane“. Georg Bürstmayr, Sprecher für Inneres und Sicherheit der Grünen, forderte einen Abriss des PAZ Hernals. Ein menschenrechtskonformer Vollzug von Schubhaft sei in diesem Gebäude nicht möglich. Er bezeichnete die Beobachtungen des Anti-Folter-Komitees als „ernüchternd“.

Unabhängige Beschwerdestelle gefordert

Hinweise auf körperliche Misshandlungen durch Personal fand das Komitee in den vom ihm untersuchten Einrichtungen nicht. Es habe aber Vorwürfe über verbale Beschimpfungen auch rassistischer und fremdenfeindlicher Art gegeben. Erneut fordert das Komitee die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle zur Untersuchung von Beschwerden wegen polizeilicher Misshandlungen. Es gebe Zweifel, dass Ermittlungen zu Vorwürfen polizeilicher Misshandlung als „völlig unabhängig und unparteiisch“ angesehen werden können.

Die derzeitige Regierungsvorlage zur Einrichtung einer entsprechenden unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestelle sieht vor, dass sie organisatorisch im Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK), einer Einrichtung des Innenministeriums, angesiedelt ist.

Zadic will Maßnahmenvollzug verbessern

Das Justizministerium reagierte gegenüber Ö1 auf den Bericht, man nehme diesen sehr ernst. Schon vor einiger Zeit hatte Justizministerin Zadic Verbesserungen im Maßnahmenvollzug angekündigt. Es ist aber noch unklar, ob diese tatsächlich umgesetzt werden und wann.

In der Justizvollzugsanstalt Stein sind laut Ministerium noch bis Ende des Jahres 30 Neuanstellungen geplant. Zuletzt sei der Personalstand dort auch gesteigert worden. Das Anti-Folter-Komitee empfiehlt allerdings eine baldige Einstellung des Maßnahmenvollzugs in der Justizanstalt Stein.

Volksanwälte: Bessere Bezahlung notwendig

SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim kritisierte „nach wie vor viele Stellen“, die nicht besetzt seien und „offensichtlich auch nicht besetzt werden, weil sich kein Personal findet“. Wie zuvor schon die Volksanwälte forderte Yildirim bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Auch NEOS-Justizsprecher Johannes Margreiter fordert eine deutliche Aufstockung der finanziellen Mittel. Zudem zeige der Bericht, dass die bisherige Reform des Maßnahmenvollzugs bei Weitem nicht ausreiche.

Exekutivpersonal, aber auch Fach- und Gesundheitspersonal werde „draußen besser bezahlt als in Justizanstalten“, kritisierte die von der ÖVP nominierte Volksanwältin Gaby Schwarz gegenüber Ö1. „Das führt zu einem bedauerlichen Mangel.“ Der von der FPÖ aufgestellte Volksanwalt Walter Rosenkranz forderte angesichts des Anti-Folter-Komitee-Berichts Verbesserungen für Schubhäftlinge. Österreich habe hier einen „blinden Fleck“.