Kinder mit Smartphones
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Kinderschutz per App

Zwischen Überwachung und Fürsorge

Eltern stehen zahlreiche technologische Möglichkeiten zur Verfügung, um die Aktivitäten ihrer Kinder auf dem Smartphone und darüber hinaus zu überwachen. Apps wie KidSecurity und Kidslox bieten etwa neben Einschränkung der Bildschirmzeit auch Ortungs- und Abhörfunktionen an. Wo verantwortungsvolle Fürsorge endet und überschießende Kontrolle beginnt, verschwimmt – denn das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz gilt auch für Kinder. Transparenz und Aufklärung seien entscheidend, raten Fachleute gegenüber ORF.at.

„Das sind die besten Apps zur elterlichen Kontrolle, um die Bildschirmzeit zu verwalten (und Ihr Kind online sicherer zu machen)“, schrieb die „New York Times“ („NYT“) in einem Anfang Juni erschienenen Artikel. Empfohlen wird Eltern darin, den App-Zugriff und die allgemeine Telefonnutzung ihres Kindes einzuschränken. Derartige Maßnahmen seien wie „Stützräder“, die Kindern und Jugendlichen helfen würden, „gesunde technische Gewohnheiten“ zu entwickeln.

Wie weit die Stützräder die Kinder im Alltag begleiten, variiert je nach Anwendung stark. Die Möglichkeiten der meisten Kinderschutz-Apps, die kostenlos oder für ein paar Euro im Google Play- bzw. App-Store heruntergeladen werden können, reichen von Ortungs- bis hin zu Abhörfunktionen. So bietet die App KidSecurity neben „Überwachung der Spielzeit des Kindes“ auch „Benachrichtigungen, wenn das Kind einen bestimmten Ort verlassen/betreten hat“, und „die Geräusche in der Umgebung des Kindes hören“.

Auf dem Handy des Kindes wiederum gibt es die Möglichkeit, die passende Tigrochat-App herunterzuladen, die mit einem anderen Design mit freundlichem Tigerbild, der Aussicht auf Spiele und virtuelle Münzen lockt und sich mit der App der Eltern synchronisieren lässt. In der App Kidslox wiederum können „vernünftige Grenzen“ bei der Bildschirmnutzung gesetzt werden, und es kann mit Hilfe von Zeitplänen festgelegt werden, auf welche Funktionen wann zugegriffen werden darf.

App zur Überwachung von Kindern auf einem Smartphone
ORF
Mit Hilfe diverser Apps können Eltern etwa den Standort ihrer Kinder tracken und ihre Umgebung abhören

„Totaler Kontrollwahn“ oder Fürsorge?

„Die wöchentlichen Berichte sind informativ und geben mir die Sicherheit, dass sie ihre Bildschirmzeit nicht missbraucht“, so die Bewertung einer Userin zu Kidsloax. „Ist das der totale Kontrollwahn? Oder eine neue Dimension der Fürsorge?“, fragte hingegen die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“).

Es sei nachvollziehbar, dass es für Eltern ein beruhigendes Gefühl sei zu wissen, wo sich ihre Kinder aufhalten und ob sie sich möglicherweise „mit zwielichtigen Gestalten“ abgeben. Dort, wo Überwachung allgegenwärtig werde, münde die elterliche Fürsorge jedoch „in einer nannyhaften Hyperkontrolle, in der gläserne Jugendliche ihrer Privatsphäre beraubt werden und schon gar keine Individualität mehr ausbilden können“.

Umgebung abhören „schießt über Ziel hinaus“

Man stelle sich bei neuen Technologien natürlich die Frage, wie eine adäquate Umsetzung elterlicher Aufsichtspflichten aussehe und ob man nicht auch verpflichtet sei, alle Möglichkeiten zu nutzen, die einem zur Verfügung stehen, sagte Jaro Krieger-Lamina, der sich am Institut für Technikfolgenabschätzung mit dem Verhältnis zwischen Sicherheit, Überwachung und dem Schutz der Privatsphäre beschäftigt.

Für den Experten sind „die Schäden durch die ständige Überwachung größer als ihr Nutzen“. Die Umgebung abzuhören und Chats mitzulesen schieße weit über das Ziel hinaus. „Das ist nicht mehr adäquat und keine Fürsorge mehr, sondern Überwachung. Auch Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre und Datenschutz.“

Vorsicht vor Überwachungsapps außerhalb der EU

Kinder hätten keine Erfolgserlebnisse, aus denen sie lernen könnten, wenn Eltern immer nur einen Knopfdruck entfernt seien und „alles richten“. Sinnvoller sei es, wenn man ihnen beibringt, sich selbstbestimmt in der Welt zurechtfinden, Manipulationsversuche eigenständig zu erkennen und ihre Privatsphäre zu schützen. Digitalaffine Generationen würden zwar mit dem Teilen des eigenen Standortes aufwachsen, so Krieger-Lamina. Das heiße aber nicht, dass das gut sei.

„Es gibt einen Grund, warum Privatsphäre in der Menschenrechtskonvention verankert und verfassungsrechtlich geschützt wird.“ Würden personenbezogene Daten weitergegeben, habe das Auswirkungen auf das reale Leben – von Preisen in Onlineshops bis hin zu der Vergabe von Krediten. „Je mehr ich mitteile, desto vollständiger wird mein digitales Profil, aber nicht unbedingt qualitativ besser.“

Kinder mit Smartphones
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Statt auf Verbote bei der Smartphone-Nutzung solle man vor allem auf Aufklärung setzen, raten Experten

Wenn man das Bedürfnis habe, solche Apps zu verwenden, würde er zu Entwicklern aus der EU raten. Bei IT-Unternehmen, die ihren Sitz etwa in Kasachstan haben und Daten in den außereuropäischen Raum transferieren, sei er „grundsätzlich misstrauisch“. Viele würden Daten sammeln, die für die Erbringung der versprochenen Funktion nicht unbedingt notwendig seien. „Bei Kindern ist das noch problematischer.“ Sie könnten noch weniger abschätzen, was es heiße, wenn personenbezogene Daten in falsche Hände gelangen.

Standort teilen für junge Menschen „gang und gäbe“

Bei vielen jungen Menschen rufe das Gefühl, dass andere via Handy Zugriff auf beispielsweise Standortdaten haben, mittlerweile nur noch „Schulterzucken“ hervor, erzählte Barbara Buchegger, pädagogische Leiterin von SaferInternet, im Gespräch mit ORF.at. Den eigenen Standort mit Freunden zu teilen, sei bei Generationen, die mit dem Smartphone aufgewachsen sind, „gang und gäbe“. Etwa bei der App Snapchat gehören der aktivierte Ortungsdienst und das Aufscheinen auf der „Snapmap“ für viele dazu.

Ob dieser Zugang im Vergleich zu vorigen Generationen, die eine derartige „Überwachung“ wohl noch mit George Orwells Dystopie „1984“ in Verbindung gebracht hätten, gut oder schlecht sei, könne man nicht sagen. „Es ist einfach anders“, so Buchegger. Dennoch würden Kinder es anders wahrnehmen, ob sie ihren Standort in Eigenregie teilen oder eben ein Elternteil darüber verfügt.

App zur Überwachung von Kindern auf einem Smartphone
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Früher undenkbar, heute für viele „normal“: Eltern können auf einer Karte den Livestandort des Kindes verfolgen

Pädagogin rät zu transparentem Vorgehen

Bei dem Einsatz von Überwachungsapps und ähnlichen Technologien plädiert Buchegger für Transparenz. Kinder und Jugendliche hätten das Recht, Fehler zu machen – wenngleich sie im Gegensatz zu vorigen Generationen den Nachteil hätten, dass ihre Fehler online festgehalten werden und geteilt werden können. Spätestens wenn das eigene Kind auf sein Recht auf Privatsphäre beharre, müsse man das auch beachten und sich darüber im Klaren sein, dass es Möglichkeiten finden werde, Kontrollen zu umgehen.

Sinnvoll sei es, sich Apps und potenzielle Probleme gemeinsam anzuschauen und so einen sinnvollen Umgang mit sozialen Netzwerken zu lernen. Die Bereitschaft für Limits bei der Handynutzung sei bei vielen vorhanden, so die Pädagogin. Sie habe schon mit 13-jährigen Mädchen gesprochen, die sich selber Beschränkungen in der Bildschirmnutzung setzen würden.

Regelmäßiger, gemeinsamer Austausch wichtig

Das Allerwichtigste sei, mit den Kinder regelmäßig zu sprechen und als Gesprächspartner präsent und dabei neugierig und nicht abwertend zu sein, rät die Pädagogin. Offenheit sei hier ein wichtiges Schlagwort. „Und wenn ich kontrolliere, im Zuge dieser Kontrolle auch Regeln besprechen. Kinder brauchen einen Rahmen, an dem sie sich orientieren können.“

Dabei sei ein individueller Zugang wichtig: Während Grenzen für manche Kinder „unerlässlich“ seien, würden Regeln für andere Kinder nur bestehen, um sie auszuhebeln. In diesem Bereich müsse dringend „etwas weitergehen“, meinte Krieger-Lamina. Nicht nur Eltern, sondern auch Schulen müssten in die Pflicht genommen werden und altersangepasste Aufklärung bieten. Das neue Fach Digitale Grundbildung biete dafür ein „geeignetes Gefäß“, meinte Buchegger von SaferInternet.