Hochmoor
IMAGO/Rainer Mirau
Konservative dagegen

EU-Naturschutzgesetz in der Schwebe

Das umstrittene EU-Renaturierungsgesetz hat am Dienstag im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments in Brüssel keine Mehrheit gefunden. Bei der Fortsetzung des Abstimmungsmarathons vom 15. Juni ging am Vormittag die finale Abstimmung über zuvor angenommene Kompromisse 44 zu 44 aus. NGOs sprechen gegenüber ORF.at von einem „schlechten Tag für die Natur“. Österreich enthielt sich bei der Abstimmung – das Klimaministerium begründete den Schritt mit der Ablehnung der Bundesländer.

Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur („Nature Restoration Law“), mit dem die Biodiversität verbessert werden soll, gilt neben dem neuen Pestizidgesetz („Sustainable Use Regulation“ – „SUR“) als einer der wesentlichen noch offenen Bausteine des „Green Deal“, dem wohl wichtigsten politischen Projekt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Damit möchte die EU auf die Herausforderungen von Klimawandel und Artensterben reagieren und die bis 2050 angestrebte Klimaneutralität erreichen.

Seit zwei Monaten hat sich die Europäische Volkspartei (EVP) eindeutig gegen das Gesetz positioniert und sich auch geweigert, über Verbesserungen zu verhandeln. Sie sieht in dem Kommissionsvorschlag eine praxisfremde und bürokratielastige Überregulierung, eine Gefährdung der Ernährungssicherheit und der bäuerlichen Einkommen. Befürworter sehen in dem Gesetz einen wichtigen Baustein eines unbedingt notwendigen Systemumbaus, der langfristig Natur und Ernährung gleichermaßen sichert.

Europäischer „Green Deal“

Der Europäische „Green Deal“ sieht vor, dass die EU-weiten Emissionen bis 2050 auf null reduziert werden. Das Ziel ist rechtlich verbindlich im EU-Klimagesetz verankert. Bis 2030 sollen die Nettotreibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden.

Die Abstimmung am Dienstag endete so, wie sie am 15. Juni begonnen hatte: 44 zu 44. Das bedeute, dass dem Plenum des EU-Parlaments im Juli die Ablehnung des Kommissionsvorschlags empfohlen werde, sagte Ausschussvorsitzender Pascal Canfin. Hatte das anfängliche Patt jedoch bedeutet, dass die von der EVP und anderen angestrebte Ablehnung zurückgewiesen wurde, bedeutet das finale Patt, dass auch die im Einzelnen angenommenen Kompromisse in ihrer Gesamtheit keine Mehrheit finden konnten.

„Schlechter Tag für ‚Green New Deal‘ und Natur“

Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker von Global 2000, sprach gegenüber ORF.at von einem „schlechten Tag für die Natur und den ‚Green New Deal‘“. Das EU-Renaturierungsgesetz stelle einen wesentlichen Grundpfeiler dar. Um eine Stimme sei es „der Blockiererfraktion“ aus Konservativen gelungen, den Kommissionsvorschlag zu verwässern, sodass er deutlich hinter die Ambition des ursprünglichen Kommissionsvorschlags zurückfalle.

Wald
ORF.at/Georg Hummer
Biologische Lebensräume wie Wälder sollen „in großem Maßstab“ wiederhergestellt und erweitert werden

Im Gespräch mit ORF.at ortete er zudem eine „Radikalisierung“ der konservativen Fraktion. Man habe schon seit Längerem das Gefühl, dass sich nicht nur die ÖVP, sondern auch die gesamte EVP der „postfaktischen“ Politik der US-Republikaner annäherten. Es gehe nicht mehr „um wissenschaftliche Tatsachen oder christdemokratische Werte“, sondern nur noch ums Verhindern, so Burtscher-Schaden. 3.000 Forschende hätten die „Narrative, dass etwa die Lebensmittelversorgung durch den ‚Green New Deal‘ beeinträchtigt werde“, in einem offenen Brief klar widerlegt.

Gewessler enthielt sich

Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) hatte sich zuvor bei der Abstimmung beim EU-Umweltministerrat in Luxemburg enthalten. Das Klimaministerium begründete den Schritt auf ORF.at-Anfrage mit der Ablehnung der Bundesländer. In Österreich liege die Kompetenz für den Naturschutz auch bei ihnen, weshalb sie in diesem Bereich mitreden und ihre Einwände äußern würden.

„Das respektieren wir. Deshalb hat sich Klimaschutzministerin Leonore Gewessler auf Basis der einheitlichen Länderstellungnahme bei der Abstimmung enthalten“, so das Ministerium. Es sei aber trotzdem wichtig, „dass wir hier einen Schritt weiterkommen“. Eine entsprechende Entscheidung im EU-Parlament sei noch ausständig – hier gelte es, die Abstimmung im Plenum abzuwarten. Je nach Ausgang geht es dann in die Trilog-Verhandlungen. Man hoffe, „dass sich alle ihrer Verantwortung für den Schutz unserer Biodiversität bewusst sind“.

Kritik an Klimaministerium

Burtscher-Schaden von Global 2000 zeigte sich vom Klimaministerium „enttäuscht“, was den Umgang mit „so grundsätzlich wichtigen“ Materien im Bereich Umweltschutz und Pestizidreduktion betreffe. „Obwohl sowohl das grüne Umwelt- als auch das Gesundheits- und Sozialministerium direkt von den Folgen betroffen sind, setzt man den Versuchen von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, den ‚Green New Deal‘ zu verwässern, viel zu wenig entgegen.“ Totschnig lehnt etwa eine verbindliche Reduzierung der Pestizide ab.

Trilog

Als Trilog werden informelle Verhandlungstreffen zwischen Vertretern der drei am EU-Gesetzgebungsprozess beteiligten Organe – Kommission, Parlament und Ministerrat – bezeichnet. Sie sollen unter Vermittlung der Kommission zu einer Einigung zwischen Europäischem Parlament (EP) und Ministerrat und zu einem Gesetzesvorschlag führen.

Gleichzeitig habe man bereits ähnliche Situationen bei anderen Gesetzen erlebt, die letztlich über den Trilog dann doch zustande gekommen seien. In Bezug auf die spanische Ratspräsidentschaft ab Samstag habe man zudem bisher „überraschend positive“ Signale vernommen, was etwa die EU-Pestizidreduktion betreffe.

SPÖ: ÖVP und EVP „in Populismusfalle gefangen“

Von einem „herben Rückschlag“ sprach auch SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl in einer Aussendung. Die ÖVP und die Europäische Volkspartei seien „in der Populismusfalle gefangen und betreiben beim Klimaschutz Panikmache, statt nach echten Lösungen zu suchen“. Die „Absage der ÖVP an Klima- und Naturschutz“ und die „Fortsetzung des Angriffs auf den ‚Green Deal‘“ sei unverantwortlich, reagierte Thomas Waitz, EU-Abgeordneter der Grünen, die Volkspartei agiere „als Totengräberin der Natur“. „Jetzt geht es darum, das Gesetz durch das Plenum zu bringen.“

Von einem „Sieg der Vernunft“ und einem „klaren Zeichen für wirksamen Klimaschutz mit Hausverstand statt ideologiegetriebener Belastungspakete“ sprach hingegen Alexander Bernhuber, Umweltsprecher der ÖVP im Europaparlament. „Wir müssen Umweltpolitik mit den Menschen machen und nicht gegen Menschen; deshalb werden wir uns dafür einsetzen, dass dieser Vorschlag auch im Plenum nicht angenommen wird.“ Roman Haider (FPÖ) nannte die Ablehnung einen „Etappensieg gegen Bauern-Enteignung“.

Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans zeigte sich optimistisch, dass es noch zu Verhandlungen zwischen EU-Rat und dem Europaparlament nach dem geplanten Votum im Plenum am 11. Juli kommen wird. Ein neuer Vorschlag sei für die EU-Kommission derzeit keine Option.

Politischer Schlagabtausch nach Ablehnung

Unterdessen sorgte der liberale französische Abgeordnete und Ausschussvorsitzende Pascal Canfin im Anschluss bei einer Pressekonferenz für Aufsehen. Ein Drittel der Stimmen der EVP, die sich in den vergangenen zwei Monaten eindeutig gegen das Gesetz positioniert und heute geschlossen dagegen gestimmt habe, sei von Nicht-Ausschuss-Mitgliedern abgegeben worden.

ORF-Analyse: Aus für Gesetz zur Renaturierung?

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter meldet sich aus Brüssel, wo am Dienstag ein Gesetz zur Renaturierung vom EU-Ausschuss abgelehnt wurde. Sie berichtet, ob es noch Chancen für das Gesetz gibt.

Drei Viertel der stattdessen votierenden EU-Abgeordneten stammten aus dem Agrarausschuss, der bereits den Gesetzesvorschlag abgelehnt hat. Zudem sei die CDU/CSU-Delegation überproportional vertreten gewesen. „Es war eine ganz klare Manipulation der Abstimmung durch Manfred Weber“, den EVP-Vorsitzenden, so Canfin. Wäre die ganze Bandbreite an Haltungen der EVP-Abgeordneten auch in der Abstimmung repräsentiert worden, wäre es angenommen worden.

Der Manipulationsvorwurf wurde umgehend von den deutschen EVP-Parlamentariern Christine Schneider und Peter Liese zurückgewiesen. Es habe einige Fraktionsmitglieder gegeben, die sich unsicher waren und selbst darum gebeten hätten, ersetzt zu werden. Canfin habe sich parteiisch verhalten und sei der schlechteste Ausschussvorsitzende, den er je erlebt habe, so Liese.

Bedenken in Mitgliedsstaaten

Eine qualifizierte Mehrheit für einen abgeänderten Text des Renaturierungsgesetzes hatte es kürzlich im EU-Umweltrat gegeben, der eine „Allgemeine Ausrichtung“ dazu erzielen konnte, obwohl es auch im Kreis der Mitgliedsstaaten etliche Bedenken gibt. „Dieser Text ist eine solide Grundlage für die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament“, hatte Romina Pourmokhtari, schwedische Ministerin für Klima und Umwelt und bis Samstag Vertreterin des Ratsvorsitzes, nach der Abstimmung im Rat erklärt.

Konkret kombiniert der Vorschlag der Kommission ein Wiederherstellungsziel für die Erholung der Natur in den Land- und Meeresgebieten der EU mit verbindlichen Zielen für bestimmte Lebensräume und Arten. So sollen etwa biologische Lebensräume verbessert und der Rückgang der Bestäuberpopulationen verhindert werden, städtische Grünflächen sollen gehalten und ausgebaut und der Bestand an organischem Kohlenstoff in Ackerland-Mineralböden und der Anteil landwirtschaftlicher Flächen mit Landschaftselementen mit hoher Vielfalt erhöht werden.